"Wir bieten Personen, die sich das Leben nehmen wollen, unsere Dienste an", erklärt der mysteriöse Herr Sayyid der 32-jährigen Salam im Bewerbungsgespräch das Angebot seiner Agentur: "Wir unterstützen sie beim Verfassen eines guten Drehbuchs für ihren Suizid, das ihrem letzten Moment hier auf Erden angemessen ist, und dann sind wir ihnen dabei behilflich, diesen letzten Moment mit einer hochwertigen und präzisen Kamera festzuhalten."
Die Suizid-Agentur, auf deren Stellenausschreibung sich die arbeitslose Schriftstellerin Salam bewirbt, heißt "Paradise" im gleichnamigen ersten Roman der 31-jährigen sudanesischen Schriftstellerin Sabah Sanhouri. Salam – der Name bedeutet auf Deutsch "Frieden" – soll die "Drehbücher", die Todesszenarien für die zahlenden Kunden schreiben. Die Autorin hat offenbar eine Vorliebe für das Spiel mit Widersprüchen und Paradoxien.
Im beißenden Kontrast von Himmel und Hölle, Illusion und Realität schwingt ein gewisser Sarkasmus mit. Der durchaus gewollt ist, wie Sanhouri im Gespräch mit Kontext verrät: "Man kann die Themen Selbstmordgedanken und Depression nicht hinunterschlucken, ohne darüber auf eine deprimierende Art und Weise zu scherzen."
Bereits 2009 bekam Sanhouri, geboren 1990 in der Hauptstadt des Sudan Khartum, für ihre Kurzgeschichte "Isolation" den in der arabischen Welt sehr anerkannten Tayeb Salih Creative Writing Award für junge Autor:innen. Ihr Roman-Debüt "Paradise" wurde 2019 auf Arabisch veröffentlicht, dieses Jahr veröffentlichte ihn der in Tübingen und Berlin ansässige Verlag Schiler & Mücke das erste Mal in deutscher Sprache, übersetzt von Christine Battermann und Teil der Reihe "Swallow Editions", die der syrisch-deutsche Autor Rafik Schami herausgibt. Ursprünglich schrieb die studierte Betriebswirtin und freiberufliche Texterin Sanhouri ihr Werk als Theaterstück: "Es war eine tragische Komödie, eine schwarze Komödie. Aber dann änderte ich plötzlich meine Meinung. Ich begann darüber nachzudenken, dass es nicht diese leichte und klischeehafte Sache ist." So vertiefte sie die Idee, baute ihre Charaktere noch weiter aus und "fing an, ihre Bedrückung und ihre Kämpfe, ihre Probleme und ihren inneren Dialog zu entwickeln." Aus dieser Entwicklungsgeschichte heraus finden sich in "Paradise" zahlreiche szenische Darstellungen und Dialoge.
Die Situation im Land führt zu Suizid
Hinter dem Thema Suizid stecken im Buch wiederum gesellschaftliche Missstände: "Ich wollte darauf hinweisen, dass der Staat, die Regierung und die Situation im Sudan zu Suizid und Mord führen", sagt Sanhouri. "Ich schrieb das Buch vor der letzten Revolution." Massenproteste führten 2019 zum Sturz des Diktators Omar Al-Baschir, seitdem gibt es ein Ringen zwischen militärischer und ziviler Regierung. Die circa 30 Jahre unter dem "wirklich sehr islamistischen Baschir-Regime" bezeichnet die Autorin als "eine riesige deprimierende Wolke". Journalist:innen sind entführt und gefoltert worden, Schriftsteller:innnen wurden aus den Buchläden verbannt und durften ihre Bücher nicht mehr veröffentlichen, Aktivist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen waren Repressionen ausgesetzt, so Sanhouri.
Auch sie selbst erlebte oft die Willkür der Sicherheitskräfte der Regierung. Sanhouri erzählt von ihrem Projekt #OneDayFiction, das Schreib-Workshops umfasst für junge Menschen, auch solche mit Behinderung und in Gefängnissen, in verschiedenen Bundesstaaten des Sudan. Das Projekt hat sie 2016 ins Leben gerufen, weil sich "die kulturelle Bewegung nur in der Hauptstadt Khartum abspielt", und weil sie in einer Organisation arbeitete, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Da es damals im Sudan "für alles eine Genehmigung" gebraucht habe, ließ sich Sanhouri vor Beginn der Workshops eine solche ausstellen.
"Warum trägst du kein Kopftuch?"
Als Sanhouri einen Workshop an der Universität in einem Bundesstaat im Zentrum des Sudans begann, tauchten trotz Genehmigung "Polizisten" auf, wobei Sanhouri betont, dass es keine offiziellen waren, sondern eine Art private Truppe: "Sie sind einfach in den Workshop eingedrungen, haben die Tür und die Tische eingeschlagen." Die Männer stritten ab, dass eine Genehmigung vorliege, und fragten Sanhouri: "Was macht ihr denn da? Warum trägst du kein Kopftuch? Warum trägst du Hosen und was machst du da? Schreibwerkstatt, ist das eine Art von Politik? Bist du eine Kommunistin? Folgst du Marx?" Sanhouri verlegte daraufhin den Workshop in das Haus eines Freundes. Solche Versuche habe es öfter gegeben: "In vielen Staaten war ich jedes Mal mit dem gleichen Szenario konfrontiert."
Sogar bei einer Lesung in einer Volkshochschule im US-Bundesstaat Iowa störte ein offensichtlich fundamentalistischer Sudanese 2014 ihre Lesung: "'Warum bist du hier? Warum trägst du kein Kopftuch? Was ist das für eine Art zu schreiben?' Als die Zuhörer:innen ihn zu beruhigen begannen, brachte er den heiligen Koran und sagte: 'Das ist ein Geschenk für dich, das wird dich auf den richtigen Weg bringen, das Schreiben zu vergessen und die richtigen Dinge zu tun.'"
Taffe und sich unterwerfende Frauen
Der "richtige" Weg, die "richtigen" Dinge – auch in "Paradise" fallen besonders weibliche Charaktere auf, die unter der ihnen zugedachten Rolle in der Gesellschaft leiden, mit ihr hadern oder gegen diese ankämpfen. Die einzelnen Kapitel im Roman "Paradise" sind jeweils aus der Sicht von verschiedenen Personen geschrieben, deren Wege sich im Laufe des Buches kreuzen.
"Erfahren habe ich die Liebe und die habe ich vom ersten Moment an gehasst", heißt es in einem inneren Monolog von Salam im Roman, und: "Brauche ich denn einen Mann? Wirklich? Oder will ich mich nur davon ablenken, dass ich gescheitert bin?" Sanhouri sagt über ihren fiktionalen Charakter Salam, die im Buch "keine Mädchenzigaretten" raucht: "Sie braucht Liebe, sie will Liebe, aber sie konnte niemanden finden, der sie genug verstehen konnte. Deshalb hat sie ihren letzten Partner verlassen, auch wenn sie ihn brauchte."
Für eine andere Frau im Buch, May, ist die Heirat mit Sulaiman gleichbedeutend mit ihrer Unterwerfung unter ihn, und so gibt sie sogar ihren Beruf für ihn auf. Dann gibt es im Buch noch die männliche Figur Chalid, "den Gefühlslosen", so Sanhouri, "der seine Frau Naval am Ende mit einem riesigen Saxophon erschlägt."
Zu den Hintergründen der weiblichen Charaktere im Buch sagt die Autorin: "Wir hören diese Geschichten in sozialen Gruppen auf Facebook oder in privaten Zusammenhängen im Sudan. Frauen haben diese Probleme, weil wir dieses patriarchalische System haben, das sie und ihre Entscheidungen nicht unterstützt. Deshalb gibt es viele Frauen, die lieber bei ihrem sie misshandelnden Ehemann bleiben, als zu ihrem Vater zu gehen, weil die Gesellschaft sie nicht unterstützt und ihre Familie auch nicht." Dies seien allerdings "Probleme, die Frauen in verschiedenen Ländern haben. Ich denke, diese Frauen kann es überall geben."
Nur scheinbar sarkastisch
Eine Rolle spielt auch der Krieg und dessen Folgen. "Der Krieg im Südsudan wurde als Krieg zwischen dem Islam und dem Christentum ausgetragen. Wer immer dort für das islamische Militär starb, wird als Märtyrer angesehen", sagt Sanhouri. "Wir haben hier viele Straßen, die den Namen von Märtyrern tragen." Die Agentur "Paradise" befindet sich im Roman in der Märtyrer-Imram-Imram-Straße 4. "Wofür sind sie eigentlich gestorben? Für eine Sache von Politik und Gehirnwäsche. Ich habe mich über sie lustig gemacht, weil sie diesen Titel, diese Anerkennung und Heldenverehrung haben und eine Straße nach ihnen benannt wurde."
Durch die politischen Veränderungen durch die Revolution 2019, die erst einsetzten, nachdem sie ihren Roman beendet hatte, hat die Thematik der Benennung von Straßen nun eine weitere Bedeutungsebene bekommen: "Die Menschen, die in der Revolution starben, weil die Regierung, die Armee, sie tötete, haben jetzt eine andere Straße, die ihren Namen trägt, was ein bisschen seltsam ist." Nun könne das Wort Märtyrer eine doppelte Bedeutung haben: religiös oder revolutionär?
Kritisch ist Sanhouri auch gegenüber der Presse im Sudan. Die staatlich kontrollierten Medien würden die wirklich wichtigen Themen nicht aufgreifen, sagt sie: "Wenn etwas Großes passiert, wie zum Beispiel eine Demonstration auf der Straße, dann sehen und hören die Leute zu Hause, wenn sie das nationale Fernsehen einschalten, alte Lieder, oder wie man eine Banane pflanzt. Warum unterstützen sie nicht die Öffentlichkeit?" In einem Gedicht in "Paradise" ist die Rede "von den Geistern und Monstern / im Lokalsender / Sie verwalten das Land / und zerstören es". An einer anderen Stelle geht es um nicht ernstzunehmende TV-Sendungen "wie sie der Staatssender, aus der dreckigen Hose der Regierung heraus in den Äther schickt."
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