Ihr Wirken scheint Sie nicht überzeugt zu haben.
Die Treuhand hat es nur darauf angelegt, uns so lange unter ihre Fuchtel zu nehmen, bis sie sicher war, dass wir pleite sind. Im Herbst 1991 hat sie uns in einer großartigen Pressekonferenz aus ihrer Kontrolle gelassen und betont, sie gewährte uns jetzt die Pressefreiheit, wir seien unabhängig. Immer in der Hoffnung, dass wir in acht Wochen tot sind. Das hat nicht geklappt. Wir haben uns damals den Scherz erlaubt, zu schreiben, wir seien die einzige deutsche Tageszeitung unter direkter Regierungskontrolle. Das hat sie sehr geärgert.
Tot waren sie nicht. Das stimmt. Höchstens halbtot.
Das ND war zu DDR-Zeiten staatlich massiv subventioniert, wie viele Zeitungen, ein Exemplar kostete 15 Pfennig, die Auflage betrug eine Million. Mit der Marktwirtschaft war das alles weg. Seitdem sind wir in einem permanenten Krisenmodus, in einem ständigen Selbstbehauptungskampf, dem Tod aber immer wieder von der Schippe gesprungen. Ich kenne kaum ein Plus unterm Strich und frage mich manchmal, wie wir das hingekriegt haben, jahrzehntelang durchzuhalten, ohne pleite zu sein. Es waren auch nicht wenige, die uns immer wieder den baldigen Untergang prophezeit, um nicht zu sagen gewünscht haben.
Die FAZ und der "Spiegel" berichten erstaunlich nüchtern über Ihre Lage.
Das wundert mich auch. Vor zehn, fünfzehn Jahre hätte es Häme und Gehässigkeiten gehagelt. Vielleicht haben sie erkannt, dass nicht nur linke Zeitungen Schwierigkeiten im Kapitalismus haben. Den deutschen Zeitungsverlegern soll es ja insgesamt nicht so gut gehen.
Wie ernst ist Ihre Krise diesmal?
Sie zählt zu den drei schwersten, die wir in den letzten 34 Jahren hatten. Die Lage ist dramatisch, existenziell gefährdend, da gibt es nichts schönzureden. Und sie hängt nicht nur mit der Kostenexplosion in allen Bereichen zusammen. Also beim Papier, der Energie, der Zustellung. Vieles ist hausgemacht. Die Bilanz 2022 weist einen Fehlbetrag von 635.000 Euro aus, der zu sofortigen Kosteneinsparungen zwingt. Das heißt, wir werden unter anderem den Einzelverkauf am Kiosk zum 1. August einstellen und dort nur noch die Wochenendausgabe "nd. Die Woche" anbieten. Beim Personal fallen vier Vollzeitstellen weg. Weitere Schritte sind in Vorbereitung. Vor diesem Hintergrund gilt: Wir stehen nicht vor dem endlosen Nichts, wir müssen das zweite Halbjahr 2023 irgendwie überstehen.
Plötzlich mehr als eine halbe Million Miese – das deutet auf einen gewissen Dilettantismus in der Verlagsleitung hin.
Sagen wir es mal so: Wir sind alle davon überrascht worden. Es hat sicher auch mit den Schwierigkeiten zu tun, die wir auf dem Weg von der GmbH zur Genossenschaft zu bewältigen hatten. Ein neuer Geschäftsführer musste gefunden werden, ein neuer ehrenamtlicher Vorstand gewählt werden, die ausgelagerte Buchhaltung kontrolliert werden. In dieser Zeit sind offensichtlich Fehler gemacht worden, die erst jetzt zutage getreten sind.
Zum Erschrecken der Mitglieder der Genossenschaft, die Ende Juni zusammengekommen sind. Das dürften die sich lustiger vorgestellt haben.
Das gilt für uns alle, aber es hilft ja nichts, wir müssen uns wieder einmal aufrappeln und selbst ermutigen, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Wir müssen aber auch viel stärker um Unterstützung bitten als bisher gedacht. Ein Glück, dass die Genoss:innen in großartiger Weise mitziehen. Sie haben sich einstimmig für eine sofortige Rettungskampagne ausgesprochen. Das erste Ergebnis ist ermutigend: innerhalb von zwei Wochen haben wir fast 200 neue Genoss:innen und weit über 500 Abos oder Abo-Aufstockungen dazugewonnen. In Sachen Marketing könnten wir vielleicht noch von Kontext lernen. Das Interview mit Christine Prayon war ein echter Coup.
Das wird auf Dauer nicht reichen.
Ich kann nur immer wieder betonen: Es lohnt sich zu kämpfen. Wenn wir das in den letzten 34 Jahren nicht gemacht hätten, wären wir heute nicht mehr hier. Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft dieser Zeitung, die sich ein eigenständiges sozialistisches, linkspluralistisches Profil erarbeitet hat. Aber auch der Gesellschaft gegenüber. Das ND ist eine Stimme für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Sie darf nicht verloren gehen. Schon gar nicht in dieser Zeit, in der wir von bellizistischen Medien umzingelt sind. Wir schreiben nicht über den Krieg, wir schreiben gegen den Krieg.
Die Linkspartei anpumpen?
Die Linke war bis 2021 Gesellschafterin des ND und hat immer wieder Löcher gestopft. Das ist Geschichte. Eine Geschichte im Übrigen, in der uns die Parteiführung nicht immer wohlgesonnen war. Ich glaube, Bernd Riexinger fand uns nicht freundlich genug.
3 Kommentare verfügbar
Ex-ndler
am 19.07.2023Vielleicht täte es dem nd auch ganz gut, vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft zu werden.
Aber im Ernst: Dem nd hängt immer noch der Stunk der längst vergangenen DDR an und vielem Weiteren, was damit zu tun hat, Stasi etwa. Darauf haben ehemalige DDR-ler schon lange…