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Kretschmanns Spagat

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Als neue Baden-Württemberg-Partei will Winfried Kretschmann seine Grünen im Landtagswahlkampf positionieren. Was mit Gegenwind aus der heimischen Wirtschaft kaum gelingen kann. Also versucht er, der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie näher zu kommen.

Wenige Tage vor Weihnachten haben sich der Ministerpräsident und der Stuttgarter Schauspielintendant Armin Petras ein Wortgefecht zum Thema Globalisierung geliefert. Letzterer wollte darauf hinaus, dass der Turbokapitalismus nur mit rigiden Einschnitten zu stoppen ist. Dagegen setzt Kretschmann auf grundlegende Reformen, denen ein Prosperitätsversprechen innewohnen müsse. "Moralprediger gibt es seit 3000 Jahren", verkündete er und lieferte ein Beispiel frei Haus: Für Baden-Württemberg wolle er "den radikalsten Klimaschutz" durchsetzen, aber nur durch Überzeugung, ohne Zwang.

Überzeugt werden müssen allerdings nicht nur Wirtschaftsbosse und Mittelständler, sondern auch jene inner- und außerhalb der Grünen, die sich weniger vor staatlichen Maßnahmen fürchten als vor der Frage, ob – bei einer allzu wirtschaftsfreundlichen Ausrichtung – aus der Partei am Ende nicht doch die vielbeschworene "FDP mit Fahrrad" wird. Als selbstgewählte Nagelprobe stehen die beiden heftig umstrittenen Freihandelsabkommen im Raum. Hatte die Koalition im Frühjahr doch jene vergleichsweise weichgespülten Eckpunkte zum weltweiten freien Handel verabschiedet, die für viel Aufregung sorgten.

Mitte Dezember in Reutlingen bekam der Regierungschef mehr als 400 000 Unterschriften aus der ganzen Bundesrepublik gegen CETA und TTIP überreicht. In ihren Wahlprogrammen positionieren sich die beiden Partner, die auf weitere fünf Jahre an der Macht hoffen, inzwischen klarer, verlangen Transparenz und das Festhalten an den EU-weit errungenen Standards in den Bereichen Umweltschutz, Gesundheit und Soziales, Arbeits-, Verbraucher- oder Datenschutz.

Wie Baden-Württemberg und Grün(-Rot) ganz wunderbar zusammenpassen, wird Kretschmann landauf landab im Wahlkampf verkünden. Wie wirtschaftliche Prosperität ohne Naturzerstörung möglich ist, wird er vielen Unternehmern allerdings erst noch verklickern müssen. Oder wie digitale Chancen umfassend zu nutzen sind, ohne die Gefahr des gläsernen Menschen. Oder wie hart die Koalition tatsächlich bleibt bei CETA und TTIP.

Helfen könnte einer weit weg, auf der anderen Seite des Atlantiks: Kanadas neuer liberaler Regierungschef Justin Trudeau. Der ist seit acht Wochen im Amt, hat in dieser Zeit Cannabis freigegeben, die Grenze für 25 000 Syrien-Flüchtlinge geöffnet und die Wende in der Klimaschutzpolitik eingeleitet. Außerdem will er in Sachen CETA rasch nachsteuern – in die aus Sicht der Kritiker einzig richtige Richtung. Und der weltweit erste grüne Ministerpräsident? Der hätte – wieder einmal – jenes Quäntchen Fortüne, das nach seiner Überzeugung ohnehin jeder Politiker braucht, um erfolgreich zu sein.


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6 Kommentare verfügbar

  • Andrea
    am 09.01.2016
    Antworten
    Wann dürfen wir endlich die Unternehmen direkt wählen, die in Baden-Württemberg das Sagen haben?

    Es scheint mir schon einen deutlichen Unterschied zu machen ob wir von Global Playern wie VW und der Deutschen Bank oder von schwäbischen Mittelständlern regiert werden.

    Für den Wähler ist es so…
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