Seit Anfang des Jahres gehört Deutschland zu den Staaten, die den Überfall der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im Sindschar-Gebirge als Genozid an den Jesid:innen verurteilen. Der Psychologe und Traumatologe Jan Ilhan Kizilhan gehörte zu den Sachverständigen, die im Berliner Menschenrechtsausschuss gehört wurden. Der Stuttgarter Professor mit den kurdischen Wurzeln kennt die Schicksale der Jesid:innen durch seine langjährige Arbeit vor Ort. Als der IS 2014 den Norden des Irak überfiel, beschloss die damals grün-rote Landesregierung, 1.000 Frauen und Kinder unbürokratisch in einem Sonderkontingent aufzunehmen. Es war Jan Ilhan Kizilhan, der die Frauen im Flüchtlingscamp im nordirakischen Dohuk behandelte und entschied, welche von ihnen nach Baden-Württemberg gebracht wurden. Für den 56-Jährigen ist es eine Aufgabe, die ihn auch menschlich berührt. Wer ihn in seinem Büro an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen besucht, sieht das Foto des jesidischen Mädchens, das ihm besonders am Herzen liegt. Er betreut sie seit Jahren.
Herr Kizilhan, wie geht es dem jesidischen Mädchen, das sich aus Angst vor einer Vergewaltigung durch den IS angezündet hat?
Sie wird durch ihren Körper und ihre Psyche tagtäglich daran erinnert, was passiert ist. Menschen, die äußerlich keine Narben haben, kann man im Alltag ablenken, das ist bei ihr schwierig. Aber sie ist ein großartiger Mensch, sie spricht perfekt deutsch, fast ohne Akzent, sie hat es geschafft, alleine zu leben, ihren eigenen Weg zu gehen, ist viel unterwegs, hat Freunde. Aber wenn es ihr überhaupt nicht gut geht, das passiert einmal im Jahr oder alle zwei Jahre, dann kommt sie zu mir in stationäre Behandlung, um die Dinge aufzuarbeiten. Aber sie geht ihren Weg gut, wenn man bedenkt, was sie erlebt hat. Sie hat den Wunsch, Anwältin zu werden. Das ist sehr häufig bei Überlebenden, dass sie für die Gerechtigkeit kämpfen wollen, weil ihnen Unrecht angetan wurde.
Das Verbrechen an den Jesid:innen wurde Anfang dieses Jahres im Bundestag einstimmig als Verbrechen anerkannt. Auslöser war eine Petition, die Sie auch mitgetragen haben. Nun gibt es im Land eine weitere Petition, initiiert vom baden-württembergischen Flüchtlingsrat. Hier geht es um 18 jesidische Frauen, die immer noch auf den Nachzug ihrer Männer warten.
Diese Petition ist sehr wichtig. Aus psychotherapeutischer Sicht und als Mensch unterstütze ich diese Petition ohne Wenn und Aber. Diese Männer müssen zu ihren Frauen kommen können.
Aber Sie haben die Petition nicht unterschrieben. Das überrascht.
Ich war der therapeutische Initiator des baden-württembergischen Sonderprojektes und wollte nicht, dass es die Petition negativ beeinflusst mit meiner Unterschrift.
Man sollte meinen, dass es der Petition eher helfen würde.
Ich wollte so weit wie möglich meine Neutralität bewahren und möchte vermitteln, damit es zu einer Lösung kommt. Es geht nicht um meine Unterschrift, sondern um den Inhalt. Wenn die Petition durch ist und wenn ich vom Parlament eingeladen werde, werde ich genau das sagen: dass eine Zusammenführung für den Heilungsprozess der Frauen unheimlich wichtig ist. Die Situation im Irak ist sehr unübersichtlich und konfliktreich. Immer noch werden Leichen, werden Massengräber gefunden. Jesiden dürfen nicht in ihre Heimatdörfer. Das belastet die Frauen auch hier, sie machen sich Sorgen um ihre Männer. Diese Männer haben gesagt, geht, es ist besser für euch, weil ihr schwer traumatisiert seid. Ich denke, man sollte auch die Männer dafür würdigen, dass sie diesen Schritt gemacht haben.
Es gibt viele Fürsprecher wie Sie, es gibt gute Argumente und es geht um eine überschaubare Zahl von 18 Männern. Warum tut sich da nichts?
Ich kenne keine inhaltlichen Argumente. Für mich scheint das eine politisch-juristische Situation zu sein, in der die Koalitionsparteien sich nicht einigen können. Und das ist schade. Ja, es geht um 18 Personen und aus meiner Sicht gehören diese 18 Personen noch zu dem baden-württembergischen Sonderkontingent, weil wir ja ihre Frauen nach Deutschland geholt haben.
Warum also passiert nichts seit der öffentlichkeitswirksamen Aktion vor sieben Jahren, als das Sonderkontingent eine Sache Kretschmanns wurde und im Land mit Nadia Murad sogar eine spätere Friedensnobelpreisträgerin aufgenommen wurde? Eine Sprecherin des Staatsministeriums beteuert, dass in den vergangenen Jahren alles getan worden sei, um Familienzusammenführungen zu unterstützen. Doch man sei an die Regelungen des Bundes zum Familiennachzug gebunden und an die Zustimmung der Aufnahmekommune.
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Ma Nu
am 13.03.2023https://weact.campact.de/petitions/familienzusammenfuhrung-von-jesidischen-familien-jetzt