Dabei beeinflusst nicht nur der Bahnhofswall den Weg des Wassers durch Stuttgart. Das Trogbauwerk liegt auch dem Abwasserkanalsystem der Landeshauptstadt im Weg. Der größte Kanal, durch den auch der Nesenbach abfließt, muss unter der Bahnhofshalle hindurch geleitet werden. Derzeit baut die Bahn das aufwendige Dükerbauwerk, in dem das Abwasser auf der westlichen Bahnhofsseite zunächst nach unten und auf der anderen Seite wieder nach oben umgeleitet wird. Der neue Verlauf des Hauptsammlers verringere die Abflussleistung des Kanals, befürchten die projektkritischen Ingenieure 22. "Überflutungen durch Rückstau im Abwasserkanalnetz werden dann häufiger und bereits bei geringeren Sturzregen auftreten, die heute von den Kanälen noch sicher abgeführt werden", sagt deren Sprecher Hans Heydemann.
Auch dem widerspricht die S-21-Projektgesellschaft. "Der Nesenbach bleibt auch durch seine neue Führung in einem Düker unter dem neuen Hauptbahnhof hindurch vollständig kanalisiert und kann mit Überschwemmungen bei offenen Gewässern nicht verglichen werden", betont der Sprecher. "Die Führung im Düker mit einhundert Kubikmetern pro Sekunde ist mindestens so leistungsfähig wie der heute bestehende Kanal", ergänzt er. Die Stadt sieht ebenfalls keinen Grund zur Beunruhigung. Der Nesenbach-Kanal erfülle seine Aufgabe weiterhin, lässt das zuständige Tiefbauamt mitteilen.
Verschärft der neue Tiefbahnhof die Überschwemmungsgefahr in der Stuttgarter Innenstadt also nicht? "Das waren Mengen, die kann man sich nicht vorstellen, die sind mit Menschenhand nicht zu bändigen", beschreibt Frank Harsch, der Bürgermeister des zerstörten Braunsbach, welche Naturgewalten den Ort im Kochertal trafen. Innerhalb weniger Minuten hatte sich ein kleiner Bach während des Gewitters zur rasenden Schlamm- und Gerölllawine verwandelt, der weder Autos noch Häuser standhielten.
Die Region ist besonders unwettergefährdet
In wenigen Stunden waren über 100 Liter Regen pro Quadratmeter vom Himmel geprasselt. Wassermassen, die unaufhaltsam von den umgebenden Hängen zu Tal schossen und alles mitrissen. "Über dem Kochertal hatte sich eine Gewitter-Superzelle gebildet, die nicht weiterzog, sondern vor Ort abregnete", erklärt Uwe Schickedanz, leitender Meteorologe vom Deutschen Wetterdienst in Stuttgart. Derartige Ereignisse sind relativ selten, schwer vorhersagbar, aber in der warmen Jahreszeit jederzeit möglich.
"Südwestdeutschland ist besonders exponiert", erläutert der Experte. Wie ein Fön bläst die burgundische Pforte zwischen Jura und Vogesen feuchtwarme Luft aus dem Mittelmeerraum nach Baden-Württemberg, wo sie zusätzlich Feuchtigkeit aufsaugt. "Solch ein Starkregenereignis kann natürlich auch in Stuttgart auftreten", sagt der Meteorologe. Der Klimawandel heizt der Unwetterküche zusätzlich ein. Je höher die Temperatur, desto mehr Wasser kann gasförmig in den Wolken gebunden werden und wieder ausregnen. "Wir müssen uns leider darauf einstellen, dass solche Extremunwetter künftig häufiger auftreten", so Schickedanz.
Das letzte derart verheerende Unwetter traf Stuttgart am 15. August 1972. Innerhalb von nur einer Viertelstunde stand die Landeshauptstadt unter Wasser. Tennisballgroße Hagelkörner bombardierten Talkessel und Neckarvororte, regenschwere Sturmböen peitschten durch die Straßen. Die unbändigen Naturgewalten deckten Dächer ab und entwurzelten Bäume. Schnell schossen meterhohe Fontänen aus den Gullys der überlaufenden Kanalisation. In den Straßentunnels der B 14 stapelten sich die Fahrzeuge in tiefen Hagel-Eisseen. Durch eingedrückte Fenster drangen Wassermassen in tausende Keller. In den dramatischen Minuten der Katastrophe starben sechs Menschen, erstickt unter Hagelmassen, ertrunken in vollgelaufenen Souterrains, zerquetscht von reißenden Sturzfluten. Der Deutsche Wetterdienst registrierte damals an seiner Messstation am Cannstatter Schnarrenberg 63,2 Liter Regen auf den Quadratmeter während des Unwetters. Die Klett-Passage wurde erst vier Jahre nach der Katastrophe eröffnet.
7 Kommentare verfügbar
Müller
am 14.06.2016Ihr müsst euch besser abstimmen. Es ist doch peinlich, wenn die Wrltuntergangsszenarien auf die eigenen Projekte zielen. Es hat was von Trump. Der nutzt auch jede Tragödie für seinen Wahlkampf.
PS: tolle…