Die Hoffnung lebt. Erst recht seit der Sitzung des Ausschusses Stuttgart 21 vor zwei Wochen im Rathaus. Denn je lauter Projektbefürworter die Leistungssteigerung im Bahnknoten dank seiner acht unterirdischen Gleise betonen, desto größer werden nach Ansicht seiner Gegner die Chancen, doch noch aus dem Finanzierungsvertrag auszusteigen. Das Milliardenprojekt zu kippen oder zumindest grundlegend zu verändern. An dem denkwürdigen Mittwoch Ende Oktober hatten sich zum Ende einer bewegten Sitzung jedenfalls Florian Bitzer und Peter Sturm im Auftrag der Bahn zu einem "erneuten Bekenntnis der Leistungsverdopplung durch Stuttgart 21 hinreißen lassen", berichtet S-21-Kritiker Christoph Engelhart. Und er leitet daraus einen weiteren Kündigungsgrund des Gemeinderats ab. Denn: "Das möchten wir doch sehen, wie die Bahn das vor der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde belastbar nachweist."

Zwei Projektgegner Mitte der Neunziger: Fritz Kuhn (links) und Winfried Herrmann. Fotos: Joachim E. Röttgers
Sogar OB Fritz Kuhn – Projektgegner seit Mitte der Neunziger Jahre – äußerte sich zur Leistungsfähigkeit, zur Planfeststellung, zur Finanzierungsvereinbarung und zur Schlichtung, die allein die morgendliche Spitzenstunde vergleichen wollte. Wenn dieser Zeitraum gemeint sei, so der Grüne, "dann kommt der S-21-Bahnhof auf 49 und der heutige Kopfbahnhof hat 35 beziehungsweise 37 Züge". Sogleich gab es Applaus von einer Seite, die in Treue felsenfest im anderen Lager steht. "Der Ausschuss tagt, auf unseren Antrag hin, um auf die in einem der beiden Bürgerbegehren formulierten Zweifel an der verkehrlichen Leistungsfähigkeit von S 21 öffentlich zu diskutieren", lobt sich SPD-Fraktionschef Martin Körner. Am interessantesten aber sei für ihn der Vortrag des Landesverkehrsministeriums, denn der habe bestätigt, "dass S 21 die Leistungssteigerung bei den Zugzahlen bringt, die mit dem Stresstest im Konsens von Gegnern und Befürwortern vorgegeben worden ist". Und weiter: "Respekt vor dem OB, der das dann auch nochmals bestätigt."
In dem 14-seitigen Gutachten des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur zum "geplanten Kapazitätsbau", dem der Zahlenvergleich von Tief- und Kopfbahnhof zwischen sieben und acht Uhr morgens entnommen ist, stehen allerdings noch ganz andere Sätze, die den S-21-Fans weniger gefallen dürften. Zum Beispiel: "Da ein Durchgangsbahnhof ungleiche Lastrichtungen grundsätzlich schlechter in verkehrlich sinnvoller Weise bewältigen kann als ein Kopfbahnhof, war für den Stresstest die morgendliche Spitzenstunde für den Nachweis der Zukunftssicherheit von Stuttgart 21 erforderlich." Und weiter: Mit dem Stresstest sei der "Nachweis zu führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist." Und dann folgt eine Vermutung, der eine "gewisse Plausibilität" zu Grunde liege, dass die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur von Stuttgart 21 mit dem Stresstestfahrplan ausgeschöpft ist "und bei weiteren Zügen die Betriebsqualität erheblich sinken würde".
Laut Stresstest müssen Züge kreuzen – unmöglich
Bahn und Befürwortern spielt in die Hand, dass selbst derart zentrale Fragen nicht (mehr) besonders publikumswirksam sind: Für die allermeisten Stuttgarter und Stuttgarterinnen ist das Thema weitgehend durch; dass der Zug noch aufgehalten werden kann, übersteigt auch die Phantasie vieler, die früher Montag für Montag auf die Straße gegangen waren. Außerdem schreckt der Aufwand ab, den die Unermüdlichen unter den Projektgegnern auf sich nehmen. Durch Papierberge wühlen müsste sich beispielsweise, wer belegen will, dass das Betriebsszenario mit der Erhöhung des Zugangebots um "ca. 50 %" implizit sehr wohl Bestandteil des Finanzierungsvertrags ist. Oder dass der Stresstest fehlerhaft ist, etwa weil sich zwei Regionalzüge, der RE 11001-2 und RE-D 20003, kreuzen müssten, um die Vorgaben einzuhalten – was aber technisch gar nicht möglich ist. Engelhart bezweifelt in seiner Aufarbeitung der "fehlerhaften Entscheidungsgrundlage des Beschlusses des Stuttgarter Gemeinderats zur Zulässigkeit des 4. Bürgerbegehrens" vom Juli 2015 sogar, dass die Simulation überhaupt stattgefunden hat – angesichts der Abweichungen der Bahn vom eigenen Regelwerk, "die den "Stresstest als unrealistische, regelwidrige und rein theoretische Rechenübung ausweisen, die die vermeintliche Leistungsfähigkeit von 49 Ankünften pro Stunde nur auf dem Papier erreicht".
13 Kommentare verfügbar
by-the-way
am 14.11.2016Da haben Sie Recht!
Aber was können wir in einem pseudo- "demokratischen" Staat auch anderes erwarten ?!!