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Weiler Tunnel in Schwäbisch Hall

Farce mit Röhre

Weiler Tunnel in Schwäbisch Hall: Farce mit Röhre
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Ein Tunnel in Schwäbisch Hall wird wohl gebaut, obwohl der Bau Unmengen CO2 in die Atmosphäre bläst. Obwohl er doppelt so teuer werden könnte wie geplant. Stärkstes Argument für das Projekt: Sonst wird das ganze Geld ja in NRW vergraben.

Seit Jahrzehnten stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Wird er nun gebaut, oder wird er nicht gebaut? Der Weiler Tunnel in Schwäbisch Hall, erdacht in den Sechzigerjahren, ursprünglich mal auf 36 Millionen Euro, dann auf 49,1 geschätzt, mittlerweile 100 Millionen teuer. Jetzt deutet sich an: Der Tunnel wird vermutlich kommen. Möglicherweise aber anders als gedacht.

Worum geht’s: Der knapp 400 Meter lange Tunnel ist als "Verlegung der B14/B19 in Schwäbisch Hall" vorgesehen und ist der letzte Abschnitt der Stadtumfahrung. Die Tunnelstrecke ist Teil des vierspurigen Ausbaus der durch Schwäbisch Hall führenden Bundesstraße. Jahrelanges Ärgernis waren die täglichen Staus in der Weiler Vorstadt, wo die Straße durch das gerade einmal knapp elf Meter breite Eisenbahnviadukt führt. Inzwischen ist die Strecke jedoch von einem Großteil des Durchgangsverkehrs entlastet durch die 2011 fertig gestellte Westumfahrung, die gebaut wurde, um den Verkehr aus dem Kochertal aus der Innenstadt herauszuhalten. Daran wiederum schließt sich die Frage an: Braucht es den Tunnel dann noch?

Ein halber Tunnel für den Preis eines ganzen

Paul Michel sagt ganz klar: Nein. Vor fast genau einem Jahr haben wir über den Schwäbisch Haller vom "Bündnis Mobilitätswende" berichtet. Er fühle sich, sagte er damals, wie Don Quijote, der gegen bürokratische Windmühlen und Umweltzerstörung kämpfe. Denn Tunnelgegner wie Michel gibt es nicht viele im Ort, auch die Mehrheit der Haller Gemeinderäte ist für den Bau.

Allerdings: Bei den für die Umsetzung Verantwortlichen im Land scheinen mittlerweile auch Bedenken an der Ursprungsplanung aufgekommen zu sein. Als der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann diese am Rande einer Veranstaltung Ende vergangenen Jahres in Schwäbisch Hall anklingen ließ, fühlten sich die Kritiker in Hall bestärkt.

Hermann hatte damals darauf hingewiesen, dass seiner Meinung nach wegen schwieriger Bodenbeschaffenheit, explodierender Kosten und geringerer Verkehrszahlen auf der Strecke das Vorhaben überdacht werden sollte. Als Kompromiss schlug das Verkehrsministerium dann vor, statt eines zweiröhrigen doch nur einen einröhrigen Tunnel zu bauen und damit die Kosten zu halbieren, oder besser: für die Hälfte des Baus so viel zu zahlen, wie für den ganzen einmal geplant war.

In einer von den Haller Grünen beantragten Sondersitzung stand denn auch kürzlich nur ein Punkt auf der Tagesordnung: Ein Sachstandsbericht von Stadt und Regierungspräsidium. Rund 100 Interessierte waren da, aber zur Enttäuschung von Befürwortern und Kritikern hatte die dreistündige Sitzung nur einen äußerst geringen Neuigkeitswert. Halls Oberbürgermeister Daniel Bullinger (FDP) machte gleich zu Beginn deutlich: Es gehe nicht um das Ob, sondern um das Wie. Da das Vorhaben im Bundesverkehrswegeplan gesetzt ist, werde das Geld ohnehin anderswo in Deutschland verbaut und gehe den Hallern durch die Lappen. Und bevor es nach Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen fließt, sollte es doch bitteschön im Land verbaut werden, meinen die Befürworter im Rat.

Die Grünen machen jetzt auch mit

Klar wurde in der Sitzung, dass das Regierungspräsidium keine Veranlassung sieht, eine von den Grünen und der Vertreterin der Linken erneut angeregte Nullvariante zu prüfen. Sie hätten vielmehr den klaren Auftrag, im Sinne der Verkehrstauglichkeit und Wirtschaftlichkeit die beste Tunnelvariante umzusetzen, hieß es. Nun zeigen sich auch die Grünen, bisher eher skeptisch, was den Tunnelbau betraf, gesprächsbereit. Nach Ansicht der Kritiker sind auch sie nun eingenordet als Teil der der Projektgruppe, in der sich alle Verantwortlichen für den Tunnel und Vertreter aller Fraktionen weiter mit dem Projekt beschäftigen. Das erklärte Ziel der Grünen ist nun ein stimmiges Mobilitätskonzept für Hall.

Nachdem ein Antrag der Grünen auf Baustopp vor zwei Jahren mit einer Mehrheit von 18 zu 11 Stimmen abgelehnt worden war, sieht der Liberale Walter Döring, ehemaliger baden-württembergischer Wirtschaftsminister, heute Haller FDP-Stadtrat, ohnehin überhaupt keine Veranlassung mehr, über einen möglichen Verzicht auf einen Tunnel nachzudenken. Er pocht auf endgültige Klärung.

Sein Parteifreund Michael Theurer aus Baden-Württemberg, inzwischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, hatte sich schließlich der Sache angenommen und neuen Schwung in die Angelegenheit gebracht. Als Gastredner beim Neujahrsempfang der Kreis-FDP in Schwäbisch Hall zeigte er sich Anfang des Jahres überzeugt, dass das Projekt umgesetzt werde – in welcher Form auch immer. Dass vom Bund als Bauherr grundsätzlich die Sache auf ihre Verkehrswirksamkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werde, bezeichnete er als Routinevorgang bei vergleichbaren Projekten.

Die Verringerung des Verkehrsaufkommens durch die Westumfahrung hat indes ganz gut geklappt. Mittlerweile fahren dort statt der ursprünglich prognostizierten 32.000 nur noch etwa 21.600 Fahrzeuge. Für den bei vielen Nachfragen unbeholfen wirkenden Haller Baubürgermeister Peter Klink ist dieses Aufkommen angesichts eines Schwellenwerts von rund 8.000 Fahrzeugen beim Lärmaktionsplan noch viel zu hoch. Wie dieses Problem – mit oder ohne Tunnel – zu lösen sein könnte, bleibt allerdings weiter unklar, denn das von der Stadt in Auftrag gegebene Mobilitätskonzept steht noch immer aus.

Städtebauliches Konzept fehlt immer noch

Und das ist nicht die einzige Leerstelle. Während die Befürworter auch auf eine mögliche Aufwertung der Weiler Vorstadt und des Katharinenviertels setzen, konnte die Kommune bisher kein städtebauliches Konzept vorlegen. Und nachdem Probebohrungen gezeigt haben, dass der Untergrund viel instabiler ist als erwartet und dies die Kosten immens in die Höhe treibt, lässt das geologische Gutachten nun bis Ende des Jahres 2023 auf sich warten. Bis dahin passiert in Sachen Weiler Tunnel auf jeden Fall nichts.

Tunnelgegner Paul Michel zeigte sich nach der Sitzung enttäuscht. Wie andere Zuhörerinnen und Zuhörer hatte er den Eindruck, dass die Verantwortlichen mit langen und ermüdenden Ausführungen zur Geschichte des Projekts und den neuen Vorzügen eines einröhrigen Tunnels von der Tatsache ablenken wollten, dass kein schlüssiges Mobilitäts- und Städtebaukonzept vorliegt. Das in den 1960er Jahren geborene Projekt, das in dieser Form in den 1980er Jahren geplant worden ist, und für das es auf Grundlage eines Bebauungsplans aus den 1990er Jahren schließlich 2015 eine Baufreigabe gegeben hat, lehnt das "Bündnis Mobilitätswende" weiterhin strikt ab. Ohnehin seien in der Weiler Vorstadt nur wenige Anwohner direkt vom Straßenverkehr betroffen.

Auch, weil keiner weiß, ob das dank der Westumfahrung gesunkene Verkehrsaufkommen mit Bau des Tunnels nicht doch wieder mehr wird. Denn erleichtert der Tunnel die Taldurchfahrt, könne die Zahl wieder ansteigen, befürchten die Kritiker. Abgesehen davon sei es in Zeiten des Klimawandels unverantwortlich, Unmengen des Klimakillers Beton in einem Tunnel zu verbauen.

Bisher hat das Bündnis Mobilitätswende immer den Bund der Steuerzahler (BdS) als Kronzeugen anführen können. Dieser hatte schon vor zwei Jahren den Weiler Tunnel als eines von elf Projekten in seinem "Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung" aufgenommen. Nach dem Vorstoß des Landesverkehrsministeriums hat sich die Einschätzung jedoch geändert.

Tunnel untergräbt das Klimaschutzkonzept des Landes

"Der Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg wertet den Vorstoß des baden-württembergischen Verkehrsministeriums, die Notwendigkeit des Baus des Weilertunnels in Schwäbisch Hall nochmals kritisch zu hinterfragen, positiv", heißt es jetzt auf Nachfrage. Die abgespeckte Version mit nur einer Tunnelröhre wird nach Ansicht des BdS voraussichtlich zu Einsparungen für die Steuerzahler führen. Das schreibt sich die Interessenvereinigung auch selber auf die Fahnen: "Die Kritik an dem aktuell mit rund 100 Millionen Euro veranschlagten Projekt im Schwarzbuch 2021 hat gewirkt und offenbar zu einem Nachdenken in der Politik geführt."

"Der Weiler Tunnel ist ein völlig überflüssiges Projekt", heißt es dagegen in einem Flugblatt, das die Kritiker um Paul Michel vor der Sondersitzung des Gemeinderats verteilt hatten. Sie fordern eine echte, klimafreundliche Verkehrswende. Weg von Auto und Straße hin zum öffentlichen Verkehr mit Bussen und Bahnen. Daran ändere sich auch mit einem einröhrigen Tunnel nichts.

Angesichts des rasant fortschreitenden Klimawandels ist nach Ansicht der Kritiker eine Verlagerung des Verkehrs auf Füße, Pedale und Bahn schnellstmöglich erforderlich. Sie verweisen auch auf das Landesklimaschutzgesetz von Baden-Württemberg, zuletzt novelliert im März 2022. Darin stehe explizit, dass Maßnahmen, die zu einem Plus an CO2 führen, abzulehnen sind, und dass insbesondere der Verkehrssektor die CO2-Emissionen bis 2030 auf 50 Prozent des Niveaus von 1990 zu reduzieren hat. Sie bezweifeln, ob das mit dem Bau des Weiler Tunnels umzusetzen sei. 


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1 Kommentar verfügbar

  • Dani
    am 15.02.2023
    Antworten
    Jedes Mal, wenn ich an der Stelle, an der früher der Club Alpha 60 seinen Standort hatte, vorbei komme, keimt in mir der Verdacht, dass ein wichtiger Aspekt beim unbedingten Durchdrückenwollen dieses Nonsens-Projekts seitens "konservativer" (angesichts der Umweltzerstörung, die durch diese…
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