Ausgerechnet beim 75. Geburtstag des Deutsch-Französischen Instituts vergangene Woche musste Letzteres einfach raus aus dem Ministerpräsidenten. Viele, klagte er bei der Feier im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg, hätten zwar ein paar Jahre Französisch gehabt in der Schule, könnten dann aber "nicht mal ein Eis bestellen" in Frankreich. Aus der Sicht Kretschmanns, der pikanterweise unlängst noch – zu Recht erfolglos, wie sich jetzt zeigt – deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter werden wollte, würden bei derart bescheidenen Lernerfolgen insgesamt "kleine Kerne" völlig genügen. Damit meint er vorrangig die derzeit neun bilingualen Grundschulen in der Rheinschiene oder die auch nur 18 deutsch-französischen Gymnasien in ganz Baden-Württemberg. Kretschmann selber kann, was die Lernerfolge betrifft, allerdings nicht aus eigener Erfahrung sprechen: In der Schule hatte er keinen Französischunterricht. Quel dommage, wie schade.
Kretschmann hofft auf ein Pfingstwunder durch KI
Doch ohnehin sieht der Technologiefreak aus dem oberschwäbischen Laiz ganz vieles von dem, was sonst noch so an Französischkenntnissen bei uns nötig ist für die Kommunikation mit dem Erzfeind von ehedem, in besten Händen bei simultan übersetzenden Geräten aus dem Schoße der Künstlichen Intelligenz. Per Knopf im Ohr "versteht jeder jeden", schwärmt da der Regierungschef und fühlt sich als Christ prompt an das "Jerusalemer Pfingstwunder" erinnert. Bei dem sprachen der Apostelgeschichte zufolge die Jünger erfüllt vom Heiligen Geist statt von KI auf einmal "mit fremden Zungen". Dass dieses Ereignis namens Xenoglossie eher eine der zahllosen biblischen Phantastereien ist, stört ihn offenbar so wenig wie das Kopfschütteln seiner Kritiker:innen – manchen gilt er, wie er selber sagt, als "Banause". Was ihn aber erst recht reizt, noch einen rauszuhauen: Ändern werde er sich nicht mehr in seinem Alter (75).
Kretschmanns Gedankengang in der deutschen – im Original natürlich schwäbischen – Kurzfassung: Immer mehr Wissen weltweit kostet immer mehr Aneignungszeit und -mühe, da kann Französisch und jede andere zweite Fremdsprache hinter dem alles dominierenden Englisch weitgehend weg. Linguistische Eleganz hat bei derart profanem Zweckmäßigkeitsdenken natürlich kaum noch Platz, ganz zu schweigen von dem Wohllaut. Oder von dem Beitrag, den des Französischen mächtige Deutsche zur Freundschaft der beiden Nationen leisten. Die völkerverbindende Wucht des Auftritts etwa eines – nennen wir ihn mal – Alois Scheuffele aus Muggensturm, der in einem Straßburger oder Colmarer Bistro kurz vor Mitternacht und akzentarm die unsterblichen Wortgirlanden aus Molières Tartuffe im O-Ton zu deklamieren oder Edith Piafs "Non, je ne regrette rien" zu intonieren verstünde, vermag Kretschmann sich wohl nicht einmal im schönsten Traum vorzustellen. Obwohl der Grüne doch so stolz ist auf die eigene Frankreich-Strategie Baden-Württembergs und sein Staatsministerium praktisch zeitgleich zu seinem verbalen Ausritt mit dem deutsch-französischen Bürgerportal "FRED.info" punkten möchte, dem "neuen Instrument für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit". Rund 4,5 Millionen Menschen leben auf der elsässischen und der badischen Seite des Rheins. Über eine Viertelmillion pendelt täglich über den Fluss. Da schiene doch eher ein Plädoyer für mehr bilinguale Kompetenz und damit auch bikulturelles Verständnis angebracht.
Überdies müsste der frühere Lehrer Kretschmann (Biologie, Chemie, Ethik) erst mal plausibel machen, warum Französisch, Spanisch oder Italienisch allenfalls ein schulisches Mauerblümchendasein für die ganz besonders Interessierten fristen sollen, während beispielsweise die Hochseilmathematik der gymnasialen Oberstufe, die detailversessenen Mysterien der Chemie oder die Gesteine der chilenischen Anden schwer auf den Gemütern unseres Nachwuchses lasten dürfen. Warum aber sich aufhalten mit solchen Details?
Gardez l'église au milieu du village
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Michael Maier
am 17.07.2023