Herr Kizilhan, Sie haben 2015 daran mitgewirkt, 1000 jesidische Frauen, die in IS-Gefangenschaft waren, mit ihren Kindern nach Baden-Württemberg zu holen und sie therapeutisch zu betreuen. Ist das Projekt ein Erfolg?
Aus meiner Sicht ja. Es gab keine Vorbilder für dieses Vorgehen. Weder die UN noch andere Organisationen hatten je so etwas gemacht. Wir waren natürlich sehr stark von diesen Bildern des Terrors beeinflusst und wollten die Frauen aus zwei Gründen rausholen: weil sie unmittelbar als Überlebende diese Gräuel erlebt hatten und weil wir bei den Jesiden vermutet haben, dass ihre eigene Gemeinschaft sie aufgrund der Vergewaltigungen ausschließt. Und wenn ich die Erfolgsgeschichte von Nadja Murad, die jetzt Friedensnobelpreisträgerin ist, ansehe, was hätten wir noch besser machen können? Ich habe sie in den Zelten eines Flüchtlingscamps gefunden in einer schlimmen Situation, voller Angst, erschrocken und weinend.
Sie selbst sind 1972 mit sieben Jahren von Kurdistan nach Deutschland gekommen. Wie haben Sie das erlebt?
Es war im März in Hannover. Ich war erst einmal so überwältigt von den neuen Reizen: ich hatte noch nie ein Flugzeug betreten, so viele hundert Autos, Straßen, Leuchten, die hohen Häuser. Das nahm ja kein Ende. Und man schaut sich neugierig um: Was kommt jetzt noch?
Wie wurde Deutschland zu Ihrem zuhause?
Ich glaube, Sicherheit war wichtig. In der Türkei hatten wir Angst vor Soldaten, die immer wieder ins Dorf kamen. Die Schule war wichtig. Die Schule hat auch Sicherheit für mich bedeutet, obwohl ich ein halbes Jahr lang überhaupt nichts verstanden habe. Ich war der einzige Ausländer in der Klasse und ich hörte mir an, was die sagten, und es kam mir alles so merkwürdig vor. Aber Kinder können sich ja gut nonverbal verständigen. Wenn man gut und gern Fußball spielt, dann findet man auch schnell Freunde.
Ihre Reise nach Deutschland war keine Flucht. Was ist anders für Kinder, die Krieg und eine Flucht hinter sich haben?
Ich behandele viele Kinder und Jugendliche und sehe, was Krieg aus Menschen macht. Jetzt war ich wieder im Irak. Ich habe einen Jungen erlebt, der in IS-Gefangenschaft zum Kindersoldaten ausgebildet werden sollte und dann im Wirrwarr verloren gegangen ist. Seine Mutter war in Gefangenschaft geraten. Der Vater ist vor den Augen des Jungen erschossen worden. Die Mutter konnte fliehen und die beiden haben sich im Flüchtlingscamp wieder getroffen. Der Junge hat drei Monate gebraucht, um wieder mit seiner Mutter zu sprechen. Er hatte das Gefühl, seine Eltern hätten ihn im Stich gelassen.
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