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Auf der Lauer

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Zusammenzustehen war höchste Koalitionspflicht, als die Zahl der Corona-Infektionen in Baden-Württemberg hochschnellte im März. Jetzt liefern Grüne und Schwarze immer neue Belege dafür, wie Lockerungen verkrampfen können. In zehn Monaten ist Landtagswahl.

"Gleichmäßiges Führen ist ganz schön schwierig", stöhnte Winfried Kretschmann. Das war vor sechs Jahren in Nürtingen, wo der Grüne vor einer Werkbank kniete und die Funken sprühen ließ: Zum Fünfundsechzigsten hatte ihm sein grün-rotes Kabinett beziehungsreich einen Schweißkurs geschenkt. Auf Anhieb nicht geklappt hat es mit der richtigen Naht. Vielleicht sollte er die Übung wiederholen, zumal ihn – ganz handwerklicher Perfektionist – das Ergebnis damals ohnehin nicht befriedigte. Denn auf dem Weg Schritt für Schritt aus der Krise kommt seine präsidiale Amtsführung an ihre Grenze. Und die CDU-MinisterInnen im Kabinett wittern ihre Chance zur Profilierung – auf Kosten des nach wie vor ungeliebten Koalitionspartners.

Also stellen sie den Regierungschef hinter vorgehaltener Hand als kaum belehrbar hin: zu zögerlich gegenüber den Corona-Lockerungen, zu weit von den Anliegen der Wirtschaft entfernt. Wasser auf die schwarzen Mühlen war sein Bekenntnis, es brauche jetzt eben einen, "der auch mal auf der Bremse steht, und das bin ich". Gewinnen lässt sich damit wenig, weiß SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach aus jahrelanger Erfahrung. Vorbeugemedizin kenne nämlich keine Helden. Entweder sie hat Erfolg, dann heißt es: alles war übertrieben und alarmistisch. Oder der Erfolg bleibt aus, dann seien die Epidemiologen erst recht die Buhmänner – und mit ihnen und alle Entscheidungsträger in der Politik, die ihren Empfehlungen gefolgt sind.

"Wird Winfried Kretschmann zum Verlierer der Corona-Krise?", fragte sich und die Leserschaft kürzlich die "Stuttgarter Zeitung" und gab umgehend die absehbar-kleinlaute Antwort: "Niemand kann heute die Frage beantworten (...) Die Zukunft ist offen." Aber schon allein diese Einschätzung werten OffensivspielerInnen der CDU als Erfolg und Ansporn nach dem Motto: Sollte tatsächlich eine zweite Welle der Pandemie über Deutschland rollen, bewegen die Menschen andere Sorgen als die Frage, wer wann welche Lockerungen wollte und wer nicht. Und kommt sie nicht, werden die WahlkampfstrategInnen alles daransetzen, die schwarze Handschrift als die einzig verlässliche darzustellen im Umgang mit den Sorgen der BürgerInnen und erst recht der Wirtschaft.

Eisenmann schafft Tohuwabohu

In den Vor-Corona-Zeiten, als Plenartage in den Foyers und auf den Gängen noch ein Markt des Meinungsaustausch war, hatten viele CDU-Abgeordnete zu Protokoll gegeben – ohne ihren Namen in der Zeitung lesen zu wollen, versteht sich –, wie angesichts der politischen Großwetterlage und der demoskopischen Dominanz des Ministerpräsidenten ihre Hoffnungen auf einen Wahlerfolg 2021 dahinschmolzen. Da liegt aus Sicht der PolitstrategInnen wenig näher, als zumindest die schwierige, weil risikobehaftete Phase der Öffnungen für die eine oder andere publikumswirksame Initiative zu nutzen.

Susanne Eisenmann beispielsweise, die Kultusministerin, auf der die Bürde der Spitzenkandidatin lastet, wollte vorangehen mit Schulen und Kitas. Aus der erweiterten Notbetreuung sollte der eingeschränkte Regelbetrieb werden. Dann kamen die Vorbereitungen ins Stottern, Kommunen mahnten tagelang präzise Vorgaben an, und Kretschmann hätte am liebsten die ganze Idee beerdigt, weil er die Ergebnisse einer Studie zur Übertragung durch Kinder und Jugendliche abwarten wollte. Jetzt ist die Verunsicherung vor Ort groß. Aber immerhin hat das Team Eisenmann erreicht, dass der Ärger über das Durcheinander irgendwie auch den Grünen in der Villa Reitzenstein trifft. Gemessen an der Länge der Leine, die der Regierungschef den Kabinettsmitgliedern lässt, müsste allerdings vorrangig das Kultusministerium für das Tohuwabohu in vielen Familien geradestehen.

Auch andere Regierungsmitglieder sind vorgeprescht, darunter Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, die Hoteliers und Messeveranstalter beschleunigt wieder an den Start gehen lassen will. Ein Arbeitspapier ist den Medien zugespielt worden. Kretschmann kritisiert die entstandene Verwirrung: "Die Tinte ist noch nicht trocken, schon ist es bei den Redaktionen, ich werde nie verstehen, was das für einen Sinn macht." CDU-TaktikerInnen könnten's ihm erklären. Denn jetzt ist er es wieder, der öffentlich erklären muss, dass es für die Wohlfühlbereiche Feste, Hochzeiten noch gar keine Beschlussgrundlage gibt. Der auch für den Tourismus zuständige Justizminister Guido Wolf unterstreicht sein Engagement sogar vor Ort, zeigt am Montag dieser Woche im Stuttgarter "Paulaner", wie Gastronomie mit Abstand funktioniert. 20.000 Plakate hat sein Haus drucken lassen mit der Botschaft: "Endlich wieder gemeinsam schmecken – Gib acht, damit das so bleibt." Geld gibt's ebenfalls: 3.000 Euro für jedes Lokal und 2.000 Euro für jede festangestellte MitarbeiterIn aus dem Landesetat.

Überhaupt ist die Welt verkehrt. Viele in der CDU, die sonst so gern ihre Kompetenz für eine solide, sprich: sparsame Finanzpolitik herausstreicht, würden gern einen Rettungsschirm nach dem anderen aufspannen. Nicht zuletzt, um angesichts des Wind-Fall-Profits der zuständigen grünen Ministerin Edith Sitzmann gleich auch noch den falschen, weil viel zu zurückhaltenden Umgang mit Not-, Hilfe- und Sofortprogrammen vorwerfen zu können.

Regelrecht verdreht sind die Vorzeichen in der Debatte um Kaufprämien zur Ankurbelung der Autoindustrie. Kretschmann hat seine liebe Mühe mit der Botschaft, dass nur modernste Verbrenner zum Zeuge kommen sollten. Oder mit dem Bekenntnis, dass er "in Normalzeiten" niemals für solche Anreize gewesen sei, sondern "aus ordnungspolitischen Gründen immer dagegen". Jetzt aber müsse die Branche auch aus psychologischen Gründen zu einem Aufschwung kommen und "wie ein Mittelstürmer" andere mitziehen.

Koalitionsstreit um Kaufprämien und Fahrverbote

Dass er mit solchen Aussagen mit Teilen seiner Grünen Ärger bekommt, liegt auf der Hand. Problematisiert wurde der Weg allerdings auch von der CDU-Landesgruppe im Bundestag. Ein Schelm der Böses dabei denkt. Alexander Throm (Heilbronn), der früher im Landtag saß und als Rechtsanwalt Kanzlei-Partner von Innenminister Thomas Strobl ist, sieht sich als einer der Wortführer des Widerstands: Jeder Mittelständler halte derzeit das Geld im Unternehmen. "Da kann ich doch nicht staatlich belohnen, wenn sich ein großer Konzern anders verhält", sagt Throm. Und der Waiblinger Joachim Pfeiffer, Wirtschaftsexperte der Bundestagsfraktion, legt nach: "Eine plumpe Kaufprämie kann es nicht geben." Die sieht das vorlegte Prämienmodell zwar gar nicht vor, aber plumpe Schlagworte machen sich allemal besser als Details: Pfeiffer bringt eine "intelligente Innovationsprämie" ins Spiel, schweigt sich aber über Näheres aus.

Auch die Verkehrspolitik bleibt ein Feld, auf dem die CDU die Grünen stellen will. Am vergangenen Freitag hat der Verwaltungsgerichthof Mannheim das Land zur Zahlung eines Zwangsgeldes in Höhe von 25.000 Euro an die Deutsche Kinderkrebsstiftung verurteilt, weil es seiner Verpflichtung zu einem Fahrverbot für Euro-5-Diesel noch immer nicht vollständig nachgenommen ist. Und statt dass auch die bisher Unbelehrbaren in der CDU-Landtagsfraktion einlenken, geht Thomas Dörflinger erneut auf Konfrontationskurs. Und verlangt eine Vollstreckungsabwehrklage. Hätte er sich etwa den Sachverstand im Justizministerium zunutze gemacht, hätte er erfahren, wie heikel es ist, wenn der Staat – in Gestalt des Landes – zu diesem Mittel greift und damit gegen ein anderes Organ des Staates – in Gestalt der Justiz – vorgeht. Aber warum sollte ein Betriebswirt solchen Informationsaufwand auf sich nehmen, wenn es doch einfach zum schwarzen Ego zählt, Verkehrsminister Winfried Hermann auf die Hörner zu nehmen?

Die Grünen haben derzeit keinen Lauf

Dass die Grünen derzeit nicht eben einen Lauf haben, ist allerdings nicht allein fremdverschuldet. Der Tübinger OB Boris Palmer entzündete mit zumindest missglückter Wortwahl ausgerechnet zum Thema Corona-Tote eine bundesweite Aufregung, in welcher der Versuch, die Klimadebatte wieder ins Bewusstsein zu rücken, jämmerlich unter ging. Der digitale Länderrat hat Anfang Mai Wege aus der Pandemie beschlossen. Wege, auf welchen, wie Robert Habeck formulierte, nicht nur der Klimawandel nie aus den Augen verlorenen werden dürfe. Unter anderen wurde beschlossen, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: "Wenn Aktienkonzerne Dividenden oder den Manager*innen Boni auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten." Über vieles hätte breit diskutiert worden können, stattdessen schaffte es vor allem die Austrittsandrohung an den immer wieder provozierenden Querkopf aus Tübingen in die Schlagzeilen, sogar bundesweit.

Richtig heftig trifft den größeren Regierungspartner, dass der Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg das erste Volksbegehren nach den neuen interfraktionell erarbeiteten Regelungen für unzulässig erklärt hat. Jetzt müssen die Grünen um die Sinnhaftigkeit der so stolz verkündetet Verfassungsreform fürchten. Fraktionsvize Uli Sckerl hat schon mal davor gewarnt, dass BürgerInnen nur noch "über Sonnenschein und Regen" abstimmen dürfen. Die CDU, allen voran der vom Gericht bestätigte Innenminister, reibt sich die Hände: "Die Hinweise des Verfassungsgerichtshofs schafften Rechtsklarheit für künftige Fälle und erleichterten den Umgang mit Volksbegehren."

Natürlich würde er den Koalitionspartner auf dem ausgestreckten Arm verhungern lassen, gäbe es ernsthaft das Ansinnen, die Verfassung nochmals zu ändern. Doch davon ist keine Rede, weil der Ministerpräsident selber nicht ran will an die heikle Causa. Andere Verlangen werden allerdings kommen, wenn nach der Sommerpause der Wahlkampf endgültig Fahrt aufnimmt – und von den Schwarzen genutzt werden, um sich mächtig aufzuregen über die Grünen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Gerald Fix
    am 22.05.2020
    Antworten
    Nett.
    Aber man sollte auch nicht vergessen, dass Koalitionen Vernunftbündnisse auf Zeit sind und keine Liebesheiraten. Es ist nicht zu beanstanden, wenn Politiker und Parteien gegen Ende der Legislaturperiode ihre eigenen Ideen und Pläne stärker herausstellen als die Koalitionspolitik. Und man kann…
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