Ihre Eröffnungsfeier übertrug die Sürag aus dem Neuen Schloss. Das erste Wort hatte der Präsident der Oberpostdirektion. Die Post spielte eine zentrale Rolle, denn sie trieb die Gebühren ein. Ein großes Aufgebot an klassischer Musik folgte: von Mozarts "Zauberflöte" bis Wagners "Meistersinger", unterbrochen nur von der Botenrede aus dem "Oedipus"-Drama des Sophokles. Man versteht: Was der Bote an Laufpensum zu absolvieren hatte, erleichterte nun die drahtlose Kommunikation. Ein Programm der Hochkultur, das in die einfachste Hütte vordringen sollte – soweit diese sich das Gerät und die monatliche Gebühr von zwei Mark leisten konnte.
Doch im Hintergrund zog die Reichsregierung die Drähte. 51 Prozent der Anteile an der Aktiengesellschaft hatte ein Oberregierungsrat – im Auftrag der Regierung. Genauso verhielt es sich in allen anderen Sendern. Die weiteren Aktionäre waren ein Konzertveranstalter, der bald wieder ausstieg, ein Vertreter des Stinnes-Konzerns, der reichsweit eine rechte Agenda verfolgte, und zwei unbedeutende Privatpersonen mit je einer Aktie.
18.000 Hörer:innen bei fünf Millionen Menschen
Wie die amerikanischen Medienwissenschaftler Jay David Bolter und Richard Grusin erforschten, übernimmt ein neues Medium immer zunächst die Formen eines alten: Das Radio übertrug Konzerte. An die Stelle von Theater traten Hörspiele. Ein neuer Beruf kam auf: der Geräuschemacher. Was sie nicht sehen konnten, imaginierten die Hörer:innen. Die mediale Welt war zwiegespalten: Der Film hatte noch keinen Ton, dem Radio fehlte das Bild.
Aber das Radio fiel nicht in ein Vakuum. Orchester und Theater beschwerten sich, dass ihnen der Rundfunk Schauspieler:innen und Musiker:innen für Nebentätigkeiten abwarb. Auch das Unternehmen Hohner aus Trossingen hatte seine Befürchtungen: Da das Radiopublikum keinesfalls nur klassische Musik hören wollte, befürchtete der Mund- und Ziehharmonikahersteller, die Menschen würden nicht mehr selbst musizieren und seine Instrumente kaufen, wenn sie die populäre Musik durch das Radio ins Haus geliefert bekämen. Gleichzeitig beharrten die Zeitungsverleger darauf, dass Nachrichten über das Zeitgeschehen und die politische Berichterstattung ihre Angelegenheit seien.
Daher stürzten sich die Radiomacher:innen der Sürag auf neue Entwicklungen in der Region, jenseits des Tagesgeschehens: etwa die Bausparkasse in Wüstenrot, die dadurch erst richtig in Gang kam, bis hin zu den kontrovers diskutierten Waldorfschulen. Nicht auf Anhieb entdeckte der Sender den Sport: Es begann mit Autorennen an der Solitude, dann folgten Boxkämpfe. Fußball gestaltete sich schwieriger, da die Vereine die Fans lieber im Stadion sehen wollten.
Um Hörer:innen zu gewinnen, musste der Sender Aufmerksamkeit erregen. Er berichtete 1925 live von Bord des Zeppelins. Spendenaufrufe im Radio halfen dem Friedrichshafener Unternehmen, die Insolvenz zu vermeiden. Und der Sender profitierte von der Zeppelin-Begeisterung. Ein Tüftler auf Schloss Solitude experimentierte mit Kurzwellen. Die Sürag sprang auf und übertrug Konzerte und Boxkämpfe aus den USA.
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Wolfgang Kuebart
am 08.05.2024…