Es geht um viel mehr als die Programmatik einer Partei, die nach 15 Jahren weiterhin den Ministerpräsidenten stellen will. Mitte Dezember berät ein Landesparteitag der Grünen in Ludwigsburg über die Zukunft von Kindern und Jugendlichen, über Familien und Lehrerkollegien, über die inzwischen jahrzehntealten Versprechen von Aufstieg durch Bildung, über die Einhaltung internationaler Verträge zur Inklusion. Weil der Ende Oktober vorgelegte Entwurf des Wahlprogramms konkrete Festlegungen umschifft, haben sich einzelne Mitglieder und verschiedene Gruppen zusammengetan und Anträge formuliert. Die Verbesserungswünsche stapeln sich – und sind nun plötzlich sogar digital freigeschaltet.
Der Landesvorstand hat seinen ursprünglichen Plan aufgegeben, die Präzisierungen, die zusätzlichen Vorschläge oder Dringlichkeitsanträge bis zum Parteitag unter der Decke zu halten. Seit Dienstag können Verbände und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Schulen, Schulträger, der Eltern- und der Landesschülerbeirat und jede:r Interessierte einsehen, wer wie den vielen zahnlosen Formulierungen zum notwendigen Biss verhelfen möchte. Thomas Poreski, Bildungsexperte in der Landtagsfraktion, freut sich über diese "grüne Schwarmintelligenz" und darüber, wie einfache grüne Mitglieder "mit inhaltlichem Biss" ihr Engagement bewiesen haben.
Vieles ist, wie üblich in grünen Antragsdebatten, kleinteilig. Manches wird dem Wahlkampf beim Thema Bildung deutlich mehr Würze verleihen. So plädiert eine über das ganze Land verteilte Gruppe von 20 Grünen-Mitgliedern aus Stuttgart, Freiburg, Ulm, Böblingen, Tübingen oder Reutlingen für eine dringend notwendige Strukturdebatte, mit der sich die Grünen deutlich von CDU und FDP abgrenzen würden – die der Landesvorstand ausweislich des Entwurfs allerdings vermeiden wollte. Ziel ist, ausdrücklich mit klarer Haltung in mögliche Koalitionsverhandlungen zu gehen und "nicht mit Anbiederung", wie eine Antragstellerin sagt. "Die Drei-/Vier-/Vielgliedrigkeit unseres Schulsystems ist nicht zukunftsfähig", steht da zu lesen, und "dass es besser geht, dafür brauchen wir gar nicht nach Kanada oder Skandinavien zu schauen, es reicht beispielsweise der Blick nach Hamburg".
Keine Reform gegen "Sortierwahn"
Der Hinweis auf die Hansestadt ist pikant, weil Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) auf Wunsch des Ministerpräsidenten eigens dorthin reiste, um sich vom Primus und Aufsteiger in den Vergleichsstudien der vergangenen Jahre anregen zu lassen (Kontext berichtete). Ins neue grüne Wahlprogramm flossen die Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Schulen ab Klasse fünf allerdings bisher nicht ein. So ist beispielsweise nirgends die Rede vom zweigliedrigen System mit Stadtteilschulen und Gymnasien, die alle Abschlüsse bis zum Abitur anbieten. Oder vom gebundenen Ganztag als Regelform, wodurch Schulen und Schulträger Organisationsarbeit erspart bleibt, weil Ganztagsangebote für alle Kinder und Jugendliche verbindlich sind.




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