Das Problem pflanzt sich fort. Begegnet man ihnen persönlich, erscheinen zumindest die jungen Akteure der alten Medien nicht weniger cool und selbstbewusst als ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich über die neuen Kanäle artikulieren. Innerhalb der Redaktionen aber sieht es erschreckend anders aus. Wo man hinschaut, nichts als Sachzwänge und Denkzwänge. Weil auch Papierzeitungen längst digital hergestellt werden, sind Setzer, Drucker, Layouter und Korrektoren aus dem Produktionsprozess geflogen. Den erledigt jetzt das schreibende Personal, und weil auch an dem streng herumgespart wird, erledigt es ihn nicht nebenbei, sondern umgekehrt: Nachdenken, Recherchieren und Schreiben sind zu bloßen Nebentätigkeiten geworden. Schindet einer doch einmal ein paar Stunden (de facto: Überstunden) dafür heraus, hütet er sich, mit seinem – seinem – Denken und Schreiben anzuecken. Er ahnt, oder er fürchtet zumindest: Die Kollektive, also die Redaktionen, die Peergroups und natürlich die Chefetagen lesen schon mit, bevor die erste Zeile formuliert ist.
Kein Vergnügen
"Alle einigen sich auf eine Interpretation, und der, der ihr nicht folgt, ist entweder ein Radikaler oder ein Verrückter." Sagt nicht irgendein Radikaler oder Verrückter, sondern Klaus-Dieter Frankenberger von der FAZ.
Wer immerfort am Konsens klebt, höhlt ihn aus.
Hallo Leser, noch da? Ja? Danke, es gibt sie also noch, die guten alten Zeitungsleser! Das Problem ist: Leser werden entweder selbst Teil des Mainstreams, eben durchs Lesen. Oder aber, sie erwarten trotz aller Gewöhnung mehr, wollen überrascht werden, wollen, dass auch mal Kante gezeigt wird, dass Ausbrüche stattfinden aus dem braven Konsens. Nützt ihnen aber nichts. Denn sie dienen, ob sie wollen oder nicht, dem Mainstream auch noch als Legitimation. Leserfreundlich schreiben!, heißt die Devise – und es ist eine miserable Devise. Denn sie nimmt die Leser gerade nicht ernst, traut ihnen nichts zu, keine eigenen Denkprozesse, kein Urteilsvermögen und darum in Wahrheit auch: kein Vergnügen!
Das zaghafte Kleben am Mainstream wird die alten Medien nicht retten. Retten könnten sie Autoren, die sich dem Anpassungsdruck der eigenen Redaktionen widersetzen. An wen erinnern wir uns, wenn wir an große deutsche Publizisten denken? An Maximilian Harden, der sich im Untertanenklima des deutschen Kaiserreichs nicht scheute, den Monarchen persönlich in die Schranken zu fordern. An Karl Kraus – als die tonangebenden Geistesgrößen 1914 unisono den Krieg begrüßten, überzog er sie unnachgiebig mit seinen Wut- und Intelligenztiraden.
Weil die großen Zeitungen das nicht ertrugen, gründeten Harden wie Kraus kurzerhand eigene Blätter, "Die Zukunft" und "Die Fackel", die sie praktisch im Einmannbetrieb gestalteten. Sie, und nicht die heutigen Leitmedien, sind die Vorgänger der kritischen Blogger und Youtuber.
Last but not least: Tucholsky.
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Claus Blumstengel
am 07.07.2019