Die "Big five" sind bewundernswerte Geschöpfe der Natur. Löwe, Nashorn, Büffel, Leopard und Elefant verkörpern einen illustren Mix aus Größe, Kraft und Würde. Seit Urzeiten streifen sie durch die Savannen Afrikas, Fressfeinde haben sie nicht zu fürchten.
Trotzdem sind die meisten dieser Kraftprotze vom Aussterben bedroht. Adelige Trottel wie der notorische Schürzen- und Großwildjäger Juan Carlos I. posieren halt gern am Okawango-Delta neben einem selbst erlegten Prachtbullen mit Stoßzähnen. Der Lebensraum der Tiere schwindet längst dahin. Mancherorts gilt das gemahlene Horn des Rhinozeros als eine Art Bio-Viagra, also werden die Tiere gewildert. So sind Safaris zu den letzten ihrer Art zu einem teuren Vergnügen für Betuchte geworden.
Was das mit Kontext zu tun hat, dieser digitalen Stuttgarter Wochenzeitung?
Nun, auch die deutsche Verlagslandschaft hat ihre "Big five". Sie heißen "Süddeutsche Zeitung", "Stern", FAZ, "Spiegel", "Zeit". Strotzend vor journalistischer Kraft beherrschen sie die Nachkriegszeit. 1989 erweitert eine historische Volte sogar ihren Lebensraum, blühende Landschaften wurden versprochen. Und tatsächlich wurden die "Big five" fetter. Schon immer hatte mehr als die Hälfte ihrer Nahrung aus bezahlter Werbung bestanden, und die wuchs weiter. Alleine im ersten, dem politischen Buch der SZ konnte man damals mehrere ganz- und halbseitige Anzeigen finden.
Doch niemand hatte mit einem bislang unbekannten Fressfeind gerechnet. Den Verlegern erschien dieses neue Internet als Spielwiese elektronisch interessierter Hippies. Werch ein Illtum! (Kleiner Gruß aus der Küche für Jandl-Fans.) Wie dramatisch sich diese neue Technologie auswirken sollte, ist leicht am eigenen Briefkasten zu sehen. Noch am Ende des vergangenen Jahrtausends legten die Zeitungsboten die FAZ und die SZ jeden Samstag auf die Treppe, weil die anzeigenprallen Blätter selbst einzeln nicht durch den Schlitz passten. Und heute? Legen die Zeitungsausträger samstags vier überregionale Zeitungen aufeinander, klappen den Stapel um und schieben ihn locker in den Briefkasten. Jobangebote? Automobilgesuche? Mietwohnungen? Immobilienkäufe? Alles längst im Netz. Lokalen Printmedien sind immerhin einige Discounter und deren Sonderangebote für Hackfleisch und Gürkchen geblieben.
Der "Stern" und seine bezahlte Werbung, nur zum Beispiel. 1980 hatte das Magazin durchschnittlich in jeder Ausgabe 118 Seiten voller Anzeigen; das gesamte Heft vergangene Woche brachte es auf 120 Seiten. Zehn Jahre später, 1990, erreichte der "Stern" alleine durch Anzeigen einen Umsatz von 318 Millionen Mark netto – die Millionen verkaufter Magazine gab's als Topping. Tempi passati. Dazu ist die Auflage einiger der "Big five" inzwischen gletscherartig geschmolzen.
Das hat Auswirkungen auf die Redaktionen und deren Journalismus, logisch. "Focus" hat gerade die Abteilung Kultur geschlossen, auch wenn sich der Magazin-Gründer Helmut Markwort gern als Freund des Theaters gerierte. Klickt halt nicht auf Online. Der "Stern" bezieht seine Energie aus dem Notstromaggregat. Im "Spiegel" kennt kaum noch jemand die Aufgaben eines Nachrichtenmagazins, sein (kürzlich integrierter) digitaler Jugendableger "Bento" las sich bisweilen wie die "Bravo" zu Zeiten von Roy Black: Doktor Sommer, kann ich von einem Zungenkuss schwanger werden?
Inzwischen gilt überall die Devise Online first. Gedruckte Ausgaben werden als Abfalleimer des Digitalen notbefüllt. Die mit einem + gekennzeichneten Artikel (vulgo wertvoller Content) sollen Geld einspielen. Doch von Chefredaktionen gern gefragt sind Klickmonster wie "Die 5 schönsten Badeseen" und "Zehn schnelle und leckere Gerichte für den Lockdown". So wie das Privatfernsehen (und sein Geburtshelfer Helmut Kohl) die öffentlich-rechtlichen Sender boulevardisiert hat, verändern sich die Inhalte von (Online-)Zeitungen und Magazinen. Auch wenn die ausgeruhte Reportage und die hartnäckige Recherche durchaus noch zu finden sind, die geilen digitalen Formate sind Kolumnen, Kommentare, Glossen, schnelle Einwürfe. Denn Qualitätsjournalismus braucht Zeit und kostet Geld. Meinung hingegen ist schnell und billig herzustellen und zieht Meinungen nach sich, den Shitstorm. Da summt's und brummt's auf der Webseite wie im Bienenstock. Digitale Medien wie die der "Big five" ernähren sich nun mal von Klicks.
1 Kommentar verfügbar
tomás zerolo
am 09.04.2021Meine Krümel sind spärlich, die kriegt derzeit der Ameisenbär. Sollten je mehr da sein, wären auch welche für Euch da, versprochen.
P.S: Ich würde ja lieber kommentieren wenn Eure Seite nicht so Javascriptverseucht wäre. Aber man gilt gleich als Rufer in der Wüste oder als…