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Leuchtender Feind im Klassenzimmer

Leuchtender Feind im Klassenzimmer
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Märchenstunde im Südwestfernsehen: Eine TV-Reportage erhebt Esoterik zur Wissenschaft, um Lernen unter energieeffizienter LED-Beleuchtung in Frage zu stellen. Es ist nicht die erste anthroposophische Entgleisung des Senders.

Es weihnachtet sehr. Spätestens seit zahllose LED-Lichterketten die Bäume, Kaufhäuser und Eigenheime schmücken. Doch die blinkende Festlichkeit ist des Teufels Zeug, glaubt man dem Stuttgarter Südwestrundfunk (SWR). Dessen TV-Magazin "Marktcheck deckt auf" behauptet, dass uns mit modernen LEDs gar kein Licht aufgeht. Zumindest unseren Kindern nicht. Denn unter den Licht emittierenden Dioden – wofür die drei Buchstaben stehen – sieht's beim Nachwuchs mit Rechnen und Rechtschreiben zappenduster aus. Dies suggerieren die SWR-Autoren Inga Vennemann und Moritz Hartnagel in ihrer Reportage "Das Geschäft mit LED-Lampen", die kürzlich im Südwestfernsehen zu sehen war. Schuld daran soll der hohe Blaulichtanteil des Diodenlichts sein.

Dieser Art der Volksverdummung sind alle Europäer hilflos ausgeliefert – dank rücksichtsloser Bürokraten, so vermittelt es die Reportage. Denn mit der sogenannten Ökodesign-Richtlinie für Beleuchtung hat die Europäische Union das Ende der letzten Glühbirnen bereits eingeläutet: ab September 2021 ist das "Inverkehrbringen" auch derjenigen Halogenlampen verboten, die bislang noch in Deckenstrahlern und Schreibtischleuchten erlaubt sind. Nur für Beleuchtungsprodukte, bei denen die Umstellung auf LED schwierig ist, gilt eine Schonfrist bis zum 1. September 2023.

Dabei sprechen gute Gründe für LEDs. Die modernen Leuchtmittel brauchen wesentlich weniger Energie – oft weniger als 10 Prozent – als das Halogen-Äquivalent. Das könnte den Strombedarf in den derzeit noch 28 EU-Ländern rapide senken, wo momentan 12 Prozent der Elektrizität für Beleuchtung verbraucht werden. Wenn alle Haushalte alle Lampen von Halogen auf LED umgestellt haben, ließen sich EU-weit 9,4 Terrawattstunden Strom pro Jahr einsparen, was dem jährlichen Energieverbrauch Estlands entspricht. Von den Effizienzwundern profitiert neben dem Geldbeutel also auch das Klima: Pro Jahr ersparen die Leuchtdioden 3,4 Millionen Tonnen des Klimagases CO2 – das Doppelte der gesamten jährlichen CO2-Emissionen Maltas. Zudem enthalten sie kein giftiges Quecksilber wie die inzwischen verbotenen Energiesparlampen.

Lichtversuch in der Ameisenbergschule

Alles keine Argumente für die SWR-Marktchecker. Ein Beleuchtungsexperiment in einer Schule soll das LED-Unheil beweisen. "Es geht um unsere Gesundheit, um Verhalten, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden", führt der Off-Ton die Zuschauer in den Versuch an der Stuttgarter Ameisenbergschule ein. Der Ablauf: Eine Woche lang lernen Zweitklässler unter LED-Beleuchtung. Jalousien verdunkeln das Klassenzimmer. In der Folgewoche sitzen die Grundschüler unter Halogenlampen im Unterricht. Versteckte Kameras dokumentieren ihr Verhalten.

"Wir rechnen damit, Unterschiede zu finden. Da Vorstudien zeigen, dass es Effekte gibt", erläutert Experimentleiter Dr. Uwe Geier, der den Zuschauern als "Lichtexperte, der zur Wirkung von Licht forscht" vorgestellt wird. Dann startet das Experiment, in dem die knapp 20 Schüler möglichst "Aufgaben von gleichem Schwierigkeitsgrad" in den Disziplinen Rechnen, Rechtschreibung und Nacherzählung unter wechselnden Lichtverhältnissen zu lösen haben.

Erste Zweifel säen die Folgeszenen, in denen Lichtexperte Geier seine Forschungsmotive erläutert. Denn die sind rein privater Natur: "Ich hatte eine Art Kopfschmerzen und Druck. Ich hab mich darunter nicht wohl gefühlt", schildert Geiers Tochter Alexia in der Reportage ihre Beschwerden. Zuvor hatte ihre Schule die Beleuchtung auf LEDs umgestellt. "Da dachte ich mir, es muss auf Menschen und Kinder wirken. Jetzt machst Du mal ein Experiment", begründet Vater Uwe seinen Forscherdrang, dem er mit ersten Beleuchtungsversuchen an drei Privatschulen freien Lauf ließ.

Im Netz finden sich die Versuchsergebnisse auf dem Portal "Research on Steiner Education". RoSE, so das Kürzel, ist nach eigener Darstellung eine zweisprachige Online-Fachzeitschrift mit dem Ziel, "die theoretische und praktische Entwicklung der Steiner-Waldorfpädagogik auf eine Weise zu fördern, die für unsere heutige globalisierende Welt relevant ist". Es ist also ein Informationsportal für Anthroposophen. Autor Geier wird darin auch nicht als Lichtforscher, sondern als Mitarbeiter von "Forschungsring e.V." geführt. Der Verein mit Sitz in Darmstadt soll laut Satzung "Fragen zu landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf der Grundlage von Rudolf Steiners erweiterter Natur- und Menschenerkenntnis" erforschen. Geier, studierter Agraringenieur, ist sein Geschäftsführer.

Schöner malen unter Halogen?

Laut Abstract lieferten Geiers Beleuchtungsversuche, die die anthroposophennahe Stiftung der Darmstädter Software AG sponserte, kein einheitliches Ergebnis. Während in den Disziplinen Wachsamkeit und Konzentration keine Unterschiede festzustellen waren, sei die Gedächtnis- und Kreativitätsleistung der Schüler durch LED-Beleuchtung reduziert worden, fasst der Autor zusammen. Wer die 16-seitige Publikation studiert, stößt auf Erstaunliches. So schnitten Schüler unter LED-Licht in einigen Prüfdisziplinen deutlich besser ab – je weiter weg sie im Klassenzimmer von Fenstern saßen. Die größten Leistungsunterschiede wurden in einer typischen Waldorf-Disziplin festgestellt: beim "freien Zeichnen" malten die Schüler unter Halogen-Licht deutlich besser, urteilte ein Bildinterpretator.

Auch das Schulexperiment in der SWR-Reportage verwirrt am Ende mehr als dass es aufklärt – wegen widersprüchlicher Aussagen zwischen Off- und O-Tönen. So verkündet der Off-Sprecher, dass sich das jeweilige Licht etwa bei den Diktaten bemerkbar gemacht habe. "Bei den Diktaten gab es zwar Unterschiede, die aber statistisch nicht signifikant waren", betont dagegen Versuchsleiter Geier. Aus dem Off heißt es dennoch, dass die Kinder "im Durchschnitt 20 Prozent weniger Fehler unter Halogen-Licht" gemacht hätten. Laut Geier gab es signifikante Unterschiede nur beim Gedächtnistest, bei dem Halogen besser abschnitt. Dagegen sagt der Off-Sprecher: "Bei allen Tests hat sich gezeigt: Unter LED-Licht waren die Leistungen der Kinder regelmäßig schlechter als unter Halogen." Als Kontext bei Uwe Geier wegen dieser Widersprüche nachfragt, distanziert sich dieser deutlich von dem Beitrag. "Der SWR wollte, dass alles ganz schnell abgedreht ist", sagt er in einem Telefonat.

Weitere Recherchen ergeben, dass "Lichtexperte" Geier auch kein objektiver Forscher ist. So betreibt er das Internet-Portal Lichtfragen.info, das Unterschriften gegen ein "LED-Monopol" durch die EU-Ökodesign-Richtlinie sammelt. "Wir wollen das Thema Licht an die Menschen so ranbringen, dass klar wird, welche Brisanz darin liegt", erklärt Lichtfragen-Mitstreiterin Ulrike Wendt in der Reportage. Die Politik vernachlässige die gesundheitlichen Auswirkungen von LED-Licht, behauptet sie. Welche Kompetenz die Mitstreiterin aus Apolda mitbringt, erfährt der Zuschauer nicht. Google hilft weiter: Frau Wendt ist Eurythmistin sowie Seminar- und Projektleiterin in der anthroposophischen "Gesellschaft für Bildekräfteforschung".

Lichtexperten mit esoterischem Kompass

Keine Ahnung, was Bildekräfte sind? Es sind "gestaltbildende bzw. gestaltverwandelnde (metamorphosierende) ätherische Universalkräfte, in denen und durch die die höheren Hierarchien bis hinauf zu den erhabenen Tierkreiswesen gestaltend wirken", erklärt sie das "Anthro-Wiki"-Portal. Ihre Erforschung beruhe nicht nur auf sinnlichen Beobachtungen, sondern erfordere eine "gezielte geistige Schulung, durch die erst entsprechende übersinnliche Wahrnehmungsorgane ausgebildet werden müssen". Dies sei prinzipiell jedem Menschen "mit etwas Geduld und Ausdauer möglich". Und mit ausreichend Geld: Den passenden Lehrgang "Wahrnehmen und Forschen im Übersinnlichen" über 26 Stunden bietet Wendts Verein für 2000 Euro an.

Warum verschweigen die "Marktchecker" das anthroposophische Weltbild der aufgebotenen Lichtexperten? Warum suggerieren sie Wissenschaftlichkeit, wo esoterische Maßstäbe angelegt werden? Das wollte Kontext vom SWR wissen. Zumal erst vor Kurzem ein wohlwollender TV-Beitrag des Senders über das 100-Jahr-Jubiläum der Waldorf-Schulen hohe Wellen schlug. Erst nach kritischen Medienberichten hatte der SWR die Nähe von Filmautorin Esther Saoub zur Waldorf-Bewegung öffentlich gemacht.

In einer ausführlichen Mail windet sich eine SWR-Sprecherin um eine klare Antwort. Sie verweist auf Vorträge, die Geier bei Fachtagungen gehalten habe. Den Vorwurf, der Film verbreite Widersprüchliches, weist sie zurück. Die Auswirkungen von LED auf Lernverhalten und Konzentrationsvermögen von Kindern seien ein interessanter Aspekt, zu dem es bislang noch keine wissenschaftlichen Studien gebe und der auch in der Öffentlichkeit noch keine Beachtung finde. "Wir freuen uns, wenn wir hier zum gesellschaftlichen Diskurs anregen konnten", so die SWR-Sprecherin. Als öffentlich-rechtliches Verbrauchermagazin verstehe man seinen Auftrag in der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themenstellungen. "Dabei legen wir großen Wert auf die Einhaltung der journalistischen Grundsätze und Sorgfaltspflichten."

Zweifel an Versuchsanordnung und an Ergebnissen

Kontext hat Jens-Holger Lorenz, emeritierter Mathematik-Professor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, um Bewertung von Sendung und Geier-Studie gebeten. Aus Sicht des empirischen Sozialwisssenschaftlers leide das Lichtexperiment unter der viel zu kleinen Stichprobe und zu kurzen Dauer, um Repräsentativität beanspruchen zu können, antwortet er. In der Studie sei die Vergleichbarkeit der untersuchten Gruppen ebenso fraglich. Die Ergebnisse seien zu heterogen, um ein abschließendes Fazit zu rechtfertigen. "Sprechen die Ergebnisse nicht eher dafür, dass die Schüler im Laufe des Schuljahres vom Fensterplatz zur Wand und wieder zurück rotieren müssten, damit alle mal in den Genuss des Sonnenlichts gelangen?", fragt er schmunzelnd.

Solche Überlegungen hielten den SWR nicht davon ab, die anthroposophischen LED-Gegner im vergangenen Frühjahr nach Brüssel zu begleiten. Dort wollten Geier und Wendt 24 500 Unterschriften an den damaligen Energie-Kommissar Miguel Arias Cañete überreichen. Unterschriften "von Menschen, die wegen der scharfen EU-Gesetzgebung um ihre Gesundheit fürchten", wie es in der Reportage heißt.

Doch die beiden mussten unverrichteter Dinge abziehen. Als gesetzgebende Behörde nehme man keine Kommentare von Interessengruppen an, die der EU ihre Agenda aufzwingen wollen, verweigerte Kommission-Sprecherin Anna-Kaisa Itkonen die Annahme. Eine Studie im Auftrag der Kommission habe zudem ergeben, dass LED-Licht bei normalem Gebrauch keine gesundheitlichen Auswirkungen hat, ergänzte sie. Man beobachte die Entwicklung dieser noch neuen Lichttechnik sehr genau. So bieten die Hersteller inzwischen auch warmweiße und sogenannte Amber-LED-Leuchten an, deren Blaulichtanteil deutlich geringer als bei kaltweißen LEDs ist.

Auch der SWR hat offenbar inzwischen erkannt, auf welch tönernen Füßen das LED-Experiment an der Stuttgarter Ameisenbergschule steht. Im Begleittext zur Sendung ist es mit keinem Wort erwähnt.


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7 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 18.12.2019
    Antworten
    Eine sehr interessanter Artikel über esoterische Netzwerke. Allerdings ist auch das Statement der EU-Kommissionssprecherin entlarvend.

    "Als gesetzgebende Behörde nehme man keine Kommentare von Interessengruppen an, die der EU ihre Agenda aufzwingen wollen...".
    Das tönt durchaus feudalistisch,…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 12 Stunden
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