KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Kollektiv im Jagdfieber

Kollektiv im Jagdfieber
|

Datum:

Geht es nach Bauernfunktionären und Politikern, knallt's in deutschen Landen demnächst gewaltig. Um den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest zu verhindern, sollen Jäger massenweise Wildschweine totschießen. Auch in Baden-Württemberg. Tierschützer und Wildökologen sind entsetzt.

In den Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest (ASP) würde Norbert Schindler sogar die Bundeswehr schicken. Deutsche Soldaten müssten zwar nicht mit ABC-Spürpanzern ins Feld ziehen. Geht es nach dem Landwirt und CDU-Bundestagsabgeordneten aus Rheinland-Pfalz, dann rückte die Truppe aber wenigstens zu Fuß in Wälder aus, um Sus scrofa, das gemeine Wildschwein, auf Drückjagden vor die Flinten der Jäger zu treiben.

Im massenhaften Totschießen der Schwarzkittel sieht auch der Deutsche Bauernverband (DBV) die wirksamste Vorsorge, um die gefährliche Tierseuche aus deutschen Schweineställen fernzuhalten. Mindestens 70 Prozent der hier lebenden Wildschweine müssten getötet werden, damit sich das bereits in Osteuropa ausbreitende ASP-Virus nicht auch in heimischen Gefilden einnistet, fordert die Lobbyorganisation der Landwirte. "Wir unterstützen die Empfehlung der Fachbehörden, wie dem Friedrich-Loeffler-Institut, den Wildschweinbestand konsequent und nachhaltig zu verringern. Bei einem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest könnte die Seuche so wirksam bekämpft werden", bekräftigt DBV-Präsident Joachim Rukwied auf Kontext-Nachfrage.

Die Schweinebranche ist in Alarmbereitschaft, seit im Juni 2017 Tschechien erste Fälle von ASP bei Wildschweinen in der Grenzregion zur Slowakei meldete. Ursprünglich war die Tierseuche auf Afrika begrenzt. Im Juni 2007 trat sie erstmals in Georgien auf und wurde von dort in die Nachbarländer Armenien, Aserbaidschan und Russland eingeschleppt. Zwischen 2012 und 2014 breitete sich die ASP in die Ukraine, nach Weißrussland und in die EU-Mitgliedsstaaten Litauen, Polen, Lettland und Estland aus. In den vier EU-Mitgliedsstaaten wurden seit 2014 zahlreiche Fälle von ASP bei Wildschweinen, sowie etliche Ausbrüche bei Hausschweinen festgestellt. Bei beiden Tierarten verläuft die Virusinfektion, gegen die es bislang keinen Impfstoff gibt, tödlich. Für andere Tiere und die Menschen ist die Seuche jedoch ungefährlich. Der Verzehr infizierten Fleisches ist unbedenklich.

Massenware Hausschwein

Der zuletzt rasante Trend hin zur Massentierhaltung spiegelt sich in Zahlen des Statistischen Bundesamts wider: 1977 gab es in Deutschland noch über 610 000 Landwirtschaftsbetriebe, in denen 21,4 Millionen Schweine gehalten wurden. Bis 1997 sank die Betriebszahl auf 192 200 mit 24,8 Millionen Schweinen. Im November 2017 gab es nur noch 23 500 schweinehaltende Betriebe mit rund 27,5 Millionen Tieren.

Der durchschnittliche Bestand liegt bei 1170 Schweinen pro Betrieb. Die größten Betriebe finden sich in Sachsen-Anhalt (durchschnittlich 5800 Tiere je Betrieb). Die kleinsten Betriebe sind in Hessen (rund 590 Tiere/Betrieb) und dem Saarland (rund 280 Tiere/Betrieb) angesiedelt. In Baden-Württemberg sind es durchschnittlich 770 Schweine pro Betrieb.

Dabei wird in Deutschland rund ein Fünftel mehr Schwein produziert als gegessen. Der sogenannte Selbstversorgungsgrad wuchs 2016 auf 121 Prozent. Im selben Jahr exportierten deutsche Betriebe erstmals über eine Million Tonnen Schwein in Nicht-EU-Länder. (red)

Vor allem die Übertragungswege machen die ASP so gefährlich. Sie verbreitet sich durch direkten Tierkontakt, aber auch durch Speiseabfälle oder über kontaminierte Gegenstände wie Fahrzeuge, Geräte, Kleidung. Deshalb birgt der Tourismus und grenzüberschreitendes Transportwesen ein hohes Gefährdungspotential. "Ein wichtiger Baustein der Prävention ist die Aufklärung von Reisenden, Erwerbstätigen und LKW-Fahrern: Wer aus mit der Schweinepest befallenen Ländern Osteuropas kommt, sollte keine Wurst- und Fleischwaren mitbringen", appelliert Rukwied an die Politik, alle Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, um das Risiko eines ASP-Ausbruchs zu reduzieren und im Krisenfall eine Ausbreitung der Tierseuche zu verhindern.

Tatsächlich sagen Experten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Virus die deutsche Ostgrenze überspringt. Nicht erst, wenn es auch in deutschen Ställen Schweine dahinrafft, wäre dies der Super-GAU für die Branche. Bereits ein totes Pest-Wildschwein würde bedeuten, dass kein deutsches Schweinefleisch mehr in Drittländer, also in Länder außerhalb der EU, exportiert werden kann. Ein dramatischer Preisverfall im hiesigen Schweinemarkt wäre die Folge.

Auch die Grünen wollen schießen

Marktbeobachter erwarten, dass beim ersten Hausschweinopfer auch deutsche Konsumenten heimisches Schweinefleisch ächten, was den Absatz weiter drücken würde. "Für Schweinehalter könnten die Verluste geschätzt zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr bedeuten", rechnet der Bauernverband vor. Mit Folgekosten für vor- und nachgelagerte Bereiche und für die eigentliche Seuchenbekämpfung würde sich der Schaden auf zweistellige Milliardenhöhe summieren. "Dies würden viele Betriebe nicht verkraften", warnt der DBV.

Wie so oft, wenn Bauernfunktionäre mit dramatischen Szenarien um Hilfe rufen, steht auch diesmal die Politik Gewehr bei Fuß. "Eine intelligente Reduzierung des Wildschweinbestandes spielt eine zentrale Rolle bei der Prävention", unterstützt der (geschäftsführende) Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) die Abschussforderung. Unter "intelligent" versteht Schmidt etwa, Schwarzkitteln keine Schonzeit mehr zu gönnen.

Anders als noch beim Glyphosat-Streit, als der CSU-Mann weitgehend allein für die weitere Pestizidzulassung kämpfte, hat das Jagdfieber auch Schmidts Länderkollegen gepackt. Nahezu alle wollen das Wildschwein den Bauern opfern. Mit am kräftigsten zum großen Hallali bläst der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk. Zwar sollen im Südwesten, der am weitesten von den ASP-Infektionsfällen in Tschechien und Polen entfernt ist, keine Soldaten aufmarschieren. Der Christdemokrat will Weidmänner und Weidfrauen waffentechnisch massiv aufrüsten. Grünröcke sollen künftig mit Nachtzielgerät und Schalldämpfer auf Pirsch gehen, wie Hauk kürzlich vor der Presse verkündete. Bislang verbietet das Bundesjagdgesetz aus Tierschutzgründen die Verwendung nächtlicher Sehhilfen. Aus kriminalpräventiven Gründen untersagt zudem das Waffengesetz Besitz und Verwendung dieser Geräte.

"Wir werden auch Wildscheine, vorzugsweise junge, in Fallen anlocken und sie dann tierschutzgerecht töten", kündigte Hauk eine weitere Tötungsvariante an. Das sei zwar "kein besonders angenehmes Thema", sagt der Minister. Zugleich betonte er im SWR: "Eine schnelle Kugel ist ein seliges Ende." Im Februar will Hauk einen Maßnahmenkatalog vorlegen, wie es den Schwarzkitteln im Ländle an den Kragen geht. Zuspruch kommt schon jetzt vom Koalitionspartner. "Wir müssen 50 Prozent mehr Wildschweine jagen als in den Vorjahren", sagt Reinhold Pix, Wald- und Wildtierpolitischer Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag. Nichts spreche gegen technische Aufrüstung der Jäger, Aufstellung von Fallen und mehr Drückjagden als bislang.

Nur die ohnehin schon für Schwarzwild marginalen Schonzeiten will die regierende Ökopartei nicht völlig kassieren. "Für Wildschweine gelten bereits weitreichende Ausnahmen", begründet Pix sein Nein zu Hauks Idee. So dürfen schon heute die Tiere das ganze Jahr über im Feld und 200 Meter in den Wald hinein bejagt werden. Bei geschlossener oder durchbrochener Schneedecke sei auch eine Jagd im gesamten Wald im März zulässig. Selbst die Naturschutzverbände, sonst kompromisslose Verfechter des Tierwohls, reihen sich in die überparteiliche Jagdgesellschaft ein. Immer unter der etwas merkwürdig anmutenden Prämisse, dass die Wildschweine tiergerecht sterben. Denn die hohen Bestände an Schwarzwild sorgen laut Stuttgarter Nabu-Landeschef Johannes Enssle nicht nur für Probleme in der Landwirtschaft, sondern auch in Biotopen und Naturschutzgebieten.

Zäune statt Schusswaffen

Zuletzt wurden jedoch Stimmen lauter, die vor Jagdhysterie warnen. "Wir müssen verhindern, dass die ASP nach Deutschland kommt", sagt Sven Herzog, Professor für Wildökologe und Jagdwirtschaft an der Uni Dresden. Die Eintragung sei jedoch nicht von der Wildschweindichte abhängig. "Es spielt keine Rolle, ob ein Autobahnrastplatz von 50 oder von fünf Wildschweinen besiedelt ist", veranschaulicht er. Ausschlaggebend sei das infektiöse Wurstbrot, das dort trotz Warnhinweisen achtlos weggeworfen werde.

Effizienter sei deshalb, Wildschweinen den Zugang zu Rast- und Parkplätze mit Zäunen zu erschweren. Oder die dortigen Mülleimer nicht, wie bislang die Regel, morgens zu leeren, sondern abends vor Einbruch der Dunkelheit. Wildschweine, die aus Vorsicht und Scheu vor dem Menschen nur nachts auf Futtersuche gehen, würden so auf leere Futtertröge treffen. "Das sind banale Dinge, die aber extrem wichtig sind", so Herzog. "Wir stoppen das Virus nicht, indem wir massenhaft Wildschweine totschießen. Diese Maßnahme läuft ins Leere", betont er.

Auch falls das Virus dennoch nach Deutschland eingeschleppt werde, brauche es anderer Maßnahmen als die von Bauernverband und Politik propagierten. "Wir müssen ein krankes Schwein schnell finden", so Herzog. Bislang wüssten aber weder Jäger noch Spaziergänger, was beim Fund eines infizierten Schwarzkittels zu tun ist, kritisiert er. "Es braucht logistische Unterstützung", fordert er etwa Hotlines bei Veterinärämtern.

Gegen die angekündigten Massentötungen laufen auch Tierschützer Sturm. "Bei der Jagd gibt es keine tiergerechte Tötung", sagt Edmund Haferbeck von Peta. Insbesondere Drück- oder Bewegungsjagden, wie sie Minister Hauk forcieren will, lehnt Peta strikt ab. Haferbeck beruft sich auf die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT), die diese Jagdform, bei der die Tiere von Jagdhelfern mit Hunden aus ihren Verstecken getrieben werden, kritisch sieht. Ist das Wild in Bewegung, sind tödliche Treffer viel schwieriger als bei stehendem Wild anzubringen; insbesondere bei ungünstigen Schusswinkeln und auf engen Schneisen, so ein Gegenargument. "Bei Drückjagden auf Schwarzwild in Hessen wurde nur etwa ein Drittel mit Blattschuss erlegt, der Rest der Strecke wies Waidwund-, Keulen- oder Laufschüsse auf", sagt die TVT.

Explosionsartige Vermehrung ist hausgemacht

Wie viele Schwarzkittel in diesem Jahr letztlich auf der Strecke bleiben, ist unklar. Auch weil sich nicht genau beziffern lässt, wie groß der Ausgangsbestand ist. Nach Schätzungen sollen nach der jährlichen Wurfzeit rund 1,25 Millionen Wildschweine durch Deutschland streifen. Unstrittig ist, dass es immer mehr werden, was sich auch an der Jagdstatistik ablesen lässt. In der Jagdsaison 2015/2016 erlegten die Jäger 610 638 Wildschweine. Im Jahr zuvor schossen sie noch 90 000 Tiere weniger. In den 1960er Jahren lag die jährliche Jagdstrecke noch bei unter 30 000 Tieren.

Dabei sind die Gründe für die explosionsartige Vermehrung hausgemacht. "Die Wildschweindichte ist so hoch, wie der Mensch ihnen den Tisch deckt", so Wildexperte Herzog. Vor allem die Ausweitung der Anbauflächen von Mais schmeckt den Tieren. Zudem bieten die ausgedehnten Felder der Futter- und Bioenergiepflanze einen perfekten Unterschlupf. Daneben sorgt der Klimawandel für eine rapide Bestandszunahme. Buchen und Eichen haben heute alle zwei Jahre ein Mastjahr und werfen dann ungeheure Mengen an Bucheckern und Eicheln ab, die Wildschweine gern verspeisen. Die milden Winter tun ihr Übriges, um selbst geschwächten Frischlingen das Überleben zu ermöglichen.

Die Hatz aufs Wildschwein könnte auch als Schuss nach hinten losgehen, warnen Experten. So haben ostdeutsche Jäger bereits Schwierigkeiten, Wildbret zu verkaufen. Ein Überangebot hat den Kilopreis auf 50 Cent sinken lassen. Im vergangenen Jahr lag der Durchschnittspreis noch bei vier Euro. "Kein vernünftiger Jäger schießt ein Schwein tot, um es anschließend wegzuwerfen", prophezeit Wildökologe Herzog eine ethische Diskussion über das Massentöten. Auch "heute-Show"-Moderator Oliver Welke findet das Thema gar nicht lustig: "Es ist schon bezeichnend. Damit die Afrikanische Schweinepest nicht auf deutsche Ställe übergreift, stellen wir nicht etwa die Massentierhaltung in Frage", kritisierte Welke in der jüngsten Ausgabe.

"Die ASP ist eine Chance für die Gesellschaft, die bisherige Agrarpolitik mit ihrer Fokussierung auf Massentierhaltung zu hinterfragen", sagt Herzog. "Das Töten von Wildschweinen ohne Rücksicht auf Ethik und Tierwohl bleibe die allerletzte Option, falls die Krankheit hierzulande grassiert", betont der Wildökologe. Soweit sei es noch nicht. "Und soweit wird es hoffentlich auch nicht kommen."


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • F. Köhler
    am 13.02.2018
    Antworten
    Interessant ist, daß Lobbyverbände der LANDwirte und nicht der VIEHwirte sich um die Ausbreitung der Schweinepest sorgen. Oder hat man sich da die Schweinepest zu Nutze gemacht, um den Einbruch der Wildschweine in deren Felder zu stoppen?

    Denn es hört sich doch besser an, wenn man die Wildschweine…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!