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Jörg Tauss und die Meinungsfreiheit

Ein Satz für 7.000 Euro

Jörg Tauss und die Meinungsfreiheit: Ein Satz für 7.000 Euro
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Der ehemalige SPD-Politiker Jörg Tauss aus Kraichtal steht vor Gericht. Es geht um einen Satz zur Krim, den er auf X/Twitter geschrieben hatte. Der soll Tauss nun 7.000 Euro kosten.

Im vergangenen September regte sich der Freiburger Rechtsanwalt Patrick Heinemann auf Twitter, heute X, über den Deutschlandfunk auf: "Liebe @DLFNachrichten, wenn ihr meldet, in (russische Flagge Emoji) und den temporär besetzten ukrainischen Gebieten fänden ab heute 'Regional- und Kommunalwahlen' statt, ohne das näher einzuordnen, ist das unzutreffend und folgt der (russische Flagge Emoji)-Propaganda. Es sind nämlich keine Wahlen, sondern Scheinwahlen", schrieb der Mann. Jörg Tauss schrieb drunter: "Schon auf der #russischen Krim lief das damals korrekt ab. #Servicetweet." Seitdem streiten sie sich.

Der eine für die Ukraine, er ist in den sozialen Medien ein sogenannter #Ukraineverstärker: "Ukrainer:innen, die mutig für Frieden in Europa und ihre Existenz kämpfen, brauchen jetzt mehr denn je unsere Einheit und Unterstützung. Wir müssen ihnen ein klares Signal senden: Hier in Deutschland stehen wir zusammen für den Sieg der Ukraine und für eine gemeinsame demokratische Zukunft ein." Kürzlich sammelte er Spenden für einen Bus, der "verletzte Menschen von den medizinischen Knotenpunkten in den Frontstädten in Krankenhäuser transportiert, während sie gleichzeitig versorgt werden". Und Heinemann ist Anwalt des ukrainischen Vereins Vitsche in Berlin.

Tauss hat schon viele Busse organisiert

Der andere für Russland. Jörg Tauss saß von 1994 bis 2009 für die SPD im Bundestag, bis ihn eine Affaire um den Besitz und die Weitergabe von kinderpornografischem Material aus dem Amt katapultierte (Tauss hatte die Vorwürfe immer bestritten, er wurde letztlich zu einer Bewährungsstrafe von 15 Monaten verurteilt). Seit vielen Jahren ist er Vorsitzender der West-Ost-Gesellschaft Baden-Württemberg, auch Russlandbrücke genannt. Er hat schon viele Busse organisiert und diverse medizinische Projekte unterstützt. Eines seiner jüngsten ist eine Klinik in Stuttgarts russischer Partnerstadt Samara, es geht um die Behandlung von Mukoviszidose.

Tauss sagt, er habe viele Bekannte und Freunde auf der Krim. Vor einigen Jahren, 2017, als er mit seiner West-Ost-Gesellschaft dorthin eine Reise zu Baden-Württembergs Partnerstädten machen wollte, durchsuchte die Polizei ihm die Bude, wegen eines vermuteten "Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz".

Mittlerweile hat sich der Streit zwischen Tauss und Heinemann aus der virtuellen hinein in die reale Welt verlegt. Denn Tauss hat Post bekommen, einen Strafbefehl über 1.600 Euro. Angezeigt hatte ihn offenbar eine Sprecherin des Berliner Vereins, den Heinemann juristisch vertritt.

In dem Schreiben der Bruchsaler Staatsanwaltschaft steht, mit dem Satz "Schon auf der russischen Krim lief das damals korrekt ab" habe Tauss "die völkerrechtswidrige und unter Einsatz von Waffengewalt erzwungene Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die dort durchgeführten Scheinwahlen" gutgeheißen. Und zwar in einer Art und Weise, die geeignet sei, "den öffentlichen Frieden zu stören". "Sie werden daher beschuldigt, eine in §138 Absatz 1 Nummer 5 genannte rechtswidrige Tat, namentlich ein Verbrechen der Aggression im Sinne des §13 Absatz 1 VStGB, in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich und durch Verbreiten eines Inhalts gebilligt zu haben, strafbar als Billigung von Straftaten gemäß §140 Nr. 2 StGB."

Der Streit geht weiter

Tauss hat den Strafbefehl nicht akzeptiert und die Sache ging vor Gericht. Dort erhöhte die Staatsanwaltschaft ihre Forderung auf 7.000 Euro Strafe. Tauss sei bundesweit bekannt als Politiker, er habe im Bundestag gesessen, 11.000 Follower bei X/Twitter, einer öffentlichen Plattform. Die Bruchsaler Richterin gab Tauss letztlich recht: Meinungsfreiheit. Mittlerweile allerdings hat die Staatsanwaltschaft dagegen Einspruch eingelegt. Der Streit um die Worte "russische Krim" wird am Landgericht Karlsruhe weitergehen.

Er halte das ganze Vorgehen für "ungeheuerlich", sagt Tauss am Telefon. Um auch die andere Seite zu hören, haben wir das Bruchsaler Gericht, den Berliner Verein Vitsche und Anwalt Heinemann mehrfach angefragt. Eine Antwort mochte uns keiner geben.

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