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Heidelberger Eiertanz

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In Heidelberg sorgt ein Kontext-Interview für politische Turbulenzen. Die SPD-Gemeinderatsfraktion ärgert sich über SPD-kritische Aussagen der Leiterin des Interkulturellen Zentrums und will ihr einen Maulkorb verpassen.

Jagoda Marinić ist eine streitbare Frau. Wenn es um die Integration von Migranten geht, macht die Autorin, Kolumnistin und Leiterin des Interkulturellen Zentrums (IZ) in Heidelberg aus ihrer kritischen Meinung kein Geheimnis. Das schafft ihr nicht immer Freunde. Etwa, wenn die Tochter kroatischer Eltern den Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon auf einem Podium provokativ fragt, ob er überhaupt wisse, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in seiner Verwaltung arbeiten – und der Grüne passen muss. Oder wenn sie Angela Merkel die Leviten liest, als die die NSU-Morde, die lange unter "Döner-Morde" liefen, "als beschämend für Deutschland" bezeichnet. "Weil alle weggeschaut haben oder weil Deutschland jetzt schlecht dasteht?", fragt sie in einer Rede zornig. Diese Frau hat keine Angst vor den Mächtigen.

Nun hat Jagoda Marinić wieder einen Nerv getroffen. Die SPD und die Gastarbeiter – da sei in der Vergangenheit einiges schiefgelaufen, macht sie <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft nur-mit-uns-geht-es-4591.html internal-link-new-window>vor der Bundestagswahl in einem Kontext-Interview klar: "Gerade in Baden-Württemberg sind viele Einwandererkinder inzwischen eingebürgert. Sie würden – statistisch betrachtet – der SPD Werte bescheren, wie die CDU sie derzeit hat. Aber dafür hätte die SPD eine klarere Kampagne auch für uns Bindestrich-Deutschen führen müssen." Diese Einschätzung teilt die Migrationsexpertin übrigens mit Sozialdemokraten wie Dieter Wiefelspütz und Aydan Özoğuz.

Doch die Heidelberger Genossen sind vor allem sauer. Da mag auch das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl (18,5 Prozent) eine Rolle spielen und womöglich noch die Heidelberger Wahlplakat-Panne (Plakate der Saar-SPD in Heidelberg) nachklingen. Doch mit Jagoda Marinić scheint ein Sündenbock gefunden. Neutralitätspflicht verletzt, lautet der Vorwurf der Heidelberger GenossInnen. Ein Eiertanz beginnt.

Die Fraktion schreibt einen Brief an Oberbürgermeister Eckard Würzner (parteilos) als obersten Dienstherrn, fordert die Stadt auf, sich zu positionieren und von der städtischen Angestellten eine öffentliche Entschuldigung. Inzwischen sind außerdem der Personalrat involviert, der Dezernent für Umwelt, Bürgerdienste und Integration, Wolfgang Erichson (Grüne), und sogar der Heidelberger SPD-Bundestagskandidat Lothar Binding. Der hat bei der Wahl im September – trotz Marinić-Interview – als Direktkandidat immerhin mehr als 26 Prozent Stimmen eingefahren. Der 67-Jährige ist ein alter Hase im Politgeschäft, ihm sind keine Eitelkeiten, Empfindlichkeiten und Eifersüchteleien fremd. Offiziell bekundet er "Verständnis für das formale Anliegen" seiner Heidelberger Parteifreunde.

Dort würde man am liebsten gar nichts sagen. Der Sprecher der Gemeinderatsfraktion, Simon Widmann, hält den SPD-Brief für eine interne Angelegenheit. Die Fraktionsvorsitzende Anke Schuster findet, der Alltag sei auch ohne die Affäre Marinić schon stressig genug. Keine inhaltliche Äußerung von der Professorin also und schon gar keine öffentliche Stellungnahme, "weil das kein öffentlicher Akt ist". Eine interne Angelegenheit also zwischen SPD und Marinić? Wohl kaum, wenn der OB als Dienstherr sich die Kritik zu eigen macht und seine städtische Angestellte ermahnt. So sieht ein Maulkorb aus.

Das bestreitet der Heidelberger Pressesprecher vehement. "Die Stadt räumt Frau Marinić als Beschäftigter der Stadt seit Jahren wesentlich mehr Befugnisse im Bereich der Außendarstellung ein als Beschäftigten in vergleichbaren Positionen", teilt Achim Fischer schriftlich mit und betont: "Eine Änderung dieser Konstellation ist nicht geplant." Eine Stadt müsse als Arbeitgeberin jedoch jedem Hinweis auf eine Verletzung der Neutralitätspflicht nachgehen, damit das in Zukunft nicht mehr vorkomme. Aber selbstverständlich gelte auch für Jagoda Marinić die Rede- und Meinungsfreiheit.

Doch die ist inzwischen mehr als angefasst. Persönlich geredet hat keiner der Heidelberger Genossen mit ihr. Nur der Schriftverkehr wogt munter hin und her. "Wenn das so läuft, könnte ich ja meine Arbeit nicht mehr machen", sagt die Leiterin des Interkulturellen Zentrums, "doch ein Haus wie das IZ muss gerade in heutigen Zeiten wehrhaft bleiben und seine Ziele jederzeit verfolgen dürfen". Das sehe auch der zuständige Dezernent so.

Es geht in diesem Streit inzwischen um mehr als um kleine Eitelkeiten oder eine lokale Politposse. Es geht, gerade in Zeiten von AfD und rassistischer Hetze, um den Mut, für Integration und für Toleranz einzustehen und seine Stimme zu erheben – ohne Furcht vor Repressalien. Bei Jagoda Marinić hat der SPD-Vorstoß große Betroffenheit ausgelöst. "Ich bedaure sehr, dass das Sachthema Integration darunter leidet", sagt Marinić gegenüber Kontext und überlegt, als Konsequenz ihre städtischen Ehrenämter niederzulegen. Das betrifft wohl vor allem ihr Engagement bei der Literaturstadt Heidelberg.


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10 Kommentare verfügbar

  • Andromeda Müller
    am 30.10.2017
    Antworten
    Im übrigen ist es putzig (m.E.) ,daß ein Mann derBauwirtschaft namens OB Würzner , die SPD "verteidigt".
    Aber deren ehemaliger SPD - OB Zundel , - und nach einer Wahlperiode "bürgerlicher Ex-SPD-OB -, war ja auch ein Mann des Bauens , und nicht des Bewahrens des Stadtbildes .
    So hält man sich…
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