Die Terroristen wollten auch – und wir können uns glücklich schätzen, dass es ihnen nicht gelungen ist – die wunderbare Symbolik der deutsch-französischen Freundschaft zerstören und Zuschauer des Fußball-Freundschaftsspiels zwischen unseren beiden Ländern, Deutsche und Franzosen, am Ausgang des Stade de France töten.
Unsere Gefühle schwanken: Wir sind maßlos traurig, denn unter den Opfern gibt es zahlreiche junge Menschen, deren Leben mit all ihren Erwartungen ausgelöscht wurde. Fassungslos, wie diese jungen Leute sich zu einer Geburtstagsfeier im Restaurant versammelt haben und zusammen sterben mussten. Oder diese Eltern in Südwestfrankreich, die erfahren, dass ihre Tochter, die in Paris studiert, im Bataclan war und dass sie sie nie wieder sehen werden und die Nachricht der Großmutter beibringen müssen. Paris, das ist Frankreich, und Frankreich, das ist Paris. Alle Franzosen haben einen Bezug zu Paris. Es gibt vielleicht weltweit keine Hauptstadt, die sich in dieser Form mit ihrem Land identifiziert. Und Paris ist eine Weltstadt. Von den 129 Toten kommen 25 aus 19 anderen Ländern: aus Spanien, Belgien, Chile, den Vereinigten Staaten, Mexiko, Österreich, Algerien, Tunesien, Marokko, Großbritannien, Rumänien und Deutschland.
Aber wir sind auch wütend und wir müssen unsere Wut nicht verbergen. Wut auf eine solch kaltblütige Barbarei, die von Terroristen, die nicht älter waren als ihre Opfer, mit einem simplen Mechanismus ausgeübt wird. Diese Wut macht uns aber entschlossen. Entschlossen, uns zu wehren. Wir müssen einen hellen Kopf behalten: wir haben Feinde, die uns den Krieg erklärt haben. Also müssen wir sie bekämpfen, ohne dabei unsere Geschichte, unsere Traditionen und unsere Werte, die gerade die Terroristen erschüttern wollten, jemals zu vergessen. Die Terroristen wollen zusehen, wie wir die Kontrolle verlieren, wie wir uns gegenseitig aufeinanderstürzen, wie wir Hass in den Gemeinschaften schüren. Das werden wir nicht tun. Wir bleiben entschlossen, so weiter zu leben, wie wir es wollen.
Die Einwohner von Paris pflegen es, auszugehen, draußen zu leben und sich auf einen Kaffee zu verabreden und dabei zu diskutieren. Sie werden es weiterhin tun. Ein junger Franzose hat es so ausgedrückt: 'Sein Leben weiter zu leben, ist schon ein Kampf.' Mit einem Satz hat die Kanzlerin diese Überzeugung gut resümiert: 'Unser freies Leben ist stärker als jeder Terror.'
An diesen Tagen des Schreckens haben wir viele tröstende Worte, Beileids- und Solidaritätsbekundungen aus aller Welt erfahren. Als der Eiffelturm sich zum Zeichen der Trauer in Dunkelheit hüllte, wurden die schönsten Bauten der Welt den Farben der Trikolore beleuchtet: die Pyramiden Ägyptens, die Klagemauer in Jerusalem, die Oper in Sydney, die Christus-Statue in Rio, das Brandenburger Tor.
Von den Anschlägen habe ich durch den Anruf eines Freundes aus Paris gehört. Ich habe daraufhin einen französischen Sender eingeschaltet und die ganze Nacht Nachrichten über die fürchterlichen Ereignisse, die sich in meinem Land, in meiner Stadt, in meinem Stadtviertel zugetragen haben, gehört. Ich wohne im zehnten Arrondissement und kenne es sehr gut. Ich habe eine gute Vorstellung von den Terrassen, den Cafés und Restaurants an einem Freitagabend in einem jungen Viertel, wo sich Menschen aller Klassen und Nationalitäten vermischen. Ich fühle mich in Stuttgart sehr wohl, aber zum ersten Mal seit meiner Amtsübernahme habe ich mich etwa wie im Exil gefühlt, weit weg von der großen Gefahr, der meine Mitmenschen ausgesetzt waren. Und vor allen Dingen so allein und machtlos.
Um halb eins in der Nacht habe ich Ihre SMS, lieber Herr Oberbürgermeister Palm, erhalten, Ihre einfachen Worte: "Welche grausame Tat, was kann ich für dich tun?", haben mich von diesem Gefühl der Einsamkeit und der Hilflosigkeit befreit. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie können sich meine Ergriffenheit nicht vorstellen, als Sie mich am Samstag um 9.30 Uhr angerufen haben. Ich war von den Nachrichten aus Paris so fassungslos, und Sie haben mir viel Trost gespendet. Als ich an diesem Samstag ins Konsulat kam, lagen dort so viele Blumen und Kerzen, eine in der Nacht selbst gestrickte französische Flagge, bewegende Inschriften. 'Wir weinen mit Ihnen', 'wer Frankreich schlägt, schlägt uns' oder ganz einfach 'halten Sie durch'! Diese Worte und diese Gesten bewegen mich zutiefst.
Paradoxerweise habe ich mich vielleicht noch nie so stolz gefühlt wie an diesem Tag, Franzose zu sein, Europäer zu sein, einer Gemeinschaft anzugehören, die auf Werte wie die Freiheit, die Solidarität, den Respekt vor den unantastbaren Rechten des Individuums, die Liebe seiner Nächsten und das Wohl des Zusammenlebens aufgebaut ist. An dieser Stelle möchte ich unseren Staatspräsidenten zitieren: "Das, was wir verteidigen, ist unser Vaterland; es ist aber auch viel mehr: Es sind die Werte der Menschheit."
Ich möchte mit den wunderbaren Worten von Präsident Gauck aus seiner Ansprache am 14. November schließen: 'Europas Werte und Europas Freiheit sind in der Geschichte von machtvollen Feinden angegriffen worden. Dennoch ist unser Europa ein Bollwerk der Demokratie und der Menschenrechte. Auch die brutalen Angriffe islamistischer Terroristen vermögen dies nicht zu ändern. Es ist wahr: Die vergangene Nacht hat uns tief erschüttert.
Wir sind in dieser Nacht unseren Ängsten begegnet und wir sind voller Trauer. Aber die Terroristen werden nicht das letzte Wort haben. Diese Nacht wird nicht das letzte Wort haben. Wir werden in den kommenden Tagen und auch in den kommenden Nächten mit unserem Verstand, mit unseren Herzen und mit unserer Entschlossenheit verteidigen, was unsere französischen Freunde einst ins politische Leben Europas gerufen haben: Liberté, Égalité, Fraternité.'"
3 Kommentare verfügbar
Kornelia
am 18.11.2015"Oder wie es der Philosoph Karl Popper 1945 in seinem Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde formulierte: „Wir müssen für die Freiheit planen und nicht für die Sicherheit, wenn auch vielleicht aus keinem anderen Grund…