Nun ist das Beteiligungsverfahren beendet – und es fragt sich, was dabei herausgekommen ist. Für Oberbürgermeister Fritz Kuhn genau das, was er sich gewünscht hat. Für den Gemeinderat sei "das Memorandum eine starke normative Vorgabe", die Bürger hätten "einen Rahmen vorgegeben". Die Ergebnisse würden zudem gut zur Idee einer Internationalen Bauausstellung passen.
Nicht alle sind so angetan. Die Gemeinderatsfraktion SÖS Linke PluS zeigte sich schon im Vorfeld skeptisch und ist der Veranstaltung fern geblieben. Im Verkehrsclub Deutschland (VCD) und im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) fragte man sich, ob die Beteiligung an den Planungen zu einem Quartier, das auf den leer geräumten Gleisflächen entstehen soll, nicht ihrem Engagement für mehr Schienenverkehr widerspräche. Christoph Link vom Stuttgarter VCD-Kreisverband sprach sich trotzdem dafür aus, um sich – auch wenn Stuttgart 21 fertig gebaut werde – für mehr Schienenverkehr einsetzen zu können.
Für mehr Schienenverkehr bräuchte man die bestehenden Gleise
Link rechnet vor, dass bei derzeit 800 000 Fahrten täglich nach Stuttgart eine Zunahme um 20 Prozent, wie sie Kuhn anstrebt, 160 000 zusätzliche Fahrten bedeute – und ihm wären 50 Prozent lieber. Mindestens sechs oberirdische Gleise neben den acht unterirdischen des neuen Bahnhofs seien unverzichtbar: je zwei aus Feuerbach, aus Cannstatt und von der Gäubahn. Dies haben die Moderatoren auch brav protokolliert. Im <link https: www.stuttgart-meine-stadt.de file external-link-new-window>Entwurf des abschließenden Memorandums kommt es allerdings nicht vor, oder höchstens sehr versteckt.
In dem 155-seitigen Papier stehen viele schöne Dinge, darunter achtzig Seiten "Interessensammlung." Eingeschoben auf Seite 29, findet sich ein halbseitiger Abschnitt zum "Zusammenhang mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21", der, wie Link kritisiert, gar nicht aus dem Verfahren, sondern von den Moderatoren selbst stammt.
"Sicherheit zu haben, dass die Kapazitäten des künftigen Hauptbahnhofs den Bedarfen und Anforderungen der Zukunft gerecht werden wird", so formuliert das Mediator-Team hier das Anliegen des Verkehrsverbands, und auf den fünf Seiten zum Thema Mobilität steht dann auch nicht viel mehr. Das war Link zu wenig. Er protestierte: VCD und BUND würden das Papier in dieser Form nicht mit tragen.
"Prallen Positionen (wie z.B. 'Ja' gegen 'Nein' oder 'Ich bin dafür' gegen 'Ich bin dagegen') aufeinander, entstehen oftmals starre Kommunikationsmuster mit hohem Eskalationspotenzial und geringer Lösungskapazität", schreibt das Mediator-Team treffend – und macht daher um alle Konflikte einen großen Bogen. Die Moderatoren behandeln das Anliegen des VCD, Bahngleise für einen Großstadtbahnhof vorzuhalten, nicht anders als den Wunsch potentieller Bewohner nach Einkaufsmöglichkeiten und Spielplätzen.
Wunschlisten für andere
Das Problem ist, wie Link sagt: "Die Leute, die da mal wohnen werden, die gibt es ja noch gar nicht." Wann auch immer Stuttgart 21 fertig werden sollte: Wer jetzt eine Wohnung sucht, muss sie bis dahin längst gefunden haben. Und diejenigen, die dann möglicherweise ins Rosensteinviertel ziehen, wissen heute ziemlich sicher noch gar nichts davon. Das heißt, die Beteiligten des Verfahrens sind nicht die zukünftigen Bewohner. Es "müssen Leute sein, die eine übergreifende Vorstellung von einer Stadt haben."
Was bringt es also in dieser Situation, wenn sich Bürger nach Herzenslust günstige Wohnungen, Eissalons, Schwimmbäder, Radwege, Bahnanschlüsse, kulturelle Einrichtungen, Carsharing, einen Markt und schönes Wetter wünschen? Im Moment kann es nur darum gehen, was die Stadt als Ganzes braucht.
Hier sind sich der OB und die Bürger in vielen Dingen einig. Kuhn fasst zusammen: "Ihr Wunsch ist ein vielfältiger und sozial durchmischter Stadtteil mit abwechslungsreichem und kleinteiligem Städtebau." Dass Stuttgart mehr bezahlbaren Wohnraum braucht, ist nun freilich keine ganz neue Erkenntnis. Und dass Stadtviertel lebens- und liebenswert gestaltet sein sollen: um dies festzustellen, braucht es keine Bürgerbeteiligung. Das Memorandum, oder der Entwurf dazu, bleibt zu großen Teilen ziemlich wolkig.
9 Kommentare verfügbar
Jonas
am 06.12.2016