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"Er hat immer recht gehabt"

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Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit verleiht Ministerpräsident Winfried Kretschmann die höchste Auszeichnung, über die er persönlich entscheiden kann. Als der Titel Professor 2012 an Stuttgarts scheidenden OB Wolfgang Schuster (CDU) ging, hagelte es jene Menge Kritik. Erhard Eppler hingegen ist über alle Parteigrenzen hinweg anerkannt. Das war nicht immer so.

Jetzt also der 87-Jährige, der so viele vorteilhafte Prädikate auf sich vereinigt. Seit Langem wird er gerühmt als Vor- und Querdenker, als Analytiker von Außen- und Gesellschaftspolitik, als Buchautor von herausragender stilistischer Qualität. Er sei ein Politiker, sagt der bekennende Eppler-Anhänger Kretschmann, der seine Politik "grundsätzlich fundiert", der Probleme durchdenkt, bevor andere überhaupt das Problematische an einer Entwicklung erkennen. Wer ihm gerecht werden wolle, müsse versuchen, "tief zu schürfen". Nicht allein im World Wide Web, sondern dort, wo vergilbte Seiten in verstaubten Ordnern von einem halben Jahrhundert öffentlichen Wirkens des Sozialdemokraten erzählen. "Es kann auf die Dauer nicht dem einen Teil der Menschheit gut und dem anderen miserabel gehen", schreibt er 1969. Und, "dass wir vor der Wahl stehen, diese gute alte Erde entweder für alle zu zerstören oder für alle zu einem Ort zu machen, auf dem es sich einigermaßen leben lässt".

So viele Geschichten über einen, die alle wahr sind, weil der zu Ehrende an wenig weniger interessiert, als mit Legenden am persönlichen Image zu polieren. Zum Beispiel: Der Anglist war gefürchteter Linksaußen. Klar, werden viele sagen, die noch eine Ahnung haben von der Ära Kiesinger, die sich vielleicht sogar daran erinnern, dass der Kanzler aus Tübingen entfernt verwandt war mit dem Oberstudienrat aus Schwäbisch Hall, dass Kiesinger gar ein Dossier anfertigen ließ, mit dem er seinen Vize Willy Brandt – ohne Erfolg – davon überzeugen wollte, dass der junge Schwabe viel zu links und folglich als neuer Entwicklungshilfeminister am Bonner Kabinettstisch gänzlich ungeeignet sei. Ein Linksaußen war Eppler auch auf dem grünen Rasen. Als "konditionsstark und schussgewaltig" beschreibt ihn Hermann Scheer nach einen Promi-Kick in den Siebzigern gegen die 1954er-Weltmeister Rahn, Liebrich, Eckel und den unvergessenen Sammy Drechsel "und genauso wie im politischen Leben um ehrlichen Kampf bemüht".

Oder die Sache mit dem Manifest: Auch Satyr konnte er sei, der gestrenge Dr. phil. Seine kabarettistischen Talente sind in legendäre Zeilen gegossen, die bei einer Schwarzwaldwanderung mit Willy Brandt entstanden, als die Südwest-SPD 1977 meinte, aus dem 33-Prozent-Tal aufsteigen zu können und nicht nur auf den Schliffkopf. "Fast jeder Sozialdemokrat darf tun und lassen, was er will", steht darin zu lesen, "und wenn er das nicht will, braucht er keine Beiträge zu zahlen." Er habe "einen klaren Humor, der ohne Häme auskommt und aufs Herz statt auf den Bauch zielt", erinnerte sich sein Weggefährte Claus Weyrosta zum Siebzigsten an "die eher unbekannten Seiten des großen Vorbilds mit dem großen Charakter".

Ideen von Lebensqualität durch Verzicht

Und mit immenser thematischer Spannweite. In der Familie politisch an die FDP Friedrich Naumanns herangeführt, gehört er mit dem späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann zu den Gründern der Gesamtdeutschen Volkspartei, die skeptisch war gegenüber der Westintegration und die Wiederbewaffnung ablehnte. An einer der vielen politischen Weggabelungen trifft er Fritz Erler, den Vater der heutigen Staatsrätin, der ihn fragt, ob er eigentlich nur an einem Grabstein interessiert sei mit der Aufschrift "Er hat immer recht gehabt". Nicht nur, erwidert Eppler und wechselt in die SPD, die im Godesberger Programm "das Erbe des Liberalismus" übernimmt. Und entscheidet sich dafür, fortan "von drei oder vier deprimierenden Alternativen die erträglichste durchzusetzen".

Anfang der Sechziger wird er Steuerfachmann der SPD-Bundestagsfraktion, dann profilierter Außenpolitiker, und ausgerechnet Fraktionschef Helmut Schmidt will ihn nicht in die Regierung Kiesinger ziehen lassen. Vor demselben Schmidt flieht Eppler sechs Jahre später nach Baden-Württemberg. Da liegen längst Welten zwischen dem Pragmatiker im Kanzleramt und dem kritischen Visionär, der den Begriff vom "qualifizierten Wachstum" früh sogar in die Gewerkschaften trug. Beim achtzigsten Geburtstag berichtet der Genosse Kurt Beck vom berühmten IG-Metall-Kongress 1972 in Oberhausen und von der frohen Erwartung der Arbeiterklasse auf ein Stück vom Wohlstandskuchen – am besten eines mit vier Rädern und ausreichend viel PS. Und dann sei der Erhard gekommen mit seinen Ideen von Lebensqualität durch Verzicht. Die Genossen Gewerkschafter rieben sich die Augen, und die bürgerliche Presse erkannte endgültig, dass Eppler den Kommunisten auf den Leim gegangen sei.

In einem langen Leben hat er sich viel anhören und viel über sich lesen müssen. Als er 1977 Vorsitzender der Grundwertekommission seiner Partei wurde, ätzte das "Handelsblatt" über den Lehrer im Politiker, der statt 30 Obertertianern 50 Millionen Bundesbürger unterrichten wollte in "Volksküchen-Ethos". Und Hans Mundorf, damals Lieblingsleitartikler der Wirtschaftsbosse, will Politikern – Kretschmann, aufgepasst! – jeden Ausflug ins Philosophische untersagen. Eppler habe zu viel von Kants kategorischem Imperativ, "er will bevormunden, um schlimmere Vokabeln zu vermeiden".

In den Achtzigern erwirbt er fast Guru-Status

Zu denen hatte die CDU da längst gegriffen: Im Landtagswahlkampf wird der SPD-Spitzenkandidat verhöhnt. Und dass Herbert Wehner ihn als "Pietcong" lächerlich macht, hilft auch nicht eben. An Hans Filbingers Slogan "Freiheit statt Sozialismus" finden zudem selbst viele Journalisten Gefallen. "Okay", räumte Warnfried Dettling, der schwarze Denker, später ein, der sei "an der Grenze der Seriosität" gewesen. Aber er habe funktioniert, denn "die Sozialdemokraten mussten immer wieder begründen, warum sie im Grunde keine sozialistische Partei sind".

Die Konjunktur vieler avantgardistischer Positionen – gegen Kernkraft, für Friedensbewegung und ökologisches Wirtschaften – steigt stetig an, nachdem er als SPD-Landeschef gescheitert war. In den Achtzigerjahren erwirbt er gar Guru-Status. In einer der bedeutendsten seiner zahlreichen geschliffenen Reden spricht er am 17. Juni 1989 im Bundestag darüber, dass, wenn Europa zusammenwächst, die beiden Teile Deutschland ebenfalls zusammenwachsen werden. Zwölf Jahre später wird er in einem viel beachteten und viel kritisierten "Spiegel"-Gespräch wieder eine Perspektive ohne Verfallsdatum zur Zusammenarbeit mit der PDS formulieren: "Wir müssen langfristig bereit sein, den Laden zu übernehmen – inklusive der Wähler."

Vor einigen Jahren stieß er in Schwäbisch Hall im Garten des Hauses, das sein Vater gebaut hat und in dem er mit seiner Frau Irene schon lange lebt, beim Umgraben auf einen Schatz: einen Weg, den er als kleiner Junge in der Nazizeit mit seinem Vater angelegt hat. Für Eppler sind die Sandsteine nicht nur Erinnerung, sondern auch Symbol für seinen Werdegang. Wie schrieb "Die Zeit" Mitte der Neunzigerjahre: Da gehöre einer "in die deutsche Geschichte", weil er ein unvergängliches Verlangen repräsentiere – "nach dem Besseren, Menschlicheren und Wahrhaftigeren".


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7 Kommentare verfügbar

  • maguscarolus
    am 16.11.2014
    Antworten
    @Liebrast, 14.11.2014 20:42

    >> Kann mich da jemand berichtigen? <<

    Leider nein! Wo Eppler politisch steht lässt sich ganz schön aus diesem Interview mit ihm in der FAZ heraus lesen:

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Ausgabe 709 / Bedeckt von braunem Laub / bedellus / vor 1 Tag 51 Minuten
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