Herr Amler, seit inzwischen zwei Jahren liegen mit der Studie "Mobiles Baden-Württemberg", die die Baden-Württemberg Stiftung in Auftrag gegeben hat, fast 300 Seiten geballtes Wissen zur Entwicklung der Mobilität im Land auf dem Tisch. In der realen Politik spielt dieses Wissen aber kaum eine Rolle. Frustriert Sie das?
Der Eindruck stimmt, aber nur teilweise. Wenn ich sehe, was das Klimakabinett auf Bundesebene jetzt vorgelegt hat, dann ist das natürlich frustrierend. Zu wenig, zu zaghaft, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ergebnissen der Studie und der wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung nicht entsprechend, sondern weit weg davon. Wissenschaftler, die an unserer Studie federführend waren, haben auch in Berlin die Bundesregierung mitberaten. Ich weiß, wie die denken, und es ist auch öffentlich bekannt, welche Fakten auf dem Tisch lagen und liegen. Da ist es inhaltlich nicht nachvollziehbar, was als Paket vorgelegt wurde. Auf der anderen Seite habe ich unsere Studie inzwischen auf mehr als 60 Veranstaltungen vorgestellt, in Kommunen, bei der Wirtschaft, bei Bürgerinitiativen und Verbänden. Kürzlich war ich beim Daimler-Betriebsrat in Untertürkheim auf Einladung der IG Metall. Das sind durch die Bank spannende Termine, vor einem aufgeschlossenen, interessierten Publikum ...
... und was ist mit den Entscheidern auf Landesebene?
Ehrlicherweise muss man sagen, dass es sehr viele Handlungsoptionen auf Landesebene gar nicht gibt. Die liegen vor allem in Brüssel oder Berlin.
Zum Beispiel?
Die Straßenverkehrsordnung, das Personenbeförderungsgesetz, Grenzwerte für Luftschadstoffe, Zulassungsgenehmigungen für PKWs, die Verteilung der großen Töpfe an Geldern für Mobilität und, last but not least, das gute alte Tempolimit auf Autobahnen. Ich will nur daran erinnern, dass eine SPD-geführte Bundesregierung der deutschen Bevölkerung in den 1970er Jahren vier autofreie Sonntage und parallel Tempolimits zugemutet hat, nachdem ein paar Ölscheichs den Ölpreis hochgetrieben haben. Aus wissenschaftlicher Sicht hat das funktioniert, das war kein Verlust an Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger, es gab keine Aufstände, sondern Feste und laufende und fahrradfahrende Bürger auf den leeren Autobahnen – legendäre Bilder. Aber danach ist die Entwicklung auseinandergegangen. Alle Länder in Europa haben inzwischen ein Tempolimit, nur Deutschland nicht.
Das Land könnte aber die Möglichkeit einer Nahverkehrsabgabe eröffnen.
Da gibt es eventuell juristische Unklarheiten, aber ja, es stimmt – und nicht könnte, sondern müsste. Dies würde auch den Handlungsempfehlungen der Studie entsprechen. Solche innovativen Instrumente zu einer breiteren Finanzierung des öffentlichen Verkehrs in einem definierten Raum werden befürwortet. Es geht ja darum, den Kommunen diese Option zu eröffnen, dann sind diese dafür zuständig, dieses Instrument vor Ort auszugestalten oder auch nicht. Auch der Städtetag Deutschlands will dies, auch eine bundesgesetzliche Regelung ist wohl möglich. Diplomatisch formuliert heißt das, nicht alle Koalitionspartner im Land wollten das bisher.
Die zentrale Fragestellung der Studie lautet: Was muss sich an der Mobilität bis 2050 ändern, damit sie zukunftsfähig wird – also die ökologischen Belastungsgrenzen einhält, ohne zu sozialen und ökonomischen Verwerfungen zu führen. An welchen Stellschrauben muss noch in dieser Legislaturperiode gedreht werden?
Allen Verantwortlichen muss klar sein, dass, wer das Pariser Abkommen ernst nehmen will, den Märkten einen klaren ordnungspolitischen Rahmen geben muss. Das sagt unsere Studie, und das sagen auch die wissenschaftlichen Berater der Bundesregierung. Wer nicht an eine lenkende Bepreisung von CO2 herangehen will, um die Märkte zu gestalten, der begeht einen großen Fehler. Deshalb sind die Beschlüsse des Berliner Klimakabinetts wenig nachvollziehbar. Sie helfen auch nicht, die von allen als notwendig erachtete Transformation der Automobilindustrie jetzt positiv begleitend auf den Weg zu bringen. Die Ergebnisse unserer Studie belegen ganz klar: Wenn wir die Pariser Klima-Kriterien erfüllen, dann wirkt sich das auf Arbeitsplätze und Wertschöpfung gerade bei uns in Baden-Württemberg aus. Es muss mit der Transformation begonnen werden.
Und wenn wir Paris doch nicht erfüllen?
Dann bekommen wir diese Probleme erst recht und viel stärker. Die zentrale, zukunftsweisende Frage ist doch: Wenn Paris gilt, welche Mobilitätsprodukte kann ich dann noch verkaufen, womit verdiene ich dann 2030 und darüber hinaus in Baden-Württemberg noch Geld? Nur ein dezenter Hinweis: Ganz sicher nicht mehr mit Pkw mit Verbrennungsmotoren. Wer dies politisch verfolgt, bedroht Wertschöpfung und Firmen, macht Arbeitsplätze kaputt. Wenn ich die von uns entwickelten Szenarien vorstelle, komme ich mir an dieser Stelle manchmal vor wie der Junge, der in "Des Kaisers neue Kleider" ruft: Der Kaiser ist nackt. Fast alle wissen es, ich spreche die Botschaft aus, die nicht schmeckt, und der Bote wird manchmal angegangen. Das ändert an der Botschaft aber gar nichts.
Für viele sind Sätze wie der, dass die Abschaffung des eigenen Autos als Gewinn erlebbar gemacht werden muss, sicherlich auch nicht leicht zu verdauen. Vor allem, wenn das Familieneinkommen am Auto hängt.
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 27.09.2019Sie sind offensichtlich in althergebrachten Denkmustern verhaftet.
Politik ansprechen, um Berücksichtigung zu finden, die zu Entwicklung führt ==>> ist nicht von Erfolg gekrönt, kann nicht von Erfolg gekrönt sein! [1]
Es stellt sich ebenso…