Zugegeben. Einen seiner Arme mit einem Ast zu verwechseln, mit dem anderen danach zu greifen und daraufhin tragisch zu Tode zu stürzen, gehört zu den unglücklicheren Ereignissen, die in einem Leben geschehen können. Faultieren unterläuft dieses kleine Malheur zwar von Zeit zu Zeit. Aber erstens wäre das dem amtierenden US-Präsidenten, wenn er so viel klettern würde, wie er Zeit auf Golfplätzen verbringt, wahrscheinlich auch schon passiert. Und zweitens ist Spott gegenüber den sympathischen Regenwaldbewohnern, Schusseligkeit hin oder her, völlig unangebracht. Denn auch wenn sie gelegentlich ein Stückchen neben der Spur stehen, haben sie grundsätzlich mehr vom Leben verstanden als Albert Camus, die Wirtschaftsweisen und Charles Darwin.
Die These vom Survival of the fittest entlarvt das Faultier durch seine schiere Existenz als Unfug: Es ist weder leistungswillig noch gut angepasst noch zeugt es viele Nachfahren. Die entschleunigten Kleinsäuger, bis zu einem halben Meter groß und fünf Kilo schwer, verzichten auf entbehrlichen Mumpitz wie Wettbewerb und Ambitionen. Sie vegetieren einfach nur vor sich hin. Wie ein Gänseblümchen, bloß cooler. Das imitationswürdige Erfolgsrezept: Noch bevor es handelt, überlegt sich das Faultier: Lohnt sich das überhaupt? Und meistens lautet das Resultat dieser komplizierten Abwägung: Neeeee.
Aus dem sorgenfreien Vor-sich-hin-Dümpeln reißt das Faultier meistens nur die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme. Die Konfliktlage erinnert sodann an einen zugekifften Teenager, der tief ins Sofa gepresst am anderen Ende des Raumes eine Dose mit Erdnüssen erspäht. Würd ja voll gerne, aber boah ey, voll stressig – doch irgendwann macht der drohende Hungertod das Handeln alternativlos. Dann reckt sich, widerwillig und mühselig, ein nah-am-Pausenknopf-entschleunigter Zeitlupenarm. Faultiere sind übrigens relativ konsequente Veganer. Aber nicht dogmatisch: Wenn sich ein knuspriger Käfer in einen ihrer seltsamen Krallenarme verirrt (und dort lange genug verweilt), greifen sie auch mal zu. Ganz langsam, versteht sich. Und wenn's nicht klappt, war's eben nicht so wichtig.
Slowdown statt Showdown
Das Faultier gehört zur vermutlich coolsten Familie im Tierreich. Zu seinen nahen Verwandten zählen Gürteltiere und Ameisenbären (What the fuck, Natur?!). Die bewegungsskeptischen Inkarnationen der Trägheit hatten bedeutend fleißigere Vorfahren. Zwei Millionen Jahre lang versetzten die elefantengroßen Riesenfaultiere mit ihren kieferzerberstenden Kinnhakenhieben halb Amerika in Angst und Schrecken. Doch was hat ihnen diese beschwerliche Lebensführung eingebrockt?
Jackpot!, dachten sich die frühen Menschen und betrachteten die sechs Tonnen schweren Fleischberge als Nahrung auf Beinen. Mit Speeren machten sie den Kolossen aus sicherer Distanz erbarmungslos den Garaus. Kommt davon, wenn man sich Mühe gibt, denkt sich das Faultier von heute, und lässt das lieber bleiben. Slowdown statt Showdown, lautet die Devise. Jetzt schläft es fast ausschließlich (20 Stunden am Tag), bewegt sich nur, wenn es unbedingt sein muss, und dann mit einer nicht gerade halsbrecherischen Geschwindigkeit. Aber: Seine stets bemühten Vorfahren sind seit 10 000 Jahren ausgestorben und die anstrengungskritische Variante lebt noch heute. Nimm das, Darwin!
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Volker Freiesleben
am 17.01.2019