Ganz theoretisch hätte es ja sein können, dass das Führungstandem der Südwest-CDU seine Worte ausnahmsweise behutsam wägt, dass Guido Wolf und Thomas Strobl angesichts der Anschläge von Paris insgesamt abrüsten in der sensiblen Thematik. Stattdessen kombinieren sie – wie CSU-Politiker mit der neuen Begrenzungsforderung fürs Jahr 2016 – ihre Beteuerungen, "in besonderer Art und Weise tatsächlich emotional an der Seite unserer Nachbarn zu stehen", doch mit einer anschwellenden Rhetorik in Sachen Zuwanderung. Zur Beschreibung der Lage nehme er, Wolf, "das Wort Überforderung bewusst in den Mund", sagt der Herausforderer von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Und ohne rot zu werden, spricht Strobl übergangslos von den Flüchtlingen, "die vor dem islamistischen Terror fliehen" und nicht Täter oder Mittäter seien, und der inneren Sicherheit in Deutschland: "Gleichwohl müssen wir alles tun, um die zu gewährleisten."
Die neue rhetorische Schneise geschlagen hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit der bedrohlichen Metapher von der Lawine. Vergangene Woche in Berlin: Schäuble nimmt die rechte Hand zu Hilfe, um den Unterschied der Naturgewalt im ersten Drittels des Hangs und unten im Tal angekommen zu beschreiben. Ob sie dort schon sei, könne er nicht sagen, meint er und fabuliert von einem leichtfertigen Skifahrer, "die" sie losgetreten habe. Dem Veteranen wird prompt unterstellt, eine Skifahrerin gemeint zu haben und gemeinsam mit Thomas de Maizière gegen Angela Merkel putschen zu wollen. Ihm, dem Erfahrensten aller im Kabinett, der von Helmut Kohl schon ausgeguckt war als nächster Kanzler(-kandidat), hätte er sich 2000 nicht in die CDU-Spendenaffäre verstrickt.
Der Mann mit Erfahrung als Scharfmacher
Jedenfalls befindet sich der inzwischen 73-Jährige auf einer Zeitreise in die eigene Vergangenheit. Wenn er sich in der Flüchtlingspolitik zu Wort meldet, weiß er nicht nur genau, was er tut, sondern er weiß auch, dass es schon einmal funktioniert hat: in seinen Tagen als Bundesinnenminister. 1991 stand die Südwest-CDU ebenfalls gar nicht gut da nach dem Rücktritt von Lothar Späth wegen jener 550 Dienst- und Privatreisen, die er sich von Unternehmerfreunden hatte zahlen lassen. Die SPD schickte den smarten Dieter Spöri als Spitzenkandidat in die Landtagswahlen, unterstützt von Uli Maurer und vielen anderen namhaften Genossen aus dem Südwesten, die in der Bundespartei erhebliches Gewicht besaßen.
In dieser Situation kam der erfolgsverwöhnten CDU das Thema Flüchtlinge wie gerufen. Im Herbst 1991 stiegen die Zahlen, auch damals veränderte Schäuble die Tonlage, auch damals werden im Bundeskanzleramt getroffene Vereinbarungen durch immer neue Forderungen aus den Reihen schwarzer Hardliner torpediert. Ein sogenanntes Zielpapier, sogar von Kohl angestoßen, bleibt nicht einmal 24 Stunden vom Innenminister unwidersprochen. Die in Bonn mitregierenden Liberalen wehren sich ebenso wie die oppositionellen Sozialdemokraten gegen eine Änderung des Grundrechts auf Asyl. Anfang Oktober wird vereinbart, alles zu prüfen, was unterhalb der Schwelle der Grundgesetzänderung an Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung, zur Abschreckung und Abschiebung möglich ist.
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Blender
am 24.11.2015