Das Statistische Landesamt meldet für den Südwesten in diesen Jahren zahlreiche Kreise und Kommunen ohne auch nur einen einzigen Erzieher oder Grundschullehrer. Etliche (CDU-geführte) Landesregierungen hätten alle Zeit gehabt, Ideen zu entwickeln, Modellversuche zu initiieren oder gesetzliche Richtlinien auszugestalten. Vor Ablauf aller Fristen drohte die EU den Zauderern im Südwesten und anderswo dann doch mit fixen Vorgaben. Und statt vor der eigenen Türe zu kehren, lamentieren Sozial- und Bildungspolitiker landauf, landab, die Brüsseler Bürokraten sollten sich gefälligst aus Themen heraushalten, die vor Ort und "nahe an den Menschen" geregelt gehörten.
Das Gehirn stottert, sobald es um EU-Institutionen geht
Gerade langjährige Kommunalpolitiker philosophieren gerne kopfschüttelnd über die abgehobene Regulierungswut, obwohl sie ganz genau wissen, dass die Konsultation vorbildliches Herzstück des europäischen Gesetzgebungsprozesses ist. "Bevor Gesetze vorgeschlagen werden, werden Studien zu deren potenziellen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen erstellt, gerade in sensiblen Bereichen", schreiben die Grünen in einer der ungezählten Infobroschüren, die sich in mehreren Säulen bis in die Kuppel des Reichtags stapeln ließen. Nur auf deren Basis entscheidet die Kommission. Dargestellt werden die Abläufe von interessierter Seite immer andersherum.
Just so wie der allseits beliebte Klassiker: die Gurkenkrümmung. Gerade der Streit um den Neigungswinkel der Gurke geht ausdrücklich zurück auf den Wunsch von Praktikern hinter und vor der Theke. Ende der Achtziger wurden, nicht zuletzt zum Wohle der Konsumenten, 25 Obst- und Gemüsesorten in drei Klassen (extra, eins und zwei) eingeteilt und eine einschlägige Verordnung erlassen. Die ist seither Totschlagargument an den Stammtischen europaweit. Und Zyniker vom Boulevard halten die Mär immerzu am Leben – und entdecken immer neue Skandale, die gar keine sind. Im November 2015 titelte "Bild": "Neuer Regulierungs-Irrsinn aus Brüssel." Künftig sollen "frei stehende Kerzen oder Kerzen, die mit einem Halter oder Behälter geliefert werden, während des Abbrennens stabil bleiben", heißt es in dem Vorschlag, der dem Parlament zugegangen ist.
Die European Candle Association, zufällig mit Sitz in der Stuttgarter Heinestraße, reagierte zufrieden, weil die Vorschrift sowohl dem Schutz gegen Billigimporte diene als auch der Sicherheit der Konsumenten. Kerzen sind gefragt in der Wohlfühlfreizeit und traditionell vor Weihnachten. Laut Versicherungsstatistik gab es 2015 allein in den Adventswochen 11 000 Brände mehr in Deutschland als im Vorjahr. Das Beispiel zeigt nicht zuletzt, wie entspannt sich die Eurokraten in Brüssel zurücklehnen könnten, würden mehr Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung den Verstand einsetzen und immer nur solche Kerzen kaufen, die in die vorgesehenen Halterungen passen. Offenbar beginnt aber das menschliche Gehirn zu stottern, sobald es um europäische Institutionen geht. Kaffeefreaks haben Angst, dass ihnen die gute alte Melitta-Maschine verboten wird, dabei soll allein die Warmhaltefunktion reguliert werden.
Der Chor der EU-Kritiker singt laut und falsch
Die AfD singt natürlich mit im Chor, laut und falsch: "Wir lehnen die unzähligen Versuche der EU-Kommission ab, in das tägliche Leben der Bürger regulierend einzugreifen." Und erst recht wird die EU in der virtuellen Welt nach Kräften geschmäht und verleumdet. Politiker wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, werden mit Fäkalausdrücken bedacht, als hätten sie sich größter Sünden schuldig gemacht. Immer zielen die Attacken auf niedere Instinkte, und nur zu oft erfolgen sie wider besseres Wissen. Denn eine Vielzahl dieser sogenannten Eingriffe geht auf die schon 2005 mit dem Segen aller Mitgliedsstaaten in Kraft gesetzten Bemühungen zurück, "energieverbrauchsrelevante Produkte umweltgerecht zu gestalten".
13 Kommentare verfügbar
Jim Zimmermann
am 04.07.2016Gute Nachbarn!