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Sekt auf der MS Raffaello

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 Fotos: Martin Storz 

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Datum:

Die Liberalen Frauen in Baden-Württemberg sind tough. Wer bei ihnen ist, hat's geschafft, darf meinungsstark und kein Alice-Schwarzer-Fan sein. Zu ihrem Brunch kam auch FDP-Spitzenfrau Katja Suding eingeflogen, um über Feministinnen und Flüchtlinge zu plaudern. Willkommen auf der MS Raffaello.

"Stopp, das ist der Sekt von der Susanne", bremst mich eine gut frisierte Mittsechzigerin, als ich versehentlich zum falschen Glas greife. Es ist Samstagmorgen um halb elf, und Etikette muss schon sein. Wir befinden uns auf dem Deck des LIF-Kreuzfahrtdampfers, der MS Raffaello. Okay, eigentlich ist es das Nebenzimmer des Cafés "Academie der schönsten Künste" in Stuttgart-Mitte, in dem sich die Liberalen Frauen – kurz LIF – zum Brunch treffen. Etwa 20 Damen zwischen Ende dreißig und siebzig, geschmückt mit Perlenketten und anderem glitzerndem Behang, sitzen um drei edle Holztische, erinnern "leicht und unbeschwert" an die Luxusladys aus der TV-Werbung der Kokos-Mandel-Süßigkeit in den Neunzigern.

Alle warten auf Katja Suding. Die FDP-Spitzenfrau aus Hamburg ist für ein Impulsreferat geladen. "Die kommt direkt vom Flughafen und hat sich leicht verspätet", sagt Judith Skudelny, die LIF-Landesvorsitzende und Generalsekretärin der FDP in Baden-Württemberg. Viertel vor elf ist Suding da. Schwarz-silberne Glitzer-Sneaker, graue Skinny-Jeans, lässige Strickjacke. Der Longbob sitzt. Die MS Raffaello kann in See stechen. Reiseziel: Future Island. Auf die Zukunft sei das Land nicht vorbereitet, bemängelt die Unternehmensberaterin Renata Alt. Sie ist die erste Vorsitzende von LIF Stuttgart.

Als Frau Alt alle Damen an Deck begrüßt, ist schnell klar, welche Politinseln auf der Reise nach vorne angesteuert werden: Flüchtlinge und Frauen. "Die Gleichberechtigung der Frauen wird die Wahl entscheiden", sagt sie und macht klar, dass sie es sich ums Verputzen nicht verbieten lassen werde, kurze Röcke zu tragen. Auch nicht nach dem desaströsen Silvester in Köln und Stuttgart. Diesen Blick teilt Frau Skudelny, die unter anschwellendem Beifall befindet, dass frau den männlichen Netzwerkern etwas entgegensetzen müsse, "so'n bisschen Politik auch für Frauen machen". Bisher hocken auf den sieben FPD-Sitzen im Landtag sieben Männer.

Ein Mann wird durchgelassen – der Kellner

Während Skudelny die "großen Erfolge der letzten Jahre" der FDP feiert, wird an den Tischen wild geknuspert und geschlürft, der Kellner – der einzige Mann an Bord –balanciert unentwegt Latte macchiato, Tee und Sekt über voluminöse Frisuren hinweg. "Manchmal lohnt es sich, einen Mann durchzulassen", witzelt Skudelny, als der Bediener Probleme hat, an die Tische zu gelangen.

Dann ist Katja Suding aus Hamburg an der Reihe. Zur Flüchtlingspolitik sagt sie, Horst Seehofers "unsinnige Obergrenze" sei keine Lösung, Angela Merkels "Wir schaffen das"-Mantra konfus. Besser sei es, einen "vorübergehenden, humanitären Schutz für die Dauer des Krieges" zu gewähren. Aber danach wieder hurtig zurück. Zum Feminismus meint sie, bei Rainer Brüderle, dem Parteifreund aus Rheinland-Pfalz, und der angegrabschten "Stern"-Autorin Laura Himmelreich hätten "die Feministinnen" sofort mit dem Hashtag "Aufschrei" protestiert. Und wo waren sie nach Silvester? Da hätten sie mehr als eine Woche lang auf sich warten lassen, bis sie in die Puschen gekommen seien. Schlimm sei es, sagt Suding, dass "die Feministinnen" jetzt behaupteten, sexuelle Gewalt habe es schon immer gegeben, wie beim Oktoberfest oder Karneval. "Das steht in keiner Relation zu dem, was gerade passiert ", spricht sie in den Raum, der sich mit brausendem Applaus füllt.

Nur nebenbei: "Die Feministinnen" waren die, die sich über den Altherren-Schwenk des "Tagesschau"-Kameramanns über ihre Beine beschwert haben, als sie beim Dreikönigstreffen der FDP im vergangenen Jahr auf dem Podium saß. Brüderle, der "Aufschrei", der Schwenk über ihre Beine – kein alltäglicher Sexismus? Nicht für Suding. Mit ihren "sportlichen Beinen" könne sie die Fünfprozenthürde "locker überspringen", scherzt die 40-Jährige. So lustig kann sie sein, die Affirmation der Männerwelt. Aber hey, heute machen wir hier trotzdem "so'n bisschen Politik auch für Frauen".

Die Quote ist Quatsch, die Leistung zählt

Auf der MS Raffaello ist halt gut leben. Während in der anschließenden Diskussion Gabriele Reich-Gutjahr (Wahlbezirk Stuttgart II) den bürokratischen Wahnsinn bei der Registrierung von Flüchtlingen kritisiert, können es zwei Damen am Nachbartisch kaum fassen, dass sie in Tansania nur einmal ihre Fingerabdrücke hinterlassen mussten. Geht doch sogar im Busch. Warum also hier so oft? Eine weitere "Weltreisende", wie sie sich selbst vorstellt, kramt aus ihrem Erlebniskästchen und weiß nach vielen Reisen nach Kanada oder in die USA zu berichten, dass man längst etwas an den Einwanderungsgesetzen hätte ändern müssen. Das alles erinnert an Gerhard Polts Erzählungen aus der Sicht der Mutter einer bayrischen Mittelstandsfamilie, die beim "Lobster-Festival" zugunsten der "Tiramisu-Geschädigten" auf den Virgin Islands zugegen war.

Warum die liberalen Powerfrauen ein Problem mit "den Feministinnen" haben, bleibt unklar. Judith Skudelny versucht's mit Alice Schwarzer, die "wir heute nicht mehr brauchen". Sie setzt lieber auf das Credo der FDP, das Individuum nicht durch Regeln und Gesetze einzuschränken, sondern darauf zu vertrauen, dass sich Leistung auszahle – unabhängig vom Geschlecht. "Wir brauchen keine Frauenquote, sondern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere", sagt die 40-jährige Rechtsanwältin aus Leinfelden-Echterdingen. 2009 hat sie für Aufsehen gesorgt, als sie ihre vier Monate alte Tochter im Umhängesitz mit in den Plenarsaal des Bundestags genommen hat. Auch Mama Skudelny war damals mit nach Berlin gezogen, um der Tochter zur Hand zu gehen, während der Papa mit dem anderen Kind in Stuttgart blieb.

Am Ende der LIF-Kreuzfahrt bekommt Katja Suding von Renata Alt noch eine Hochland-Präsenttüte in die Hand gedrückt, und Judith Skudelny überreicht ihr eine Tafel Ritter Sport und etwas, das verblüfft: einen Asterix-Comic. Aber nicht irgendeinen, sondern "Asterix und Maestria" von 1991. Albert Uderzo thematisiert darin den Feminismus und gibt eine Antwort auf den Vorwurf, dass das Universum um Asterix und Obelix frauenfeindlich sei. Der Inhalt ist schnell erzählt: Maestria, die Bardin und Lehrerin, zettelt im kleinen gallischen Dorf den Geschlechterkampf an, trägt Hosen und ruft die Bewohnerinnen auf, sich aus der Tyrannei der Männer zu befreien. Maestrias Plan scheint aufzugehen, doch am Ende war der Feminismus nur ein Infekt, der schnell kuriert wurde, als die Damen mit der neuesten Mode aus Paris beglückt wurden.

Schwamm drüber, über die Lila-Latzhosen-Episode der Siebziger, her mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, für die frau sich nur genügend anstrengen muss, dann klappt es wie bei den PassagierInnen auf der MS Raffaello. Bevor sie das Schiff verlassen, darf sich jede noch mit Top-Frau Suding fotografieren lassen, der Kellner wird für die knusprigen Brötchen gelobt, dann geht es im dicken – hoffentlich unechten – Pelzmantel von Bord in den kalten schwäbischen Winter.


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4 Kommentare verfügbar

  • Insider
    am 22.01.2016
    Antworten
    Berichtet KONTEXT künftig über jedes Damenkränzchen, das sich in Stuttgart trifft?
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