Dass die Partei immer in der Gefahr war sich anzupassen und ihren Grundcharakter zu verändern, liegt nahe – es handelt sich dabei schließlich um einen Prozess, wie man ihn weltweit seit mehr als 100 Jahren dutzendfach beobachten kann, nicht zuletzt am Beispiel der deutschen Sozialdemokratie ab 1914. Wobei die PDS respektive die Linke das Glück hatte, dass der Kapitalismus in der gesamten Zeit ihrer Existenz eine Krise nach der anderen erlebte, was diesen "natürlichen" Anpassungsprozess immer wieder ausbremste. Als die PDS-Führung um Gregor Gysi und Dietmar Bartsch ein Ja zu UN-Kampfeinsätzen und eine Aufweichung der Nato-Kritik durchsetzen wollte, gab es 1999 und 2001 die Kriege in Jugoslawien und Afghanistan. Als diese Führung ein Mitregieren als Juniorpartner der SPD propagierte, machte dem die offen neoliberale Agenda-2010-Politik von Rot-Grün beziehungsweise danach die SPD-Politik in drei Großen Koalitionen fette Striche durch die Rechnung. Und wenn Die Linke immer wieder unterstellte, soziale Themen hätten Vorrang vor ökologischen, so erzwangen die Atomkatastrophe von Fukushima und die Fridays-for-Future-Bewegung Kurskorrekturen.
Die aktuelle Krise ist ein Déjà-vu
Bei der jüngsten Bundestagswahl verlor Die Linke 4,3 Prozentpunkte und landete bei 4,9 Prozent. Ihren Fraktionsstatus konnte sie nur durch die Eroberung von drei Direktmandaten verteidigen. Vergleichbares passierte bei der Bundestagswahl im September 2002. Damals verlor die PDS 1,1 Prozentpunkte und landete bei 4 Prozent. Da sie damals nur zwei Direktmandate erringen konnte, war sie dann drei Jahre lang nur mit zwei – tapferen! – Abgeordneten im Bundestag vertreten. Diese fatale Wiederkehr in der Parteientwicklung wird seitens der Führung von Die Linke ausgeblendet – offensichtlich, weil man daraus nicht die notwendigen Lehren ziehen will. Denn die Gründe für die Wahlniederlage 2002 sind im Wesentlichen dieselben wie für den aktuellen Niedergang der Partei.
Vor zehn Jahren gab es drei große Faktoren für das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl: Erstens weil die Partei im Oktober 2001 in Berlin in eine Koalitionsregierung mit der SPD eintrat und in der Folge für den damaligen Berliner Bankenskandal mitverantwortlich gemacht wurde; die wichtigste Entscheidung – die Übernahme des Risikos von 21,6 Milliarden Euro aus Immobiliengeschäften dieser Bank durch die SPD-PDS-Mehrheit – fiel im April 2002. Zweitens weil führende PDS-Politiker in den sogenannten Bonusmeilen-Skandal verwickelt waren: Es gab Erste-Klasse-Lufthansa-Freiflüge auf Basis von Rabatten, die mit dienstlichen Flügen "erworben" worden waren. Gregor Gysi, der selbst derart abgehoben unterwegs war, musste aufgrund dieses Skandals drei Monate vor der Bundestagswahl als Berliner Wirtschaftssenator seinen Rücktritt erklären. Und drittens weil die Partei über Jahre hinweg ihre Antikriegsposition aufweichte.
Letzteres wurde nicht zuletzt bei der Rede des US-Präsidenten George Bush im Bundestag am 23. Mai 2002 deutlich, in der dieser die Erweiterung der Nato in Richtung der russischen Grenze proklamierte (was von hohem Interesse für den aktuellen Ukraine-Krieg sein sollte). Als drei PDS-Abgeordnete, darunter Ulla Jelpke, während dieser Kriegsrede im Plenarsaal eine Protestaktion durchführten, wurden sie von der eigenen Fraktion bloßgestellt; der damalige PDS-Fraktionsvorsitzende Roland Claus entschuldigte sich beim US-Präsidenten explizit für die Antikriegs-Aktion seiner MdB-Kolleg:innen.
Heute gibt es eine vergleichbare Situation. Die Linke ist in vier Bundesländern Teil von Landesregierungen; in Thüringen stellt sie sogar den Ministerpräsidenten. Es ist dabei kaum auszumachen, dass sie als Regierungspartei in diesen Ländern eine andere Politik als CDU/CSU, SPD oder Grüne betreiben würde. Man verwaltet gemeinsam die kapitalistische Misere, verteidigt die Schuldenbremse und organisiert die Abschiebung von Geflüchteten. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 erklärte das Führungspersonal von Die Linke seine Bereitschaft, gemeinsam mit SPD und Grünen eine Bundesregierung bilden zu wollen – ohne erkennbare Vorbedingungen. Damit war insbesondere klar, dass Die Linke als potentielle Regierungspartei Bundeswehreinsätze im Ausland mittragen und schon gar keinen Austritt aus der Nato fordern würde. Genau diese erneute Aufweichung der strikten Antikriegsposition erleben wir seit Beginn des russischen Ukrainekriegs. Gysi und Bartsch unterstützen in diesen Tagen offen die weitere Nato-Osterweiterung um Finnland und Schweden und überholen dabei Papst Franziskus rechts.
Wie wurden bei den Bundestagswahlen 2005 die 8,7 und 2009 die 10,7 Prozent PDS- bzw. Die-Linke-Stimmen erreicht und damit die Parteikrise überwunden? Oberflächlich gesehen sind diese aus heutiger Sicht geradezu sensationellen Wahlerfolge dem Zusammenschluss von WASG und PDS zur Partei Die Linke geschuldet. Dabei wird die damit verbundene programmatische Linksverschiebung übersehen: Bereits im Wahlprogramm 2009 wurde erneut eine konsequente Antikriegsposition formuliert mit Forderungen wie "radikale Abrüstung", Ablehnung "jeder Erweiterung der NATO" und "keine Auslandseinsätze der Bundeswehr". Das 2013er-Wahlprogramm enthielt dann – auch als Resultat von Fukushima – erste respektable ökologische Forderungen.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!