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Wolfgang Pohrt

Furchterregender Einzelkämpfer

Wolfgang Pohrt: Furchterregender Einzelkämpfer
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Als einen der "intelligentesten, streitbarsten und zugleich unerträglichsten Menschen seiner Zeit" weist die FAS den linken Publizisten Wolfgang Pohrt aus. In den letzten Jahren seines Lebens hat sich der konkurrenzlose Polemiker aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt erscheint in der Edition Tiamat eine umfassende Biographie.

In das Ende der Geschichte, um die es hier geht, bin ich buchstäblich hineingestolpert. 2017 rief mich der Berliner Verleger und Autor Klaus Bittermann mit der Bitte an, seinen Lieblingsautor zu suchen. Irgendwo in Stuttgart, wo ihn die wenigsten vermuteten, obwohl er seit 1985 hier wohnte. Er war nicht mehr erreichbar, spurlos verschwunden. "Dieser rücksichtslose und im linken Milieu berüchtigte Publizist kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben", notierte Hans Magnus Enzensberger einmal, als er nichts Neues mehr von Wolfgang Pohrt zu lesen fand.

Jetzt ist in der Edition Tiamat Klaus Bittermanns 678 Seiten umfassende Biographie erschienen: "Der Intellektuelle als Unruhestifter: Wolfgang Pohrt". Dietmar Dath schreibt darüber in der "FAZ": "Dass der furchterregende Einzelkämpfer nicht nur höhnisch, sondern auch ausgelassen lachen konnte, hätte man aus seinen Schriften nie geschlossen"; im Buch sehe man ihn "auf zwei Fotos tatsächlich mit leuchtenden Augen der Liebe seines Lebens zeigen, dass er sich freuen kann wie ein junger Hund". Auf diesen Bildern ist Pohrt 1977 mit seiner Frau Maria zu sehen. Sie starb 2004, ihr Name steht auf demselben Grabstein wie der ihres Mannes. Nach seinem Tod am 21. Dezember 2018 wurde seine Urne auf dem Heslacher Friedhof beigesetzt. Er wurde 73 Jahre alt.

In der Zeit der großen Proteste gegen Stuttgart 21 begegnete mir der "furchterregende Einzelkämpfer" mal am Bahnhof. Er lächelte eher mitfühlend als zynisch, als ich ihm sagte, dass ich an Demos teilnähme. Später las ich in seinem finalen Buch "Das allerletzte Gefecht": "Vollkommen zwecklos, eine Revolution zu fordern, die man selbst nur beschreiben, aber nicht machen will. Marx nicht, sonst hätte er ein bedeutend schmäleres Werk hinterlassen. Und wir nicht, sonst wären wir im Knast oder tot."

Da hatte der promovierte Sozialwissenschaftler und konkurrenzlose Polemiker längst seine "Geschäftsaufgabe" angekündigt. Es gebe für jeden wichtigere Dinge im Leben als die Revolution, "nicht zuletzt das Leben derer, die er liebt". Vorbei die Zeit, als er sich mit den Worten definiert hatte: "Mein Job ist die Ideologiekritik, das habe ich gelernt. Die Leute sagen mir, was sie denken, und ich sage ihnen, warum das falsch ist." Ihm ging es nie darum, mit einer "Wahrheit" hausieren zu gehen.

Zu unabhängig für eine stabile Karriere

Regelmäßig habe ich Texte von ihm gelesen, mehrfach sein Essay-Buch "Honoré Balzac – der Geheimagent der Unzufriedenheit", ein grandioses Werk über Liebe und Geld, Schriftstellerei und Halbwelt. "Wenn heute sein Name nur noch wenigen Lesern etwas sagt", so Claudius Seidl in der FAS, dann liege das daran, dass er "einer der intelligentesten, streitbarsten und zugleich unerträglichsten Menschen seiner Zeit war, ein Kopf so unabhängig und unbestechlich, dass an eine stabile Karriere im akademischen oder publizistischen Betrieb einfach nicht zu denken war".

Sein Biograph Bittermann schreibt: "Als Anfang der Achtzigerjahre Wolfgang Pohrt die Bühne betrat, wurde schnell klar, dass da jemand einen neuen Ton anschlug. Seine Kritik an den Grünen und der Friedensbewegung ist legendär, vor allem, seit diese nationale Töne anschlugen und die Nation nicht mehr abschaffen, sondern retten wollten." In der Biographie, so ihr Autor, "wird daran erinnert, dass die Linke in Deutschland zwar versagt hat, aber dank Wolfgang Pohrt das Niveau der Kritik an ihr weit besser war, als sie es verdient hatte. Man kann sagen, dass ein realistisches Bild von ihr nur deshalb erhalten geblieben ist, weil Pohrt sich ihrer Fehler und Eigenarten angenommen und damit die Mythenbildung erschwert hat."

Aktueller denn je erscheint heute Pohrts Betrachtung von Faschismus/Auschwitz/Krieg: "In der Tat hat Deutschland den Pazifismus diskreditiert und ad absurdum geführt, indem es praktisch vorgeführt und damit empirisch bewiesen hat, dass es Schlimmeres geben kann als den Krieg; dass Schrecken möglich sind, von denen nur eine starke Armee befreit. Deutschland selbst unter den Nazis war dieser Schrecken, gegen den es kein Mittel als Bomberflotten und Panzerverbände gab. Die Armee als wirklichen Befreier und den Krieg als wahren Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit in die Weltgeschichte eingeführt zu haben, ist das verhängnisvolle Verdienst dieses Landes." (1983)

Nach Bittermanns Anruf 2017 ging ich in die Traubenstraße, nicht weit vom Hölderlinplatz, wo Pohrt ein Zimmer hatte. Seine Wohnung in Halbhöhenlage hatte er nach dem Tod seiner Frau aufgeben müssen. Nach Stationen wie Berlin, Frankfurt oder Hannover hatte er einst Stuttgart mit Rücksicht auf die beruflichen Möglichkeiten Marias, einer Balletttänzerin, gewählt – und um "schneller südliche Länder" zu erreichen. Am Eingang eines Wohnblocks sah ich seinen überquellenden Briefkasten. Wahllos klingelte ich bei Nachbarn. Irgendwann verwies mich eine Frau an einen "Computerladen", einige Ecken weiter. Dort gebe es einen, der Pohrt hin und wieder besucht habe. Nach langer Suche entdeckte ich ein kleines Tonstudio im Keller eines Hauses. Der nicht gerade redselige Betreiber des analogen Ladens ließ durchblicken, dass er Wolfgang einst ein Zimmer überlassen und gelegentlich Einkäufe für ihn gemacht habe. Dann aber sei er von ihm so unfreundlich behandelt worden, dass er den Kontakt abgebrochen habe. Da war der Autor schon krank. Schlaganfall, Krankenhaus, erste Anzeichen einer Demenz. Wo er steckt, wusste der Mann nicht.

Und was, wenn man sie reinließe?

Wieder in der Traubenstraße, klingelte ich eine Frau ans Fenster, die sich erinnerte, von einem Heim gehört zu haben: "... was mit Hase". So fand ich Wolfgang Pohrt im Haus Hasenberg, einem Pflegeheim. Bei meinem ersten Besuch, zusammen mit Klaus Bittermann, saß er im Rollstuhl, rauchte wie früher Kette und zeigte noch einmal alte Klasse, als er seinem Verleger, der bereits an der Veröffentlichung von Pohrts Gesamtwerk arbeitete, diagnostizierte: "Bei dir hat die Gehirnerweichung auch schon große Fortschritte gemacht."

Neulich wurde die Biographie an der Berliner Volksbühne unter dem Titel "Zurück ins 20. Jahrhundert – Über den intellektuellen Grenzgänger Wolfgang Pohrt" vorgestellt. Bei der Lektüre landet man verdammt oft in der Gegenwart. Über die Intellektuellen, die Dinge zerreden, um sich aus der Affäre zu ziehen, schrieb Pohrt in den Neunzigern:

"Nehmen wir mal an, da steht so ein armer Teufel, meinetwegen Zigeuner aus Rumänien, mit seiner Frau und seinen schmutzigen, verlausten, hungrigen, frierenden Kindern an der Grenze. Er will hinein. Lässt man ihn, wird man ihn zwar ernähren müssen, bleibt aber dafür ein anständiger Mensch. Lässt man ihn nicht, kann man sich zwar selbst mästen, ist dafür aber auch ein Schwein. Schwein oder Nicht-Schwein: Vor dieser elementaren Frage stehen einfach denkende Leute manchmal, Intellektuelle nie. Sie bleiben immer gute Menschen, weil sie fähig sind, das Grundsätzliche und die Folgen zu bedenken. Wenn man die Zigeunerfamilie nun reinließe: Hieße das nicht, sie ihrer Kultur entfremden? Liefe dies nicht auf Nachgiebigkeit hinaus gegenüber den rumänischen Rassisten? Wäre es nicht besser, die Ursachen der Flucht in den Herkunftsländern zu bekämpfen? Ließe man einen armen Teufel rein, würden dann nicht alle kommen wollen? Muss unsere Solidarität nicht eher den Allerschwächsten gelten, denen, die gar nicht mehr die Kraft haben, sich bis an unsere Grenze zu schleppen? Ist die Ankunft immer neuer Flüchtlinge nicht Wasser auf die Mühlen der Faschisten hier? Wäre es nicht geradezu verantwortungslos, nach den Erfahrungen von 1933 die Demokratie aufs Spiel zu setzen?"


Am Dienstag, 17. Mai stellt Klaus Bittermann seine Pohrt-Biografie im Württembergischen Kunstverein vor. Beginn 19 Uhr. Eintritt frei.


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3 Kommentare verfügbar

  • Thomas Schweighäuser
    am 03.03.2023
    Antworten
    Danke für diesen Artikel, auf den ich erst jetzt, während der Lektüre der Briefe Pohrts, stieß. Pohrt sah sich vor das Problem gestellt, wie man als Autor, der keine schützende Gruppe um und keine spendable Familie hinter sich wusste, in Deutschland überleben kann, obwohl man nicht nur schreiben…
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