Luk Bornhak findet seine Behinderung eigentlich gar nicht so entscheidend. Es ist vielmehr die Welt um ihn herum, die eine große Sache daraus macht. Also schaltet er sich ein, weil er will, dass seine Stimme dazu gehört wird. Wie bei vielen anderen Teenagern ist Instagram dabei das Mittel seiner Wahl, hier interagiert er am liebsten, schreibt Nachrichten und tauscht sich aus. Im Gespräch ist dem 16-jährigen Schüler anzumerken, dass er einiges zu sagen hat. Er spricht druckreif und weiß genau, was er rüberbringen will.
Luk ist ein Inkluencer. Der Begriff kommt von den Worten Inklusion und Influencer, letzteres sind Personen, die auf Sozialen Medien viele Menschen erreichen und so einen enormen Einfluss (englisch "influence") entwickeln. Für Luk sind Inkluencer "berühmte und nicht berühmte Menschen, die sich für eine inklusive Gesellschaft stark machen und darüber auf Social Media aufklären". Geprägt wurde dieser Begriff von einer Kampagne der Aktion Mensch. Er engagiert sich, weil er findet, dass es in Arbeit, Schule und Freizeit immer noch an Berührungspunkten zwischen Menschen mit und ohne Behinderung fehlt. "Ich bin in einer inklusiven Fußballmannschaft, aber grundsätzlich ist Inklusion noch nicht überall angekommen und daher müssen wir uns Gehör verschaffen."
Um deutlich zu machen, was falsch läuft, muss Luk nicht lange nach Beispielen suchen: "Gerade jetzt in der Corona-Zeit wurde viel zu wenig an die Menschen mit Behinderung gedacht." Sie hätten einbezogen werden müssen, als es darum ging Risikogruppen zu schützen, fordert er auf Instagram. "Bei Menschen, die wegen ihrer Behinderung in der Risikogruppe sind, gab es viele Berührungspunkte, die jetzt weg sind", stellt er fest. Auch hier sei der Grund, dass es an PolitikerInnen mit Behinderung fehlt, die auf Fehler der Politik hätten aufmerksam machen können.
Sein Instagram-Kanal @all_inklusiv wurde am 19. Dezember genau ein Jahr alt. Er ist entstanden, weil der Schüler gemerkt habe, dass auf Instagram nur wenige, die inklusiv beschult werden, von ihrem Alltag erzählen. Er wollte als positives Beispiel sichtbar werden. Der 16-Jährige mit einer leichten geistigen Behinderung geht auf ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum in Stuttgart, davor ging er auf ein inklusives Gymnasium in Stuttgart Bad-Cannstatt.
Seine Behinderung ist für ihn nicht leicht zu erklären, weil bislang eine genaue Diagnose fehlt. Nach seiner Geburt wurde eine Infektion festgestellt, die zu einer Entwicklungsverzögerung und Lern- und Konzentrationsschwäche, sowie Seh- und Hörschwäche führen kann. Er wünscht sich, dass Inklusion in der Schule zur Normalität wird, die auf das Können statt auf die Beeinträchtigung schaut. Dabei fehlt es vor allem an einem Baustein, sagt er: der Barrierefreiheit. Inklusion für Schüler und Schülerinnen im Rollstuhl scheitert bereits an den Treppen am Schuleingang. "Es geht in die richtige Richtung", findet Luk, "aber man muss weiterkämpfen."
Auf Instagram spricht er nicht nur über Inklusion in der Schule, sondern auch am Arbeitsplatz. Aus Corona-Gründen ist Luk am Telefon, aber man merkt ihm die Entrüstung an, denn er spricht noch schneller, als ohnehin schon: "Es gibt verdammt viele Firmen, die sich lieber von Quotenregelungen freikaufen, als Inklusion umzusetzen."
Auf Instagram ist Luk Herr übers eigene Bild
Inkluencer Luk lädt verschiedene Menschen ein, seinen Kanal als Sprachrohr zu nutzen. Gerade postete er einen Adventskalender: An jedem Tag im Advent gab es einen Post zum Thema. Dabei kam etwa die Hannoveranerin Katrin Landgensiepen zu Wort, die für die Grünen im Europaparlament sitzt. Sie lebt von Geburt an mit einem Fehlbildungssyndrom. "Nach der Schule wollte man mich in eine Einrichtung stecken, jetzt bin ich die einzige weibliche Europaabgeordnete mit sichtbarer Behinderung im Europaparlament", schreibt sie in ihrem Post. Verena Niethammer pflegt ihren chronisch kranken Sohn, als @sophiesanderswelt engagiert sie sich als Inkluencerin und Bloggerin. In Luks Adventskalender wünscht sie sich, dass ihr Sohn auch zu Kindergeburtstagen eingeladen wird. Als seine Eltern möchten sie und ihr Mann weder glorifiziert noch bemitleidet werden. "Wir wollen einfach dazugehören und nicht immer isoliert sein."
Auf Instagram können marginalisierte Gruppen die Darstellung ihres Lebens selbst bestimmen. Es ist ein Prozess der Selbstermächtigung. Das beobachtet auch Johanna Probst von der Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung Baden-Württemberg. Die vom Sozialministerium Baden-Württemberg geförderte Einrichtung ist Teil der Jungendstrategie des Landes aus dem Jahr 2016/17. Ihr Job ist dort, Kinder und Jugendliche an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen und Engagement wie das von Luk sichtbar zu machen.
"Das Thema Inklusion beschäftigt uns, da wir bei den Beteiligungsprozessen, die es gibt, immer die 'gleichen' Menschen finden – eine eher homogene Gruppe was Herkunft und Bildungsstatus betrifft." Doch es gebe eben nicht die Jugend. Sondern viele verschiedene Bedürfnisse und Belange verschiedenster Jugendlicher. Viele junge Menschen schalten sich über neue Medien in gesellschaftliche Diskurse ein, so Probst. "Auf Sozialen Medien beobachte ich in verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel der Black-Lives-Matter-Bewegung, dass junge AktivistInnen sich vorher gar nicht als solche gesehen haben, sie nun aber entdecken, dass sich ihre Filterblase, die sie davor vielleicht für Beautythemen genutzt haben, auch für politische Zwecke nutzen lässt." So politisiere sich die junge Generation.
Glanz- und Schattenseite sozialer Medien
Doch das Großartige ist gleichzeitig auch das Problematische an Social Media: Die Reaktionen sind unmittelbar und direkt. Die Risiken sind auch Luk bekannt. Doch er hat bisher noch "keinen Hate erlebt". Damit meint er hasserfüllte Kommentare, die Menschen im Internet leichter von der Tastatur gehen, als im direkten Zusammentreffen von der Zunge. In seinem Adventskalender thematisiert er Inklusion und Hate: "Wir haben genauso ein Recht, uns im Internet zu zeigen wie jeder andere auch!!!", postet er unter Türchen Nummer 17.
Denn dass sich Menschen exponieren, bedeutet auch, dass sie sich negativen Reaktionen aussetzen. Gerade diese Gefahr sieht der Mediensoziologe Oliver Zöllner: "Dieser Hass ist nicht zu unterschätzen." Der Mediensoziologe und Ethiker forscht als Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart zu Medien im gesellschaftlichen Kontext. Dieses Klima herrsche durchaus vor in der derzeitigen Gesellschaft, so der Medienethiker, "das kann natürlich auch Menschen treffen, die sich für Inklusion einsetzen, weil andere diese Inklusion nicht wollen."
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!