Kein Wunder also, dass sich der Staatskonzern dagegen wehrt, in Stuttgart aufs Abstellgleis geschoben zu werden. "Wir können den Ausschluss nicht nachvollziehen und kämpfen für die Anerkennung unseres Angebots", verkündete Andreas Moschinski-Wald nach kurzer Schockstarre. Auch bei einer erneuten Prüfung der Vergabeunterlagen sei kein Formfehler feststellbar gewesen, betonte der DB-Nahverkehrschef für Baden-Württemberg.
Was folgte war eine offizielle Rüge des Vergabeverfahrens, die das gerügte Verkehrsministerium jedoch postwendend zurückwies. "Wir sind uns sicher, dass die Deutsche Bahn ein Mindestkriterium nicht erfüllt hat", gab ein Ministeriumssprecher zu Protokoll. Konkret soll der Zugkilometerpreis im ersten Jahr mehr als zehn Prozent über dem Preis der Folgejahre liegen, was die Ausschreibung aber verbietet.
Am Donnerstag vergangener Woche zündete die Bahn die nächste Eskalationsstufe. "Die Bahn hält den Ausschluss ihrer Angebote nach eingehender Prüfung für ungerechtfertigt. Sie hat daher ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer Baden-Württemberg eingeleitet", bestätigte eine DB-Sprecherin gegenüber Kontext. Wird der Antrag zugelassen, ist mit einem Spruch erst im neuen Jahr zu rechnen. Gegen diesen kann die unterlegene Partei vor dem Oberlandesgericht klagen.
Die Bahn bemüht die Juristen und das kann dauern
Damit hat die Bahn einen – wenn auch kleinen – Etappensieg bereits errungen: Die Vergabe an die private Konkurrenz verzögert sich. Was weitreichende Konsequenzen haben kann. Ohne Rechtssicherheit werden Planungen für den Start des Netzbetriebs zum Harakiri-Unterfangen. Go-Ahead und Abellio dürften deshalb die Bestellung neuer Züge bis zur endgültigen juristischen Klärung zurückstellen. Und das kann beim Gang durch alle Instanzen und möglicher Neuausschreibung dauern.
Mit dieser Strategie hatte die Bahn zuletzt Erfolg bei der zweiten Stufe des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes, die aktuell am 15. Dezember in Betrieb geht. Bei der Vergabe im Jahr 2013 für das erweiterte Schnellbahnnetz im Raum Dessau, Halle, Leipzig und Wittenberg unterlag die DB Regio Südost zunächst. Die Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie der Nahverkehrsverband Leipzig wollten Abellio mit Bahnleistungen von jährlich rund 5,6 Millionen Zugkilometer beauftragen. Die von der DB angerufene Vergabekammer entschied, dass die Angebote in Teilen jedoch neu zu bewerten seien. Wegen dieses Zeitverzugs und der damit verbundenen wirtschaftlichen und qualitativen Risiken zog Abellio sein Angebot für den 1,1 Milliarden Euro schweren Großauftrag zurück. Die Bahn als Zweitplatzierter kam zum Zug.
Die Kontrahenten begegnen sich dennoch vor Ort. Ebenfalls zum 15. Dezember übernehmen die Holländer für zunächst 15 Jahre das Saale-Thüringen-Südharz-Netz vom Staatskonzern. Der Auftrag, zu dem die Strecke Eisenach-Erfurt-Halle gehört, hat einen Wert von 1,5 Milliarden Euro. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Deutsche Bahn nach dem Netzbetrieb auch den Vertrag zur Stromlieferung verliert. Der künftige Betreiber Abellio beauftragte die Stadtwerke Tübingen, ab 2016 den Bahnstrom für die Strecken zu liefern. Bisher hatte die Bahntochter DB Energie GmbH praktisch ein Monopol für diese Leistung. Erst Mitte 2014 wurde der Bahnstrom-Markt geöffnet.
Die Holländer setzten sich auch beim bislang größten Ausschreibungsverfahren im bundesdeutschen Schienenpersonennahverkehr seit der Marktöffnung im Jahre 1996 durch. Zusammen mit der britischen National Express Rail soll Abellio ab 2018 den Rhein-Ruhr-Express fahren. Die Verkehrsverträge wurden Mitte Oktober unterschrieben. Die drei Lose umfassen rund 14,6 Millionen Zugkilometer, die bisher von der DB Regio befahren wurden. Der Marktanteil der Bahn ist damit bundesweit im Regionalzugverkehr auf rund 70 Prozent gesunken.
27 Kommentare verfügbar
Franz Habig
am 15.12.2015