Karl Meier kann es kaum abwarten bis zu seinem Sommerurlaub. Als Maschinenbauer bei einem großen Automobilhersteller in Stuttgart hat er einen stressigen Job. Seinen richtigen Namen will Meier nicht in der Zeitung lesen, dafür will er dringend eine Auszeit. Nur er, seine Frau und die zwei Kinder, zwei und fünf Jahre alt, die jetzt endlich groß genug sind, um mit ihnen längere Reisen zu planen. Der 47-Jährige will nach Italien, vielleicht Kroatien. Hauptsache in die Sonne, an den Strand, "um mit den Kleinen mal im Sand spielen zu können, die kennen sonst ja nur den Stuttgarter Kessel". Im Juni soll es losgehen.
Doch bevor es in Richtung Süden geht, will Meier noch neue Reisepässe für die Kinder beantragen. Kurz vor Weihnachten 2022 hat er für sich selbst einen neuen Pass im Bürgerbüro Mitte organisiert. Gemeinsam mit seiner Familie lebt er in Stuttgart-Ost, dieses Mal will er dort ins Bürgerbüro. 2022 hat er mit zwei Wochen Vorlauf einen Termin bekommen, warum sollte es jetzt anders sein?
"Es hieß dann: Wartezeit bis Ende Juni, früher 'sei nichts zu machen'", erzählt Karl Meier. Ärgerlich, doch vielleicht gibt es ja in einem anderen Büro noch einen freien Termin. Auf der Website der Stadt Stuttgart schaut er nach Alternativen. "Ich habe dann bei jedem einzelnen Bürgerbüro in Stuttgart geguckt, überall dasselbe. Nirgends kriegt man einen Termin", sagt er. Ohne Termin keine Pässe, also kein Urlaub.
"Situation einer Landeshauptstadt nicht würdig"
Dass die Bürgerbüros in Stuttgart überlastet sind, ist kein neues Phänomen. Im Juni 2022 berichtete Kontext über die katastrophalen Zustände vor dem Bürgerbüro Mitte und der Ausländerbehörde in der Eberhardstraße. Menschen, die in ewig langen Schlangen in der prallen Sommersonne anstehen mussten, verärgerte Kund:innen, erschöpfte Mitarbeiter:innen. 2021 mussten die Stuttgarter Bürgerbüros allein wegen Personalmangels 149 Mal schließen. Auch wenn einer Befragung von 2018 zufolge in ganz Deutschland mehr als 49 Prozent der Menschen länger als zwei Stunden in Warteschlangen vor Ämtern stehen, ist die Situation in Stuttgart besonders dramatisch und für Landtagspräsidentin Muhterem Aras "einer Landeshauptstadt nicht würdig".
Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) machte die Situation dann eigenhändig zur "Chefsache" und rief – auch auf Druck des Gemeinderates hin – im August letzten Jahres ein Komitee ins Leben, das die Probleme ein für alle Mal lösen sollte: Die "Taskforce Bürgerbüro und Ausländerbehörde". Durch sie plant die Stadt, "die Leistungsfähigkeit der städtischen Bürgerbüros zu erhöhen und den Service für Bürgerinnen und Bürger zu verbessern". Wie eine schnelle Einsatztruppe sollte die Taskforce "alles, was kurzfristig optimierbar ist", umgehend umsetzen. Mit Fabian Mayer übernahm Noppers erster Bürgermeister und Parteikollege die Leitung, der OB versprach ein baldiges Ende der Misere.
Hauptproblem bleibt: fehlendes Personal
"Es sind nun neun Monate vergangen und ich frage mich, ob das Ganze nicht noch schlimmer geworden ist anstelle der versprochenen Besserung", sagt Karl Meier. "Es herrschen untragbare Zustände, über die ich richtig erschrecke. Die Stadt kommt hier ihrer eigenen Pflicht nicht nach. Wie kann das sein?"
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