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Gas und Gasumlage

Geldbegier vom Genfer See

Gas und Gasumlage: Geldbegier vom Genfer See
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Mittlerweile ist die Bundesregierung bei Entlastungspaket drei angelangt, die umstrittene Gasumlage allerdings hat sie beibehalten. Um die 2,4 Cent, die alle Gasverbraucher ab 1. Oktober pro Kilowattstunde mehr bezahlen sollen, tobt seit Wochen ein Streit. Ansprüche auf die Milliarden haben auch skandalumwitterte Konzerne aus der Schweiz angemeldet.

Streitfall Gasumlage: sie soll Gasimporteure stützen, denen die enorm gestiegenen Beschaffungskosten gerade Riesenlöcher in die Kasse reißen. 34 Milliarden Euro sollen so bis Ende März 2024 zusammenkommen. Ob das reicht, weiß keiner. Gern vergessen wird in der 2,4-Cent-Hysterie, dass die russischen Lieferausfälle die viel größeren Gaspreistreiber sind, als die Umlage. So kostet der Arbeitspreis bei Gas-Neuverträgen inzwischen bis zu 46 Cent pro Kilowattstunde. Vor einem Jahr lag dieser noch bei rund sechs Cent.

Dennoch ist die Kritik gewaltig. Die Abgabe sei unsozial und müsse durch Steuergeld beglichen werden, verlangen manche. Komplett unnötig sei sie, behaupten Linke bis AfD. In sozialen Netzwerken kocht der Volkszorn. Nüchterne Stimmen allerdings gehen im Geschrei unter. "Die höheren Kosten sind ein ganz starker Anreiz, um Gas zu sparen", sagt etwa Jan Gänger von "ntv" und hält die Gasumlage für eine gute Idee. Schließlich muss Deutschland zwanzig Prozent weniger Gas verbrauchen, um warm und mit laufenden Fabriken durch den Winter zu kommen. Wer die Zusatzbelastung nicht oder nur mit großer Mühe tragen könne, dem müsse der Staat helfen, fordert Gänger: "Zielgerichtet und nicht nach dem Gießkannenprinzip wie beim Neun-Euro-Ticket oder beim Tankrabatt." Im Entlastungspaket drei ist nun festgeschrieben, was Bundeskanzler Scholz schon in der Vergangenheit angekündigt hatte: Die Umsatzsteuer auf den Gasverbrauch wird bis 2024 von 19 auf sieben Prozent gesenkt.

Umlage mit Unbekannten

Nach Informationen mehrerer Nachrichtenagenturen soll rund zwei Drittel der 34 Milliarden Euro an Umlagen-Aufkommen der Düsseldorfer Konzern Uniper bekommen. Weitere etwa 25 Prozent gehen demnach an Sefe, die unter Zwangsverwaltung gestellte russische Gazprom Germania, sowie deren Hauptvertragspartner Wingas und VNG. Rund acht Prozent der Umlage, also etwa 2,7 Milliarden Euro, entfallen den Berichten zufolge auf die übrigen Unternehmen, die Ansprüche gemeldet haben. Wer wie viel letztlich bekommt – ist bislang nicht sicher zu sagen.  (jl)

Zur Erinnerung: Der russische Kriegsherr Putin schürt die Energiekrise – indem der russische Staatskonzern Gazprom immer weniger Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 gen Westen pumpt, zuletzt überhaupt keines mehr, Grund sei laut Gazprom der Austritt von Öl in einer Kompressor-Station. Der Vertragsbruch zwingt hiesige Großhändler, für die Lieferausfälle kurzfristig teuer Ersatz einzukaufen – ohne die Mehrkosten an ihre Kunden, oft Stadtwerke und Betriebe, derzeit weitergeben zu dürfen. Ein Minusgeschäft, das selbst gesunde Konzerne in die Pleite treibt – was die gesamte Gasversorgung Deutschlands kollabieren lassen könnte. Über den Umweg Umlage können die Händler einen Teil der höheren Kosten auf die Kunden abwälzen.

50.000 Euro Verlust pro Minute

Dennoch vergeht kaum ein Tag, ohne dass Medien sowohl die Umlage als auch den zuständigen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ins Visier nehmen. Prügel bezog der Vizekanzler erst recht, nachdem "ein bisschen still und heimlich" ("Focus") bekannt wurde, wer Anspruch auf die Umlage angemeldet hatte. Trading Hub Europe, ein Unternehmen der Gasnetzbetreiber, das die Umlage im Auftrag des Ministeriums organisiert, hatte die zwölf Namen am vorvergangenen Montag in einem FAQ-Dokument auf seiner Webseite versteckt.

"Habeck hat auch mal im Hauptberuf Kinderbücher geschrieben. Das setzt er jetzt fort", meinte etwa der einstige "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust in der "Welt", der es als Rentner zum Herausgeber des Springer-Mediums gebracht hat.

Auf der Liste sind einerseits Unternehmen vertreten wie der Düsseldorfer Versorger Uniper, den Putins Gaskrieg in Existenznot treibt. Der größte Gashändler hierzulande, der seit März 2020 zum finnischen Energiekonzern Fortum gehört, macht offenbar Verluste von rund 50.000 Euro – pro Minute. Eine Kreditlinie von fünf Milliarden Euro stellte die Bundesregierung bereits zur Verfügung, weitere vier Milliarden hält Konzernchef Klaus-Dieter Maubach noch vor Umlage-Auszahlungen für notwendig, um die Gasversorgung in den nächsten Wochen sicherzustellen.

Andererseits stehen auf der Liste aber auch Gasimporteure, deren Konzernmütter dank der Preisexplosionen derzeit fette Gewinne einstreichen. Etwa die VNG Handel & Vertrieb GmbH in Leipzig, die zur Karlsruher EnBW AG gehört. Deren Ergebnis stieg im ersten Halbjahr 2022 auf 563,9 Millionen Euro (im Vorjahreszeitraum 162,8 Millionen Euro Verlust). Die Tochter VNG erzielte 2021 einen Gewinn von 141 Millionen Euro. Auf Anfrage teilt VNG mit, dass im laufenden Jahr "bisher hohe Belastungen in dreistelliger Millionenhöhe für die Ersatzbeschaffung aufgelaufen" sind. Allerdings: Müsste die Konzernmutter EnBW der VNG unter die Arme greifen, würde das ausschließlich öffentliche Haushalte belasten – weil die EnBW dem Land Baden-Württemberg und mehreren oberschwäbischen Landkreisen gehört.

Als Umlagen-Empfängerin registriert hat sich auch die Düsseldorfer OMV Gas Marketing & Trading GmbH, Tochter der österreichischen OMV AG. Trotz Krieg und Krisen hat der Wiener Mineralölkonzern, dessen Hauptanteilseigner der österreichische Staat und die Vereinigten Arabischen Emirate sind, aktuell mit 1,42 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel Gewinn wie im vorigen Halbjahr eingefahren (Vorjahr 643 Millionen Euro). Die OMV gehöre wie andere fossile Konzerne zu den Profiteuren der kriegsbedingten Preiserhöhungen, sagt das Momentum Institut. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine, rechnete die Wiener Denkfabrik nach, hätten sich die Gewinnmargen der OMV-Raffinerien deutlich erhöht. "Durch überdurchschnittlich hohe Gewinnaufschläge auf den Rohölpreis klingeln dort die Kassen. Während die meisten Menschen immer ärmer werden, schneiden sich die Mineralölfirmen ein größeres Stück vom Kuchen ab", kritisiert das Institut.

Strompreis hoch auch wegen maroder Atomkraftwerke

Drittes Beispiel: Die AXPO Solutions AG mit Sitz im schweizerischen Baden, Tochter der AXPO Holding. Die Gruppe, die eidgenössischen Kantonen und Städten gehört, erzielte in der ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2021/22 einen Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 1,021 Milliarden Schweizer Franken. Im Vorjahr waren es nur 722 Millionen gewesen. Das Ergebnis wäre noch glänzender, hätte die Revision des schweizerischen Kernkraftwerks Leibstadt nicht länger als geplant gedauert; und wäre nicht fast der halbe französische Atomkraftpark, von dem die Eidgenossen große Strommengen importieren, wegen Wartung und überraschender Korrosion in den Kühlkreisläufen aktuell außer Betrieb. Zudem ließ der extreme Dürresommer heimische Wasserkraftwerke trockenlaufen. Den fehlenden (Atom-)Strom muss AXPO teuer dazukaufen – vorwiegend in Deutschland, was hiesige Strompreise zusätzlich befeuert.

Axpo ist, ausweislich der eigenen Homepage, "die grösste Schweizer Produzentin von erneuerbarer Energie und internationale Vorreiterin im Energiehandel und in der Vermarktung von Solar- und Windkraft." Dass die AXPO-Tochter den Deutschen auch russisches Erdgas vertickt und sich Umlage-Gutschriften erhofft, löste in der Schweiz Erstaunen aus. "AXPO hat sich bisher mit derartigen Dienstleistungen nicht bemerkbar gemacht", kommentierte das Züricher Finanzportal "Inside Paradeplatz". Das Reizvolle an diesen Deals sei, die Deutschen weiter zu Gaslieferungen in die Schweiz anzuhalten, so das Portal. Der Grund: Die Eidgenossen haben keine Gasspeicher, sind im kommenden Winter also auf Gaslieferungen der bedrängten Deutschen angewiesen.

Die Liste offenbart, dass die schöne Schweiz bislang eine Drehscheibe für russisches Gas nach Deutschland war. Denn neben AXPO haben vier weitere Unternehmen Ansprüche auf die Gasumlage angemeldet: der Stahl- und Rohstoffkonzern Duferco und der Gashändler Enet Energy in Lugano sowie die in Genf residierenden Ölhandelsgiganten Gunvor und Vitol. "Während das deutsche Volk auf seinem Winter-Gas eine happige Sondersteuer bezahlen muss, sind es Schweizer Unternehmen, die mit Gaslieferungen nach Deutschland den goldenen Schnitt machen", kommentiert "Inside Paradeplatz".

Um die beiden Genfer Konzerne ranken sich Skandalgeschichten. Die auf Zypern registrierte Gunvor Group erzielte in 2021 einen Jahresumsatz von 135 Milliarden Dollar, und auch das erste Halbjahr 2022 verlief erfreulich: der Umsatz stieg nach Medienberichten um 200 Prozent. Gegründet wurde die Firma 2000 vom Schweden Torbjörn Törnqvist und dem Russen Gennadi Timtschenko. Letzterer gilt als enger Freund von Putin, weshalb immer wieder Gerüchte die Runde machten, wonach der russische Staatspräsident selbst Anteile an der Gruppe hielt. Gunvor bestreitet das. Timtschenko landete nach der russischen Krim-Annexion 2014 auf einer US-Sanktionsliste. Einen Tag vor Sanktionsbeginn verkaufte der Russe seine Unternehmensanteile an seinen Partner Törnqvist.

Gunvor-Chef Törnqvist: 1,8-Milliarden-Dollar-Vermögen

Törnqvist wiederum schüttete sich im Folgejahr 2015 eine Sonderdividende über eine Milliarde Dollar aus, was ein Allzeit-Rekord unter den rund 900 in der Schweiz angesiedelten Rohstoffkonzernen ist. Mit einem Vermögen von 1,8 Milliarden Dollar rangiert der 69-jährige Schwede auf Platz 1.645 der aktuellen Forbes-Milliardär-Liste. Ein armer Schlucker im Vergleich zum gleichaltrigen Timtschenko, der es aktuell mit 20,8 Milliarden Dollar auf Platz 74 der Superreichen-Hitliste schafft. Und dies, obwohl er seit Putins Ukraine-Überfall auch auf Sanktionslisten der EU und Großbritanniens steht. Dass sein Vermögen in Europa eingefroren und seine Yacht in San Remo beschlagnahmt wurde – verschmerzbar: vor allem die Anteile an russischen Energiekonzernen lassen Timtschenkos Reichtum derzeit rasant wachsen.

Nach Timtschenkos Abgang tauchte der Konzern wiederholt im Kontext illegaler Geschäfte auf. Im Korruptions-Report 2020 erwähnte Transparency International ihn beispielhaft als korruptionsförderndes Unternehmen. 2019 musste Gunvor fast 94 Millionen Schweizer Franken Strafe bezahlen, weil es sich durch Bestechung Zugang zu Erdölmärkten in der Republik Kongo und der Elfenbeinküste verschafft hatte. Es war das erste Mal in der Schweiz, dass ein großes Handelsunternehmen wegen Korruption schuldig gesprochen wurde.

Keine rein weiße Weste hat auch die Vitol SA. Der Konzern, in Besitz des Managements und mit einem Umsatz von zuletzt 279 Milliarden Dollar nach eigenen Angaben weltgrößter unabhängiger Energiehändler, gilt als extrem verschwiegen. 2016 veröffentlichte "Bloomberg" ein aufschlussreiches Dossier: "Inside Vitol: Wie der weltgrößte Ölhändler Milliarden verdient".

Demnach zahlte Vitol 1995 dem Serben Zeljko Raznjatovic eine Million Dollar für die Hilfe in einem Geschäftsstreit. Der als "Arkan" bekannte Kriminelle und Milizenführer wurde 1997 vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Er wurde im Jahr 2000 ermordet, bevor sein Prozess begann.

Vitol wird über Briefkastenfirmen kontrolliert

Den größten Imageschaden erlitt Vitol 2007, als das Unternehmen dem Regime von Saddam Hussein rund 13 Millionen Dollar an "Zuschlägen" zahlte, um Öllieferungen im Rahmen des skandalumwitterten Oil-for-Food-Programms der Vereinten Nationen zu sichern. 2012 wurde Vitols Ansehen erneut erschüttert, nachdem das Unternehmen unter Umgehung von Sanktionen iranisches Heizöl gekauft hatte. Vitol, das das Geschäft über seine Tochtergesellschaft in Bahrain abwickelte, stritt ein Fehlverhalten ab.

Nach Recherchen von Bloomberg zahlte Vitol im Jahr 2013 dank Steuergutschriften überhaupt keine Steuern – bei einem Nettogewinn von 837 Millionen Dollar. Im Jahr 2015 lag sein globaler Steuersatz bei nur 14,1 Prozent. Obwohl Vitol seinen Sitz in Genf und Rotterdam hat, wird es von seinen Gesellschaftern über zwei in Luxemburg ansässige Briefkastenfirmen kontrolliert.

Nachdem sich herumsprach, welche Goldesel hinter den Kirchenmäusen im Gashandel stehen, blies Vizekanzler Habeck ein Proteststurm ins Gesicht. "Gasumlage bläht Gewinne der Konzerne auf", titelte "Focus". SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil rüffelte Habeck für "handwerkliche Fehler" – obwohl Genosse Bundeskanzler Olaf Scholz die Kabinettsentscheidung verantworte. Klingbeils mutmaßliches Motiv: die anstehende Landtagswahl in Niedersachsen, wo der amtierende SPD-Ministerpräsident Stephan Weil um seine Wiederwahl bangt. Prompt brach nach der Attacke der Umfragewert für die Grünen um drei Prozentpunkte ein (auf 17), während die SPD zwei hinzugewann.

Aufgrund des Aufschreis versprach Habeck, die Anspruchskriterien nachzuschärfen. So sollen nur Konzerne Geld bekommen, die keinen Gewinn vor Zinsen, Abschreibungen und Steuern machen und weder Dividenden noch Boni ausschütten. Zugleich beschloss die Ampel mit der Gasumlage, was jetzt zum Entlastungspaket drei gerechnet wird: die Mehrwertsteuer auf den gesamten Gasverbrauch von 19 auf sieben Prozent zu senken. Nach Berechnungen des Vergleichsportals Check 24 senkt dies die jährliche Mehrbelastung durch die Umlage für einen Vierpersonen-Haushalt (Jahresverbrauch 20.000 kWh) von ursprünglich 576 Euro auf 146 Euro. Im Vergleich zur kompletten Gasrechnung ist dies wenig: Für diese Verbrauchsmenge berechnet der günstigste Versorger Neukunden derzeit rund 8.000 Euro (brutto) – mehr als das Sechsfache wie vor einem Jahr.
 

In einer früheren Fassung des Textes haben wir geschrieben, Gunvor sei im Jahr 1997 gegründet worden. Das trifft nicht zu, es war das Jahr 2000. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen. 


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