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MP hält nichts von Französischunterricht

Alors, Monsieur Kretschmann

MP hält nichts von Französischunterricht: Alors, Monsieur Kretschmann
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Mit seinem rudimentären Englisch kokettiert Baden-Württembergs grüner Regierungschef bisweilen und nennt es noch schlechter als das von Günther Oettinger. Andere Fremdsprachen und speziell die unserer westlichen Nachbarn sind Winfried Kretschmann dagegen irgendwas zwischen fremd und egal.

Sowas kommt wahrscheinlich, wenn jemand viel oder sogar zu viel an der Backe hat. Nach eigenen und gewiss zutreffenden Angaben trifft dies auf den hiesigen Landesvater zu. Nun ist Winfried Kretschmann zugleich Pflichtmensch und hastet deshalb zu oft von Termin zu Termin. Auch infolge der so entstehenden Hektik haut Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, der jahrelang deutschlandweit beschrieben wurde als Verkörperung von Bedächtigkeit, neuerdings immer öfter mal so richtig einen raus zu den verschiedensten Themen. Und das so spontan, dass ihm gar keine Zeit bleiben kann für eine vertiefte Konsultation mit Aristoteles oder Hannah Arendt. Und danach hat er dann noch mehr an der Backe als zuvor.

Natürlich fliegen ihm seine Hammereinfälle in der Regel im Interesse der Bevölkerung zu, die heiße Tipps und nützliche Infos allemal gut brauchen kann: von der volkstümlichen Nummer mit dem Waschlappen gegen den Gasmangel bis zu den schwierigen Asylkompromissen, von seiner Watschen für die grün-beteiligte Berliner Ampel ("So kann man nicht regieren!") oder den angeblichen "Kulturkampf" seiner Partei gegen das Auto bis hin zum überraschenden Plädoyer für eine weitgehende Verdrängung der zweiten Fremdsprache und vor allem von Französisch aus dem Fächerkanon unserer Schulen.

Kleine Nachhilfe für den MP

Une glace au citron, s'il vous plait: ein Zitroneneis, bitte. Ou plutôt une glace à la vanille avec des framboises chaudes? Oder lieber ein Vanilleeis mit heißen Himbeeren? Non merci, nous prenons deux boules, deux cornets. Nein danke, wir nehmen zwei Kugeln, zwei Waffeln, "eine für mich und eine für Gerlinde" – merci beaucoup.  (red)

Ausgerechnet beim 75. Geburtstag des Deutsch-Französischen Instituts vergangene Woche musste Letzteres einfach raus aus dem Ministerpräsidenten. Viele, klagte er bei der Feier im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg, hätten zwar ein paar Jahre Französisch gehabt in der Schule, könnten dann aber "nicht mal ein Eis bestellen" in Frankreich. Aus der Sicht Kretschmanns, der pikanterweise unlängst noch – zu Recht erfolglos, wie sich jetzt zeigt – deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter werden wollte, würden bei derart bescheidenen Lernerfolgen insgesamt "kleine Kerne" völlig genügen. Damit meint er vorrangig die derzeit neun bilingualen Grundschulen in der Rheinschiene oder die auch nur 18 deutsch-französischen Gymnasien in ganz Baden-Württemberg. Kretschmann selber kann, was die Lernerfolge betrifft, allerdings nicht aus eigener Erfahrung sprechen: In der Schule hatte er keinen Französischunterricht. Quel dommage, wie schade.

Kretschmann hofft auf ein Pfingstwunder durch KI

Doch ohnehin sieht der Technologiefreak aus dem oberschwäbischen Laiz ganz vieles von dem, was sonst noch so an Französischkenntnissen bei uns nötig ist für die Kommunikation mit dem Erzfeind von ehedem, in besten Händen bei simultan übersetzenden Geräten aus dem Schoße der Künstlichen Intelligenz. Per Knopf im Ohr "versteht jeder jeden", schwärmt da der Regierungschef und fühlt sich als Christ prompt an das "Jerusalemer Pfingstwunder" erinnert. Bei dem sprachen der Apostelgeschichte zufolge die Jünger erfüllt vom Heiligen Geist statt von KI auf einmal "mit fremden Zungen". Dass dieses Ereignis namens Xenoglossie eher eine der zahllosen biblischen Phantastereien ist, stört ihn offenbar so wenig wie das Kopfschütteln seiner Kritiker:innen – manchen gilt er, wie er selber sagt, als "Banause". Was ihn aber erst recht reizt, noch einen rauszuhauen: Ändern werde er sich nicht mehr in seinem Alter (75).

Kretschmanns Gedankengang in der deutschen – im Original natürlich schwäbischen – Kurzfassung: Immer mehr Wissen weltweit kostet immer mehr Aneignungszeit und -mühe, da kann Französisch und jede andere zweite Fremdsprache hinter dem alles dominierenden Englisch weitgehend weg. Linguistische Eleganz hat bei derart profanem Zweckmäßigkeitsdenken natürlich kaum noch Platz, ganz zu schweigen von dem Wohllaut. Oder von dem Beitrag, den des Französischen mächtige Deutsche zur Freundschaft der beiden Nationen leisten. Die völkerverbindende Wucht des Auftritts etwa eines – nennen wir ihn mal – Alois Scheuffele aus Muggensturm, der in einem Straßburger oder Colmarer Bistro kurz vor Mitternacht und akzentarm die unsterblichen Wortgirlanden aus Molières Tartuffe im O-Ton zu deklamieren oder Edith Piafs "Non, je ne regrette rien" zu intonieren verstünde, vermag Kretschmann sich wohl nicht einmal im schönsten Traum vorzustellen. Obwohl der Grüne doch so stolz ist auf die eigene Frankreich-Strategie Baden-Württembergs und sein Staatsministerium praktisch zeitgleich zu seinem verbalen Ausritt mit dem deutsch-französischen Bürgerportal "FRED.info"  punkten möchte, dem "neuen Instrument für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit". Rund 4,5 Millionen Menschen leben auf der elsässischen und der badischen Seite des Rheins. Über eine Viertelmillion pendelt täglich über den Fluss. Da schiene doch eher ein Plädoyer für mehr bilinguale Kompetenz und damit auch bikulturelles Verständnis angebracht.

Überdies müsste der frühere Lehrer Kretschmann (Biologie, Chemie, Ethik) erst mal plausibel machen, warum Französisch, Spanisch oder Italienisch allenfalls ein schulisches Mauerblümchendasein für die ganz besonders Interessierten fristen sollen, während beispielsweise die Hochseilmathematik der gymnasialen Oberstufe, die detailversessenen Mysterien der Chemie oder die Gesteine der chilenischen Anden schwer auf den Gemütern unseres Nachwuchses lasten dürfen. Warum aber sich aufhalten mit solchen Details?

Gardez l'église au milieu du village

"Ich wollte einen Stein ins Wasser werfen", rechtfertigt der MP den schrägen Vorstoß. Man solle eben nicht immer bloß die alten Lieder singen, also festhalten am Gewohnten. In zehn Jahren, so seine Prognose, werde der Knopf im Ohr den mehrsprachigen zwischenmenschlichen Austausch in vielen Bereichen dominieren. Seine Feststellung, das Interesse von Eltern und Kindern an Französisch sei sogar in der Grenzregion mittlerweile ziemlich überschaubar, trifft zu. Aber seit wann ist es Aufgabe des Bildungswesens, vor Missständen in die Knie zu gehen? Alors, Monsieur Kretschmann: Gardez l'église au milieu du village et aux écoles la langue du voisin. Will heißen: Lasst die Kirche im Ortskern und Französisch im Klassenzimmer.

Vielleicht hätte er sich in ganz jungen Jahren einfach mal so richtig vergucken müssen in eine Französin oder eine Italienerin, um den Reiz der Herausforderung zu schmecken beim Versuch zügiger Aneignung einschlägiger kommunikativer Potenziale? Kretschmanns Kultusministerin und Parteifreundin Theresa Schopper, an die der Regierungschef jetzt Presseanfragen zu diesem Themenkomplex zwecks Beantwortung weiterreicht, sagt da stets lebensklug: "Wenn man sich verliebt, ist es wichtig, auch eine gemeinsame Sprache zu sprechen." Und das wissende Lächeln, das sie aufsetzt, wird keine KI der Welt jemals hinkriegen.


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6 Kommentare verfügbar

  • Michael Maier
    am 17.07.2023
    Antworten
    Ob ein Leben gelungen, erfolgreich, glücklich war, lässt sich immer erst ganz vom Ende her beurteilen. Gilt für Angela Merkel ebenso wie für Herrn Kretschmann und seinen Kumpan Strobl. Manchmal beginnen die Leute sogar schon zu Lebzeiten zu lästern...
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