Seinen Humor hat der gebürtige Pole, der in Mannheim aufgewachsen ist, noch nicht verloren. Heiter erzählt Jerzy Montag von einem Telefonat, bei dem zwei Neonazis miteinander über zwei andere plaudern. "Und alle vier waren V-Leute", natürlich ohne es zu ahnen. Er wisse das "aus der Vogelperspektive" seines Aktenstudiums. Daran sei "die Dichte" der nachrichtendienstlichen Informanten abzulesen.
Vor 13 Jahren hatten solche Strukturen mit dazu geführt, dass drei Anträge, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) verbieten zu lassen, beim Bundesverfassungsgericht abgeschmettert wurden. Drei der acht Richter waren der Ansicht, bei so vielen Spitzeln in der Partei habe der Verfassungsschutz einen viel zu großen Einfluss. Die notwendige Zweidrittelmehrheit im Senat wurde verfehlt. Daran konnte auch der damalige Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) nichts ändern, der die Eigenständigkeit der NPD beteuerte. Vielmehr offenbarten sich im Zuge des Verfahrens Chaos und Wildwuchs, weil zu viele Verfassungsschütze zu unkoordiniert immer neue Informanten anwarben.
Nach Gewaltorgie beim Verfassungsschutz angedient
Einer von ihnen war "Corelli", alias Thomas Richter, inzwischen verstorben an einem Diabetes-Schock und im Fokus von Montags Untersuchungsauftrag. "Nach eigener Aussage kam er Anfang der 1990er Jahre im Alter von 17 Jahren in Kontakt zu Rechtsextremisten aus der Skinheadszene", schreibt der frühere Grünen-MdB in seinem Bericht an den Bundestag. Montag beruft sich auf die Mitteldeutsche Zeitung, die herausfand, dass der Junge aus Morl bei Halle Anfang 1991 in ein von Neonazis besetztes Haus in Berlin gezogen war. Jahre später schließt er sich der Nationalistischen Front (NF) an, einer der damals aggressivsten Gruppierungen des Rechtsextremismus in Deutschland. Eine entscheidende Weiche in seinem Leben, denn der NF-Vorsitzende lädt ihn nach Detmold ins Hauptquartier ein. Dort feiert Richter im Oktober 1993 seinen 19. Geburtstag. Die gut besuchte Fete geht unter in einer Gewaltorgie, die Parteizentrale wird von Richters Gästen komplett demoliert, es folgt eine immense Schadensersatzforderung der NF. Richter geht zurück nach Sachsen-Anhalt und dient sich dem Verfassungsschutz an.
Schon bis dahin wirft die Geschichte zahlreiche Fragen auf. Wie konnte der jüngste von fünf Brüdern noch zu Lebzeiten der DDR mit ihrem antifaschistischen Gründungsmythos in eine funktionierende stramm rechte Szene eingeführt werden? Was war los in Neufünfland, dass die Verfassungsschützer derart interessiert waren an einem vagabundierenden 19-Jährigen ohne Ausbildung? "Im ersten persönlichen Kontakt mit dem LfV Sachsen-Anhalt erläuterte er", schreibt Montag, dass "vor allem finanzielle Interessen ihn bewogen hätten, seine Mitarbeit anzubieten." Darüber hinaus wolle er sich langfristig aus der rechtsextremen Szene lösen und ein "ordentliches Leben als Familienvater führen".
Ein nachvollziehbarer Wunsch, den der Verfassungsschutz ignorierte. Zunächst das Landes- und dann das Bundesamt führten Richter fast 20 Jahre. Rund 300 000 Euro flossen in dieser Zeit an ihn, eine andere Erwerbstätigkeit nahm er nie auf. Zum Ausstieg, den er nicht lange überlebte, wollte er 800 Euro monatlich plus Miete. Er bekommt von den Verfassungsschützern aber tausend Euro plus 600 Miete. Und die Mitteldeutsche Zeitung listet weitere Vergünstigungen auf: 18 000 Euro Prämie, weil er nicht mehr weiter Quelle sein konnte, 10 000 Euro Entschädigung für zwei getunte Autos sowie mehrere tausend Euro für seine Leipziger Wohnungseinrichtung, sämtliche Kosten für mehrere Auslandsaufenthalte inklusive Sachkosten für den betreuenden Partnerdienst und alle Spesen, einen Schweißerpass und einen Staplerführerschein für den Neustart sowie .000 Euro für einen persönlichen Englisch-Sprachtrainer.
Keine Zweifel hat der Sonderermittler daran, dass "Corelli", wie von der Polizei ermittelt, im April 2014 an einer nicht erkannten Diabetes gestorben ist. Ein Hinweis auf Fremdverschulden sei nicht festzustellen gewesen. Große Zweifel überkommen den 68-Jährigen mit seiner langen Erfahrung als Strafverteidiger aber gegenüber den spendablen Schlapphüten und ihren seltsamen Arbeitsmethoden. Als der NSU aufflog, gab es anderntags eine "Aktenvernichtungsorgie" im Bundesamt für Verfassungsschutz. Ein erstaunlicher Vorgang, so verwunderlich wie der Umgang mit den Extremisten. "Es geht um das Feld sogar rechts der NPD".
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Rolf Steiner
am 05.12.2015