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Das "Neue Deutschland" wackelt

Es hilft kein höheres Wesen

Das "Neue Deutschland" wackelt: Es hilft kein höheres Wesen
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Wieder einmal kämpft eine linke Zeitung ums Überleben. Diesmal ist es das ND (früher "Neues Deutschland"), das in dieser Disziplin besonders erfahren ist. Chefredakteur Wolfgang Hübner weiß, dass ihm nur die Leser:innen helfen können.

Kollege Hübner, früher dürfte Ihr Leben als Journalist einfacher gewesen sein: Da hatte die Partei immer recht, die Zeitung Geld und der Genosse Honecker ist in der Redaktion vorbeigekommen, um die letzten Zweifel zu zerstreuen.

Zur Erinnerung an längst vergangene Zeiten: Das "Neue Deutschland" ist als Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands gegründet worden. Daraus wurde das Organ des Zentralkomitees der SED, bei meinem Einstieg beim ND mit dem Chefredakteur Günter Schabowski, der dann auch im SED-Politbüro saß …

… und 1989 den Fall der Mauer auslöste.

Da war er schon nicht mehr Chefredakteur. Als er im Herbst 1989 sagte, eine Ausreise sei "unverzüglich" möglich, war der Ansturm so groß, dass die DDR-Grenzer die Mauer öffnen mussten. Ich will damit nur erklären, dass Besuche Honeckers in der Redaktion überflüssig waren. Schabowski war sein Statthalter in der Redaktion und ND-Seiten sind regelmäßig vor dem Druck mit dem Kurier durch die Stadt zum Zentralkomitee geschickt worden. Dann mussten bei Bedarf Überschriften geändert, Telefongespräche geführt, eben allerlei Änderungen vorgenommen werden. Es durfte nicht passieren, dass man womöglich aus Versehen daneben lag.

Bekanntermaßen war das auch kein erfolgreiches Geschäftsmodell.

Der Start in die Marktwirtschaft, die Verwaltung durch die berühmte Treuhandanstalt aber auch nicht.

Foto: ND/Frank Schirrmeister

Wolfgang Hübner, Jahrgang 1959, hat 1985 beim "Neuen Deutschland" angefangen. Der Chefredaktion gehört er seit 2005 an, seit fünf Jahren als ihr Sprecher. Im Ruhestand, "nach den von Müntefering festgelegten Regeln", würde er gerne nach Freiburg ziehen, weil’s dort so schön ist. Aber leider zu teuer.  (jof)

Ihr Wirken scheint Sie nicht überzeugt zu haben.

Die Treuhand hat es nur darauf angelegt, uns so lange unter ihre Fuchtel zu nehmen, bis sie sicher war, dass wir pleite sind. Im Herbst 1991 hat sie uns in einer großartigen Pressekonferenz aus ihrer Kontrolle gelassen und betont, sie gewährte uns jetzt die Pressefreiheit, wir seien unabhängig. Immer in der Hoffnung, dass wir in acht Wochen tot sind. Das hat nicht geklappt. Wir haben uns damals den Scherz erlaubt, zu schreiben, wir seien die einzige deutsche Tageszeitung unter direkter Regierungskontrolle. Das hat sie sehr geärgert.

Tot waren sie nicht. Das stimmt. Höchstens halbtot.

Das ND war zu DDR-Zeiten staatlich massiv subventioniert, wie viele Zeitungen, ein Exemplar kostete 15 Pfennig, die Auflage betrug eine Million. Mit der Marktwirtschaft war das alles weg. Seitdem sind wir in einem permanenten Krisenmodus, in einem ständigen Selbstbehauptungskampf, dem Tod aber immer wieder von der Schippe gesprungen. Ich kenne kaum ein Plus unterm Strich und frage mich manchmal, wie wir das hingekriegt haben, jahrzehntelang durchzuhalten, ohne pleite zu sein. Es waren auch nicht wenige, die uns immer wieder den baldigen Untergang prophezeit, um nicht zu sagen gewünscht haben.

Die FAZ und der "Spiegel" berichten erstaunlich nüchtern über Ihre Lage.

Das wundert mich auch. Vor zehn, fünfzehn Jahre hätte es Häme und Gehässigkeiten gehagelt. Vielleicht haben sie erkannt, dass nicht nur linke Zeitungen Schwierigkeiten im Kapitalismus haben. Den deutschen Zeitungsverlegern soll es ja insgesamt nicht so gut gehen.

Wie ernst ist Ihre Krise diesmal?

Sie zählt zu den drei schwersten, die wir in den letzten 34 Jahren hatten. Die Lage ist dramatisch, existenziell gefährdend, da gibt es nichts schönzureden. Und sie hängt nicht nur mit der Kostenexplosion in allen Bereichen zusammen. Also beim Papier, der Energie, der Zustellung. Vieles ist hausgemacht. Die Bilanz 2022 weist einen Fehlbetrag von 635.000 Euro aus, der zu sofortigen Kosteneinsparungen zwingt. Das heißt, wir werden unter anderem den Einzelverkauf am Kiosk zum 1. August einstellen und dort nur noch die Wochenendausgabe "nd. Die Woche" anbieten. Beim Personal fallen vier Vollzeitstellen weg. Weitere Schritte sind in Vorbereitung. Vor diesem Hintergrund gilt: Wir stehen nicht vor dem endlosen Nichts, wir müssen das zweite Halbjahr 2023 irgendwie überstehen.

Plötzlich mehr als eine halbe Million Miese – das deutet auf einen gewissen Dilettantismus in der Verlagsleitung hin.

Sagen wir es mal so: Wir sind alle davon überrascht worden. Es hat sicher auch mit den Schwierigkeiten zu tun, die wir auf dem Weg von der GmbH zur Genossenschaft zu bewältigen hatten. Ein neuer Geschäftsführer musste gefunden werden, ein neuer ehrenamtlicher Vorstand gewählt werden, die ausgelagerte Buchhaltung kontrolliert werden. In dieser Zeit sind offensichtlich Fehler gemacht worden, die erst jetzt zutage getreten sind.

Zum Erschrecken der Mitglieder der Genossenschaft, die Ende Juni zusammengekommen sind. Das dürften die sich lustiger vorgestellt haben.

Das gilt für uns alle, aber es hilft ja nichts, wir müssen uns wieder einmal aufrappeln und selbst ermutigen, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Wir müssen aber auch viel stärker um Unterstützung bitten als bisher gedacht. Ein Glück, dass die Genoss:innen in großartiger Weise mitziehen. Sie haben sich einstimmig für eine sofortige Rettungskampagne ausgesprochen. Das erste Ergebnis ist ermutigend: innerhalb von zwei Wochen haben wir fast 200 neue Genoss:innen und weit über 500 Abos oder Abo-Aufstockungen dazugewonnen. In Sachen Marketing könnten wir vielleicht noch von Kontext lernen. Das Interview mit Christine Prayon war ein echter Coup.

Das wird auf Dauer nicht reichen.

Ich kann nur immer wieder betonen: Es lohnt sich zu kämpfen. Wenn wir das in den letzten 34 Jahren nicht gemacht hätten, wären wir heute nicht mehr hier. Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft dieser Zeitung, die sich ein eigenständiges sozialistisches, linkspluralistisches Profil erarbeitet hat. Aber auch der Gesellschaft gegenüber. Das ND ist eine Stimme für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Sie darf nicht verloren gehen. Schon gar nicht in dieser Zeit, in der wir von bellizistischen Medien umzingelt sind. Wir schreiben nicht über den Krieg, wir schreiben gegen den Krieg.

Die Linkspartei anpumpen?

Die Linke war bis 2021 Gesellschafterin des ND und hat immer wieder Löcher gestopft. Das ist Geschichte. Eine Geschichte im Übrigen, in der uns die Parteiführung nicht immer wohlgesonnen war. Ich glaube, Bernd Riexinger fand uns nicht freundlich genug.

Rettungsring

Das 1946 gegründete "Neue Deutschland" war eines der wichtigsten PR-Instrumente der SED. Die Ostberliner Zeitung schaffte es tatsächlich, Erich Honecker noch 1987 mit 43 Fotos in einer Ausgabe zu haben. Zeitweise beschäftigte das Unternehmen 1.800 Mitarbeiter:innen, heute sind es noch 100, die Auflage betrug zu Spitzenzeiten eine Million, inzwischen liegt sie bei 15.000 Exemplaren. Nach der Wende wurde die PDS bis 2007 Eigentümerin, danach die Partei Die Linke, und die Redaktion formulierte den Anspruch, eine "unabhängige sozialistische Tageszeitung" zu sein. Gemocht hat die Partei das Blatt nie, die Trennung war deshalb abzusehen. Sie kam im August 2021 mit der Gründung einer Genossenschaft, mittels der die Beschäftigten die Zeitung weiterführen und weitere Anteilseigner:innen gewinnen konnten. In diesem Zuge wurde die Zeitung in "ND.Der Tag" und "ND.Die Woche" (Wochenendausgabe) umbenannt. Zwei Jahre später droht nun die Pleite, wenn die Rettungskampagne nicht erfolgreich ist.  (jof)

Solche Konflikte liegen bei parteinahen Zeitungen in der Natur der Sache.

Ja, aber das ND ist längst keine Parteizeitung mehr. Dazu ist die Redaktion viel zu heterogen, in ihrem politischen Selbstverständnis viel zu unterschiedlich, auch viel zu jung, um einer dogmatischen Blattlinie zu folgen. Was sie eint, ist der Anspruch, eine unabhängige linke Zeitung zu machen, die unter dem Motto steht: Linkssein ist kompliziert, aber wir behalten den Überblick!

Da hängt die Latte hoch. Die Antikapitalistische Linke, eine Strömung innerhalb der Linkspartei, hat auch schon Unterstützung zugesagt.

Die Wochenzeitung "Jungle World" schreibt: "Helft den Kolleg:innen, wenn ihr könnt!" Die Chefredakteurinnen vom "Missy Magazine" und "Jacobin" rufen zur Solidarität auf, ebenso die Aktionsbündnisse "Ende Gelände" und "Sand im Getriebe", die genau wissen warum ("Ohne Presse gibt es auf die Fresse"), und sogar eine taz-Redakteurin hat jetzt ein Abo gezeichnet. Das sei höchste Zeit, schreibt sie, wenn die Ossis als zu blöd für die Demokratie erklärt würden.

Wir lernen daraus: Es rettet uns kein höheres Wesen …

… kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Und einen Jakob Augstein, der mal ein paar Millionen in seinen "Freitag" pumpt, haben wir auch nicht. Retten können uns nur wir selbst und die Leser:innen. Sie können dafür sorgen, dass diese Zeitung, in die seit vielen Jahren kluge Leute ihren Grips investieren, weiter existiert, damit andere kluge Leute das auch in Zukunft tun können.


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3 Kommentare verfügbar

  • Ex-ndler
    am 19.07.2023
    Antworten
    @Markus
    Vielleicht täte es dem nd auch ganz gut, vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft zu werden.

    Aber im Ernst: Dem nd hängt immer noch der Stunk der längst vergangenen DDR an und vielem Weiteren, was damit zu tun hat, Stasi etwa. Darauf haben ehemalige DDR-ler schon lange…
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