Noch nie habe ich so viele Interviews mit Philosophen, Soziologen, Zukunftsforschern, Pädagogen oder Psychologen gelesen, gehört und gesehen wie in den vergangenen Wochen. Sie sagen, die Menschen würden wegen Homeoffice und eingeschränkter Kontakte ab sofort aggressiver, sozialer, einsamer, aktiver, apathischer, zugewandter.
Und dann sagen sie, toll, dass wir alle mit den Enkeln über Zoom quatschen und Aug in Aug viel Spaß haben können, dass das Internet das Tor zu Welt ist, dass wir das Kino dank Netflix nicht vermissen, dass wir die Freunde mit Mails umarmen können, dass wir uns Musik runterladen wie nie und Beethoven mit Igor Levit frisch kennenlernen, dass wir uns an virtuellen Rundgängen in den Museen von Auckland, Basel und Los Angeles ergötzen, dass wir mit den Kindern auf Youtube die tägliche Sportstunde von "AlbaBerlin" auf dem Teppich nachturnen und körperlich fit bleiben.
Wenn wir nicht raus gehen dürfen, holen wir uns das Draußen per Mausklick einfach nach drinnen. Klingt aufregend. Und gilt für mich nicht. Drei Wochen lang bin ich nun ohne Internet, Vodafone sei Dank. Es ist himmlisch. Ich habe das Leben neu entdeckt.
Leben in der Warteschleife
Meist beginnt der Tag mit einem Lied. Es ist eine etwas leiernde Stimme, die da singt, leiernd wie Bob Dylans neuer Song "Murder Most Foul", siebzehn Minuten lang ist der, nur krächzt und grummelt die Stimme nicht wie Dylan. Die Stimme singt samtig "... you are falling, you are falling ...", das Lied hat keinen Anfang und kein Ende, es ist ein Mantra-Lied, "you are falling", lass dich in die Warteschleife fallen, my friend, die Melodie wirkt wie ein ayurvedisches Entspannungsschaumbad von 37 Grad Celsius, sie streichelt einen sanft und macht somnambul, es ist meine morgendliche Vodafone-Meditation.
"Hallo, kennen Sie schon das Kundenportal von ..." Ja, ich kenne euer Kundenportal bereits seit Tagen, aber danke schön, dass ihr mich daran erinnert. Nun kommt ein lustiges Spiel. Ich muss Worte nachsprechen, so deutlich, dass ich diese Hürde überspringen und ein neues Wort nachsprechen darf.
Sagen Sie "Kabel".
"Kabel."
Okay, Kabel. Sagen Sie "Internetstörung".
Von Tag zu Tag werde ich besser, ich tänzele leichtzüngig durch die vorgeschlagenen Begriffe.
Wenn Sie beide Verträge meinen, drücken Sie die 1.
Immer wieder drücke ich die 1, ich drücke die 3, drücke die 2, Vodafone scheucht mich über die Tastatur des Telefons. 3, 1, 3, 2 – ich hab dich! Ich bin drin.
Ich habe Sie nicht verstanden. Sagen Sie bitte "Internetstörung".
"Internetstörung."
Danke, ich verbinde Sie jetzt mit ...
Eine menschliche Stimme, mir wird warm ums Herz. Ich spreche mit Frau Beutel. Ich sprach schon mit Herrn Pashikorsy, mit Frau Hurmler und Herrn Zacharias, ich sprach mit mehr Menschen als je zuvor (die Namen sind nach dem phonetischen Gedächtnis notiert und vermutlich völlig falsch). Die Menschen hinter der Hotline sind wahre Therapeuten, bestens geschult, durch nichts zu irritieren. Wie geht es Ihnen? Was kann ich für Sie tun? Sie sind seit einer Woche ohne Internet im Homeoffice, das ist ja furchtbar! Sie Armer! Keine Sorge, wir bekommen das hin.
Soeben wollte ich mich noch beschweren, aufbegehren, ich hatte mir einen Eskalationsplan des Zeterns zurechtgelegt. Und schon überspült mich ein Tsunami an Empathie, es wirbelt mich emotional durcheinander in einem Strudel des guten Willens, so viel Verständnis. Ich begreife, was mit Achtsamkeit gemeint ist, ein Modewort, über das ich bisher nur gelächelt hatte. Ihr seid so gut zu mir.
Vorsicht, Hotline-Stalking!
Sie haben mich süchtig gemacht. Ständig rufe ich die Hotline an, drücke Zahlen, spreche Begriffe nach, suhle mich im "you are falling". Ich rufe so oft an, dass ich Angst habe, sie könnten mich wegen Hotline-Stalkings verklagen und mir jeden weiteren Kontakt verbieten. Fürchte den Brief vom Amtsgericht: Herr Thomma, es ist Ihnen untersagt, sich der Telefonnummer von Vodafone auf weniger als 100 Meter zu nähern.
Sie erzählen, sie würden mir gerne helfen, doch sie könnten nicht. Sie würden fieberhaft an der (phonetisch) "Possisionierung" arbeiten. Es tut uns leid. Es tut uns soooo leid. Sie leiden mit mir, ich weine. Sie würden mich ja liebend gerne sofort mit dem zuständigen Fachteam verbinden, dort "parke" mein Fall, es gehe nicht. Es tut ihnen leid.
2 Kommentare verfügbar
WI
am 17.04.2020Ich hatte vor ein bis 2 Jahren ein folgende Störung bei Vodafone ehemals Kabel: Beim Telefonieren konnte ich den Anderen während der gesamten Gesprächsdauer hören und verstehen für den Anderen kippte das Gespräch jedesmal nach Minuten weg und ich…