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Grüne und die Schuldenbremse

"Mir ist wurscht, wo das Geld herkommt"

Grüne und die Schuldenbremse: "Mir ist wurscht, wo das Geld herkommt"
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Lena Schwelling, die Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, hat sich ausgerechnet in der heiklen Finanzpolitik gegen ihren Parteikollegen Ministerpräsident Kretschmann gestellt: Sie will die Schuldenbremse aufweichen und "volles Rohr" investieren. Ein Gespräch.

Lena Schwelling war Landesvorsitzende der Grünen Jugend und hat zum Team gehört, das die Koalitionsverhandlungen 2016 führte. Seit neun Monaten ist die 30-jährige Ulmer Gemeinderätin Teil der Doppelspitze der Grünen in Baden-Württemberg.

Frau Schwelling, wie ändern die aktuellen Krisen das Leben der grünen Landesvorsitzenden?

Da muss ich unterscheiden zwischen politisch und persönlich. Als Stadträtin beschäftigen mich die Krisen zum Beispiel im Aufsichtsrat der Stadtwerke Ulm. Da geht es um die Frage, wie wir mit den erhöhten Preisen umgehen und sie so weitergeben, dass niemand überlastet ist und niemandem die Energieversorgung abgedreht wird. Als Landesvorsitzende geht es darum, schwere Entscheidungen mitzutragen, zu erklären und auch mal Unmut abzufangen. Persönlich gehöre ich aber zu den Privilegierten, die höhere Preise zwar registrieren, aber nicht unter den Auswirkungen leiden. Wenn ich höre, wie jetzt versprochen wird, niemanden allein zu lassen, wie etwa auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des dritten Entlastungspakets am Sonntag in Berlin, dann möchte ich den Fernseher anschreien: Doch, lasst mich ruhig allein, ich kann die Preissteigerungen tragen, und gebt das Geld denen, die es brauchen.

Jetzt gibt es Stimmen, die alle, die keine Entlastung brauchen, auffordern, das Geld zu spenden.

Das ist eine schöne Idee und es wäre wunderbar, wenn viele ernsthaft prüfen, ob sie die 300 Euro Energiepauschale oder einen Teil davon abgeben. Aber Politik darf nicht auf solche Gesten setzen. Unsere Aufgabe ist es, die Lasten fair zu verteilen und zielgerichtet zu entlasten. Wenn die Streuung bei den Entlastungen zu groß ist, sind es auch die finanziellen Verluste. Und dieses Geld fehlt uns dann im Kampf gegen den Klimawandel.

Das heißt, Sie sind nicht wirklich zufrieden mit dem dritten Entlastungspaket?

Das dritte Entlastungspaket korrigiert frühere Fehler, beispielsweise im Umgang mit Rentnerinnen oder Studierenden. Und es trägt eine grünere Handschrift, weil Dinge wie der Tankrabatt nicht mehr enthalten sind. Ich glaube aber, wir müssen uns einem sehr grundsätzlichen Thema stellen: Der Staat kann nicht alle Krisenfolgen tragen. Wenn ich jetzt höre, es sei zu wenig für die Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen getan worden, dann sage ich: Das ist auch richtig. Ich sage es noch mal: Ich selbst komme klar und mit mir auch viele andere Leute. Die Gelder, die jetzt ausgegeben werden, sind weg. Wir stehen aber vor riesigen Aufgaben, für die wir sehr viel Geld brauchen.

Reichen da die 93 Millionen Euro, die nach den Beschlüssen der Haushaltskommission vom Land selber in die Hand genommen werden sollen?

Nein, natürlich nicht. Aber mehr Geld ist unter den gegebenen Voraussetzungen nicht da und das ist ein Problem. Das Entlastungspaket des Bundes berührt die Länderhaushalte auch massiv und das mindeste wäre, dass wir ein Mitspracherecht haben. Ganz entscheidend sind beispielsweise die Regionalisierungsmittel, die wir für den Ausbau der Schieneninfrastruktur brauchen, und zwar deutlich mehr davon, denn die dafür notwendigen Summen lassen sich aus dem Landeshaushalt allein nicht rausschwitzen.

Sie wollen erreichen, dass gerade mit Blick auf das Klima, ich zitiere, "volles Rohr" investiert wird. Wie sind die Reaktionen auf die Forderung, die Schuldenbremse in ihrer heutigen Form aufzugeben?

Ehrlich gesagt hat es mich selbst überrascht, wie viele positive Reaktionen bei mir angekommen sind. Aus der Partei, aus der Fraktion und von der Grünen Jugend. Es ist sowieso ein historisch einmaliger Vorgang, dass sich die Grüne Jugend zu hundert Prozent an die Seite der Landesvorsitzenden stellt. Darüber habe ich mich riesig gefreut.

Und was sagt die CDU, nachdem Innenminister Thomas Strobl ja schon selber eine Ausnahme im Haushalt für die Polizei und seine Innere Sicherheit gefordert hat?

Das ist in der Tat ziemlich witzig, denn nachdem Strobl bei den Polizeistellen eine Ausnahme des Haushaltsvorbehaltes gefordert hat, haut seine Generalsekretärin erstmal einen markigen Spruch zur unbedingten Einhaltung der Schuldenbremse raus. Ich habe den Eindruck, die müssen da auch intern nochmal was klären. Aber noch lieber wär's mir, wenn der Koalitionspartner auch an Lösungen mitarbeiten würde, denn die Herausforderungen sind ja da und lassen sich allein durch Sprücheklopfen nicht wirklich lösen.

Sie haben die Herausforderungen jenseits von Corona und Krieg angesprochen. Warum fällt es gerade der Partei, die seit ihrer Gründung gegen Umweltzerstörung kämpft, so schwer, die notwendigen Schlüsse im sich immer weiter zuspitzenden Kampf gegen die Klimakrise zu ziehen?

Wir haben wirklich alle nötigen Konzepte, Ideen und Pläne in der Schublade …

… was aber nicht hilft, wenn sie nicht umgesetzt werden.

Stimmt. Hier kommt das Selbstverständnis unserer Landespartei in Spiel. Wir regieren in Baden-Württemberg zwar seit 2011, gleichzeitig wissen wir auch um die Besonderheit dieser Situation, das ist Grünen noch nirgends auf der Welt gelungen. Also gehen wir sehr achtsam damit um. Wir wissen, dass wir die Klimakrise nur mit den Menschen und nicht gegen sie werden aufhalten können. Und die Leute mögen es nicht, wenn sich die Politik in ihren persönlichen Lebensstil einmischt. Die fünf Mark für den Liter Benzin und der Veggie-Day hängen uns da beispielsweise noch in den Kleidern, und da müssen wir sie rausschütteln. Jetzt sind wir aber an dem Punkt, wo wir klar benennen müssen, was passiert, wenn wir genau mit diesen Konzepten, Ideen und Plänen nicht in die entscheidende Umsetzung kommen. Und da brauchen wir mehr Tempo und mehr Mut.

Neckarwestheim II spätestens im April vom Netz

Über die Grünen fegt ein Proteststurm gleich von zwei Seiten hinweg, weil Robert Habeck zwei Atommeiler in Süddeutschland nach dem Jahreswechsel doch noch für einige Wochen im Vorsorgebetrieb lassen will. Und die Zeiten sind zu ernst, um sich gemütlich zurückzulehnen nach der Devise, dass man ja wohl so falsch nicht liegen kann, wenn Atomkraftgegner:innen und Fans längerer Laufzeiten gleichermaßen opponieren. Für die Grünen-Landesvorsitzende Lena Schwelling ist das Entscheidende, dass es "mit uns keine Laufzeitverlängerung für die Hochrisikotechnologie Atomkraft gibt". Spätestens Mitte April sei Neckarwestheim II vom Netz. Außerdem würden die AKW erst einmal keinen Strom mehr einspeisen, sondern in die Reserve genommen – "und wir hoffen, dass es nicht notwendig wird, auf diese Reserve zurückzugreifen". Was absurderweise an den vielen Atommeilern in Frankreich liegt, die aus Alters- und Reparaturgründen noch immer nicht wieder am Netz sind. Und daran, dass die Nachbarn jedes Jahr bei Beginn der Heizsaison besonders viel Strom brauchen. Anstatt, wenn schon auf Kernenergie setzend, Europa auszuhelfen in der Gasmangellage, verknappt Frankreich das Angebot also zusätzlich. Zudem sind sogar die Betreiber der Atommeiler selber nicht wirklich begeistert von der Idee, sie noch nicht für immer vom Netz zu nehmen – allzu durchsichtig soll sie CDU und FDP dazu dienen, die Grünen zu piesacken. Die mit in Landesbesitz befindliche EnBW jedenfalls will für Neckarwestheim II prüfen, ob es übers Jahresende hinaus betriebsbereit gehalten werden kann. (jhw)

Auf dem Landesparteitag am letzten September-Wochenende?

Sicher wird das Klimaschutzgesetz Thema sein, weil es da weiterhin viel mit der CDU zu besprechen gibt. Insgesamt müssen wir präzise hinschauen: Bei den Erneuerbaren Energien können wir auch mit Hilfe von privatem Kapital vorankommen. Bei der Verkehrswende ist das nicht so, die ist ohne hohe Investitionen nicht möglich. Und anders als beim Entlastungspaket ist dieses Geld auch nicht weg, denn gut gepflegte Straßenbahn-Infrastrukturen halten zum Beispiel hundert Jahre und länger. Es ist fatal, dass lohnenswerte Investitionen nicht möglich sind, weil das Geld fehlt. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Thema Schuldenbremse daher auch auf dem nächsten Bundesparteitag Thema sein wird, weil es doch in Wirklichkeit niemanden mehr gibt, der mit der Schuldenbremse in ihrer heutigen Form zufrieden ist.

Eine zweite Stellschraube wäre, die ausgesetzte Vermögenssteuer wieder einzuführen.

Mir ist das, ehrlich gesagt, wurscht, woher das Geld kommt. Ich weiß natürlich, dass eine Wiedereinführung kompliziert würde, aber die Reform der Schuldenbremse ist auch nicht einfach. Wir brauchen finanzielle Mittel für die Aufgaben, die private Investoren und der Markt nicht lösen.

Da gibt es ja einen prominenten Mitstreiter, denn sogar Winfried Kretschmann sagt, dass die Instrumente des Marktes zur Lösung der Menschheitsaufgabe Erderwärmung nicht die richtigen sind. Weil der Markt uns dorthin gebracht hat, wo wir heute stehen …

… das ist absolut richtig und gerade an den Strompreisen zu sehen. Strom ist nicht knapp, hängt aber am Gas, und so schnellen die Preise nach oben. Es geht um mehr, es geht um die elementaren Dinge unserer Daseinsvorsorge, um Energie, Wasser, Lebensmittel, um alles, was das würdevolle Leben von Menschen ausmacht. Damit darf nicht spekuliert werden. Der Markt ist an zu vielen Stellen – nehmen wir Gesundheit und Pflege – zu sehr auf Gewinne aus. Das ist eine Entwicklung, die korrigiert werden muss.

Tun die Grünen genug oder laufen sie Gefahr, 2026, nach immerhin 15 Regierungsjahren mit leeren Händen dazustehen, gerade im Kampf gegen die Erderwärmung?

Es hat sich viel verändert – gesellschaftspolitisch, im zwischenmenschlichen Umgang, in der Bildungspolitik. Klar ist aber auch: Elementare Bestandteile der Grünen Gründungsbewegung und der heutigen Grünen DNA sind der Natur-, der Umwelt- und der Klimaschutz. Das ist unsere zentrale Aufgabe, dafür sind wir als Grüne einst gegründet worden und das müssen wir einlösen! Und nicht, weil wir jetzt schnell noch mal die Welt retten wollen. Der Natur ist es egal, ob die Gletscher schmelzen, die Wüsten sich ausbreiten und die Wälder abbrennen. Aber wir Menschen kommen an einen Punkt, an dem wir auf diesem Planeten nicht mehr leben können. Alles zu tun, damit es so weit nicht kommt, für unsere Kinder, Enkel und die nachfolgenden Generationen, ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir hatten dieses wunderbare Plakat, auf dem stand: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Das ist richtiger denn je, aber wahr ist auch, dass wir damit schon 1983, vor fast 40 Jahren, in den Wahlkampf gezogen sind. Wenn wir diesen Satz jetzt nicht ernst nehmen, ist alles andere, was wir erreicht haben, irgendwann nichts mehr wert. Das ist die Wahrheit.


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