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Der Bote ist immer der Böse

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Was kann, was muss die Politik tun, damit Mobilität zukunftsfähig wird? Und womit verdient ein Autoland dann Geld? Genau das hat eine Studie der BW-Stiftung untersucht. Seit zwei Jahren wirbt Projektleiter Klaus Amler dafür, dass man ihre Ergebnisse berücksichtigt.

Klaus Amler war Projektträger der Studie "Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität", in Auftrag gegeben von der Baden-Württemberg Stiftung. Am 30. September ist er im Theaterhaus zu Gast im Neuen Montagskreis, wo er mit dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann und Katrin Dziekan vom Umweltbundesamt diskutieren wird (mehr Informationen hier). Amler hat Erziehungswissenschaft, Politologie und Empirische Kulturwissenschaften studiert, war für Daimler und Smart, für verschiedene Ministerien und Kommunen und für Umweltverbände tätig, arbeitet heute bei der Stuttgarter Agentur Ökonsult und sitzt dem Ortsverband Degerloch der Stuttgarter Grünen vor. Die Ergebnisse der Mobilitätsstudie hat Amler seit ihrer Veröffentlichung im Oktober 2017 auf inzwischen über 60 Veranstaltungen landauf, landab vorgestellt – und er will auch weiterhin auf Promotion-Tour für eine zukunftsfähige Mobilität gehen. Hier geht's zum Abschlussbericht der Studie. (red)

Herr Amler, seit inzwischen zwei Jahren liegen mit der Studie "Mobiles Baden-Württemberg", die die Baden-Württemberg Stiftung in Auftrag gegeben hat, fast 300 Seiten geballtes Wissen zur Entwicklung der Mobilität im Land auf dem Tisch. In der realen Politik spielt dieses Wissen aber kaum eine Rolle. Frustriert Sie das?

Der Eindruck stimmt, aber nur teilweise. Wenn ich sehe, was das Klimakabinett auf Bundesebene jetzt vorgelegt hat, dann ist das natürlich frustrierend. Zu wenig, zu zaghaft, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ergebnissen der Studie und der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung nicht entsprechend, sondern weit weg davon. Wissenschaftler, die an unserer Studie federführend waren, haben auch in Berlin die Bundesregierung mitberaten. Ich weiß, wie die denken, und es ist auch öffentlich bekannt, welche Fakten auf dem Tisch lagen und liegen. Da ist es inhaltlich nicht nachvollziehbar, was als Paket vorgelegt wurde. Auf der anderen Seite habe ich unsere Studie inzwischen auf mehr als 60 Veranstaltungen vorgestellt, in Kommunen, bei der Wirtschaft, bei Bürgerinitiativen und Verbänden. Kürzlich war ich beim Daimler-Betriebsrat in Untertürkheim auf Einladung der IG Metall. Das sind durch die Bank spannende Termine, vor einem aufgeschlossenen, interessierten Publikum ...

... und was ist mit den Entscheidern auf Landesebene?

Ehrlicherweise muss man sagen, dass es sehr viele Handlungsoptionen auf Landesebene gar nicht gibt. Die liegen vor allem in Brüssel oder Berlin.

Zum Beispiel?

Die Straßenverkehrsordnung, das Personenbeförderungsgesetz, Grenzwerte für Luftschadstoffe, Zulassungsgenehmigungen für PKWs, die Verteilung der großen Töpfe an Geldern für Mobilität und, last but not least, das gute alte Tempolimit auf Autobahnen. Ich will nur daran erinnern, dass eine SPD-geführte Bundesregierung der deutschen Bevölkerung in den 1970er Jahren vier autofreie Sonntage und parallel Tempolimits zugemutet hat, nachdem ein paar Ölscheichs den Ölpreis hochgetrieben haben. Aus wissenschaftlicher Sicht hat das funktioniert, das war kein Verlust an Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger, es gab keine Aufstände, sondern Feste und laufende und fahrradfahrende Bürger auf den leeren Autobahnen – legendäre Bilder. Aber danach ist die Entwicklung auseinandergegangen. Alle Länder in Europa haben inzwischen ein Tempolimit, nur Deutschland nicht.

Das Land könnte aber die Möglichkeit einer Nahverkehrsabgabe eröffnen.

Da gibt es eventuell juristische Unklarheiten, aber ja, es stimmt – und nicht könnte, sondern müsste. Dies würde auch den Handlungsempfehlungen der Studie entsprechen. Solche innovativen Instrumente zu einer breiteren Finanzierung des öffentlichen Verkehrs in einem definierten Raum werden befürwortet. Es geht ja darum, den Kommunen diese Option zu eröffnen, dann sind diese dafür zuständig, dieses Instrument vor Ort auszugestalten oder auch nicht. Auch der Städtetag Deutschlands will dies, auch eine bundesgesetzliche Regelung ist wohl möglich. Diplomatisch formuliert heißt das, nicht alle Koalitionspartner im Land wollten das bisher.

Die zentrale Fragestellung der Studie lautet: Was muss sich an der Mobilität bis 2050 ändern, damit sie zukunftsfähig wird – also die ökologischen Belastungsgrenzen einhält, ohne zu sozialen und ökonomischen Verwerfungen zu führen. An welchen Stellschrauben muss noch in dieser Legislaturperiode gedreht werden?

Allen Verantwortlichen muss klar sein, dass, wer das Pariser Abkommen ernst nehmen will, den Märkten einen klaren ordnungspolitischen Rahmen geben muss. Das sagt unsere Studie, und das sagen auch die wissenschaftlichen Berater der Bundesregierung. Wer nicht an eine lenkende Bepreisung von CO2 herangehen will, um die Märkte zu gestalten, der begeht einen großen Fehler. Deshalb sind die Beschlüsse des Berliner Klimakabinetts wenig nachvollziehbar. Sie helfen auch nicht, die von allen als notwendig erachtete Transformation der Automobilindustrie jetzt positiv begleitend auf den Weg zu bringen. Die Ergebnisse unserer Studie belegen ganz klar: Wenn wir die Pariser Klima-Kriterien erfüllen, dann wirkt sich das auf Arbeitsplätze und Wertschöpfung gerade bei uns in Baden-Württemberg aus. Es muss mit der Transformation begonnen werden.

Und wenn wir Paris doch nicht erfüllen?

Dann bekommen wir diese Probleme erst recht und viel stärker. Die zentrale, zukunftsweisende Frage ist doch: Wenn Paris gilt, welche Mobilitätsprodukte kann ich dann noch verkaufen, womit verdiene ich dann 2030 und darüber hinaus in Baden-Württemberg noch Geld? Nur ein dezenter Hinweis: Ganz sicher nicht mehr mit Pkw mit Verbrennungsmotoren. Wer dies politisch verfolgt, bedroht Wertschöpfung und Firmen, macht Arbeitsplätze kaputt. Wenn ich die von uns entwickelten Szenarien vorstelle, komme ich mir an dieser Stelle manchmal vor wie der Junge, der in "Des Kaisers neue Kleider" ruft: Der Kaiser ist nackt. Fast alle wissen es, ich spreche die Botschaft aus, die nicht schmeckt, und der Bote wird manchmal angegangen. Das ändert an der Botschaft aber gar nichts.

Für viele sind Sätze wie der, dass die Abschaffung des eigenen Autos als Gewinn erlebbar gemacht werden muss, sicherlich auch nicht leicht zu verdauen. Vor allem, wenn das Familieneinkommen am Auto hängt.

Da hängt viel an der Erklärung und der Plausibilität, wie dringend notwendig das Umsteuern ist. Ich hatte und habe bisher keine Probleme, die Ergebnisse der Studie zu verteidigen. Es soll jetzt nicht überheblich klingen, aber ich bin noch nie als Verlierer aus dem Saal gegangen. Die Studie hat bis jetzt jede Diskussion überstanden! Das liegt natürlich an ihrer Qualität, dem fast zu hundert Prozent guten, fairen Diskussionsklima und ist nicht verwunderlich. Denn wieso sollten Fakten nicht gelten und Lösungen, die weltweit funktionieren, etwa in Los Angeles eigene Fahrstreifen für gut besetzte Fahrzeuge, nicht auch bei uns funktionieren? Das eigene Auto abzuschaffen ist nicht die Preisgabe des Autofahrens an sich. Das geht auch viel intelligenter, effizienter, mit mehr Gewinn für uns alle.

Fehlt der Politik der Mut?

Pauschal stimmt das auf keinen Fall. Verkehrsminister Winfried Hermann macht im Rahmen der Möglichkeiten eines Landesverkehrsministers Vorbildliches. Ich bin ein Fan davon, die Dinge zu erklären, und bin ganz sicher, dass gerade auf der kommunalen Ebene viel möglich wäre, weil die Bürger die Umgestaltung des öffentlichen Raumes zugunsten von mehr Aufenthaltsqualität mittragen. Der Trend geht inzwischen eindeutig in Richtung mehr Lebensqualität, mehr Raum für Menschen und nichtmotorisierten Individualverkehr ...

... das heißt konkret weniger Platz für Autos?

Und zwar deutlich weniger. Es wird bei Weitem nicht reichen, wenn deren Zahl gleich bleibt und allein Verbrennungsmotoren gegen Elektroantriebe getauscht werden – ein klares Ergebnis der Studie. Aber für die Autos, die wir noch haben werden, ist Elektromobilität die Technik der Zukunft. Ebenso klar ist es in unser aller Interesse, dass Baden-Württemberg "Automobilland" bleibt. Wir haben in unserem weitest gehenden Szenario dargelegt, wie der wegebezogene Anteil des Fahrrad- und Fußverkehrs von 33 Prozent auf 51 Prozent steigt. Beides muss massiv gefördert werden, führt auch zu einer ganz anderen Aufenthaltsqualität in den Städten, und davon profitieren alle.

Woher kommt eigentlich diese emotionale Nähe zum Auto so vieler Deutschen über Generationen hinweg?

In der Studie spielt ja der Wandel der Mobilitätskultur eine Rolle, die emotionale Nähe wird konstatiert, aber nicht untersucht. Persönlich sage ich, erstens ändert sich das ja – vielleicht zu langsam, aber doch stetig. Schon ein Begriff wie Volkswagen spricht Bände, das muss historisch eingeordnet werden, aber das ist ein anderes Thema. Dann kommt das Wirtschaftswunder, eine sehr kluge PR, wie man heute sagen würde, die stolz machen sollte auf die eigenen vier Räder. Es entstand die soziale Norm, den eigenen Status durch den Besitz eines entsprechenden Automobils auszudrücken. Das Auto hat tatsächlich stolz gemacht, auch weil real wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand entstanden ist. Und vereinfachende Slogans wie "Freie Fahrt für freie Bürger" blieben zu lange unwidersprochen und wirken bis heute.

Damit wären wir beim Enthusiasmus breiter Schichten für den SUV.

Das ist kein Gefährt, das Mobilitätsnotwendigkeiten entspricht. Es geht bei SUVs nicht darum, intelligent, nachhaltig, effizient und kostengünstig von A nach B zu kommen. Da werden offensichtlich ganz andere Bedürfnisse befriedigt.

Wer fährt 2050, in dem Jahr, das die Studie ans Ende der Betrachtung stellt, im Stuttgarter Talkessel noch mit dem eigenen Auto?

Bei Weitem nicht mehr so viele Menschen wie heute. Die Studie geht in ihrem dritten, dem einzig nachhaltigen Szenario, optimistisch davon aus, dass dieser Staat und die Gesellschaft den Pariser Weltklimavertrag einhalten. Einige Pendler, einige Bürger, Handwerker, Versorger, alle in klimaneutralen Autos. Die meisten Pkw oder Pkw-ähnlichen Fahrzeuge werden dann so etwas wie öffentlicher Verkehr sein, etwa in Form von einer Car- und Ride-Sharing-Automobilität für alle.

Und wenn es dazu nicht kommt?

Dann hätten die Gesellschaft und vor allem die Politik versagt.


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2 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 27.09.2019
    Antworten
    @Johanna Henkel-Waidhofer und Klaus Amler,
    Sie sind offensichtlich in althergebrachten Denkmustern verhaftet.

    Politik ansprechen, um Berücksichtigung zu finden, die zu Entwicklung führt ==>> ist nicht von Erfolg gekrönt, kann nicht von Erfolg gekrönt sein! [1]
    Es stellt sich ebenso…
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