Er hat. Am frühen Abend des 17. August. Das war ein Dienstag, ein ganz besonderer – trotz der landespolitischen Sommerpause. Denn am Abend zuvor hatte Winfried Kretschmann auf der Montagsdemo einen Baustopp und neue Verhandlungen zu Stuttgart 21 gefordert, den offenen Austausch von Sachargumenten, der zu einer "aufgeklärten Demokratie" gehöre. "Man kann mit Baggern Gebäude abreißen und mit Kettensägen Baume wegräumen, aber nicht den demokratischen Protest", sagte der Grüne und versprach einen "erbitterten Kampf" gegen den Tiefbahnhof. Und weiter: "Wir sind von der Kraft unserer Argumente überzeugt." Mappus, OB Wolfgang Schuster und Bahnchef Rüdiger Grube könnten das Projekt doch nicht ernsthaft durchziehen wollen gegen solche machtvollen Demonstrationen, wie sie Stuttgart noch nie gesehen habe. Tatsächlich hatten Verkehrspolitiker der CDU-Landtagsfraktion wenige Wochen zuvor Bauarbeiten angekündigt, die der Öffentlichkeit und vor allem dem Widerstand klarmachen sollten, dass das Projekt unumkehrbar geworden sei.
Geschehen war nichts. Der Protest wurde immer lauter. Jetzt drückte die Bahn aufs Tempo und wollte endlich die Baumaschinen, allen voran den inzwischen berühmt gewordenen Bagger, an Ort und Stelle auffahren lassen. Ohne diesen zweiten Untersuchungsausschuss und ohne die Aufforderung an beteiligte Beamte, den Volksvertretern sämtliche einschlägigen Aufzeichnungen zugänglich zu machen, wäre vermutlich nie herausgekommen, dass Stumpf am Tag nach Kretschmanns Rede, an ebenjenen 17. August, mindestens fünf Mal telefoniert. Drei Mal mit Bahn-Mitarbeitern, darunter dem inzwischen längst abgelösten Projektmanager Hany Azer, und zwei Mal mit dem damaligen Landespolizeipräsidenten Wolf Hammann. Die DB verlangt Begleitschutz für den nächsten Tag, den Stumpf mit deutlichen Worten ablehnt. Er informiert Hammann, Azer ruft noch einmal an und betont erneut den Wunsch der Bauherrin, und er bringt den Regierungschef ins Spiel. Wenig später übermittelt der Landespolizeipräsident per Telefon dessen Weisung. "Er hat Weisung erteilt", so Stumpf auf Nachfrage unmissverständlich, "trotz unserer Vorbehalte."
Es habe keine politische Einflussnahme gegeben, sagt Stumpf
Der 63-Jährige, der die Verantwortung für den Schwarzen Donnerstag übernehmen und vorzeitig seinen Abschied nehmen musste, bleibt während der fast drei Stunden im Zeugenstand bei seiner Aussage aus dem ersten Ausschuss, rund um den 30. September habe es jedoch keine politische Einflussnahme gegeben. Er offenbart darüber hinaus aber ein ungewöhnliches Verständnis der Rolle, die ein Ministerpräsident in der Hierarchie über einem Polizeipräsidenten einnimmt. Denn Stumpf unterscheidet feinsäuberlich zwischen Dienstherr oder Verfassungsorgan auf der einen und Politiker auf der anderen Seite. Weil er – angesichts der gegen ihn laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen – auf Detailfragen zu den Vorgängen im Schlossgarten nicht antworten will, bleibt am vergangenen Freitag jedenfalls im Dunkeln, ob der eine Mappus, der Nicht-Politiker, sich damals nicht doch einschlägig geäußert hat. Plausibel wäre ein solches Eingreifen allemal. Denn: Wenn dem Pforzheimer mit dem Hang zu klarer Kante schon die Lage Mitte August über die Hutschnur ging, dann müsste das für den September erst recht gegolten haben.
Der Abriss des Nordflügels hatte die Stimmung weiter angeheizt, der Schwabenstreich gehörte zum Montagsritual vieler Stuttgarter und Stuttgarterinnen in allen Stadtteilen, Zehntausende waren auf der Straße, hatten Bäume im Schlossgarten besetzt und Zelte aufgestellt, am 27. August wurde die Bannmeile des Landtags durchbrochen, regelmäßig stockte der Verkehr in der Innenstadt, ein erster Dialogversuch war an einer Indiskretion von Bahnchef Rüdiger Grube gescheitert. Warum also sollte einer, der gegen "Berufsdemonstranten" wetterte, der schon (mindestens) einmal Weisung erteilt hatte in Sachen Tiefbahnhof, nicht erneut aktiv werden? Mindestens sechs Kontakte mit der Villa Reitzenstein räumt Stumpf für die Zeit vor dem 30. 9. ein. Wenig weit her geholt ist, zu mutmaßen, dass Äußerungen des Ministerpräsidenten gefallen sind, die Stumpf einfach nicht als das interpretieren will, was er unter Druck versteht. Bezogen auf den 18. August formulierte er im Dialog mit SPD-Obmann Sascha Binder den ebenso denkwürdigen wie logisch schrägen Satz: "Wenn man sagt, das ist eine politische Einflussnahme, dann war es eine."
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Schorsch
am 27.07.2014