Unser Ansatz sind langfristige Recherchen, in der Hoffnung, dass LeserInnen diese Arbeit unterstützen. Wir recherchieren zum Beispiel über Ärzte, die auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie stehen, über TTIP, Geschäftemachereien mit Flüchtlingen oder Pflegeheime. Vor Kurzem haben wir auch das bis dato unbekannte Parteiprogramm der AfD geleakt. Diese Geschichten stellen wir Regionalzeitungen kostenlos zur Verfügung. Und wir stellen ein großes Interesse fest.
Erstaunlich. Der Trend geht doch eher in Richtung Boulevard.
Das stimmt, aber damit graben sich die Zeitungsverlage selbst das Wasser ab. Was erwarten denn die Leser? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie von ihren Zeitungen relevante Geschichten erwarten, die für ihr Leben wichtig sind. Leser wollen, dass sich Journalisten mit der Obrigkeit anlegen, sei's in der Politik, Wirtschaft oder Kirche. Das ist für mich auch das Herz des Journalismus. Wenn man glaubt, darauf verzichten zu können, macht man sich überflüssig. Die LeserInnen werden dann nicht mehr darauf vertrauen, dass sie ihrer Zeitung glauben können, und sie werden sie nicht mehr kaufen.
Diese Erkenntnis scheint in den Chefetagen der Verlage nicht mehrheitsfähig zu sein.
Das weiß ich nicht. Die Hoffnung, wenigstens mit Seichtem noch Geschäfte zu machen, führt jedenfalls mittelfristig in die Erfolglosigkeit. Gleichzeitig haben die Verlage aber auch ein sehr reales ökonomisches Problem. Die Auflagen brechen dramatisch ein, die Anzeigen ebenso. Ersteres ist vermutlich gelegentlich auch hausgemacht, weil es an inhaltlicher Qualität fehlt und man keine Angebote entwickelt hat für Leute, die Nachrichten auf dem Handy lesen wollen. Bei den Anzeigen spielt das Internet eine entscheidende Rolle. Dorthin wandert die Werbung ab. Dass die Verlage diese Entwicklung zu lange verpennt haben, ist aber auch wahr. Jetzt versuchen sie's mal mit einer ganzen oder mal mit einer halben Paywall. Viele Medienmanager agieren vor allem hilflos. Und Journalisten müssen sich zu jeder Zeit die Frage gefallen lassen, ob es nicht auch an ihnen liegt, dass die Leute immer weniger Zeitungen lesen. Anpassung ist jedenfalls kein Rezept.
Gehört die Zukunft dem gemeinnützigen Journalismus?
Davon sind wir weit entfernt. Unsere Redaktion ist ein erster Versuch auf diesem Weg, wie ihn auch Kontext eingeschlagen hat. In Deutschland ist das Bewusstsein, für etwas zu bezahlen, von dem auch andere etwas haben, noch unterentwickelt. Das gelingt allenfalls Organisationen wie Amnesty International oder Greenpeace. Leider sind auch die Taschen der Wohlhabenden in Deutschland, was unabhängigen Journalismus anbelangt, ziemlich zugenäht. Das ist in den USA völlig anders. Dort gibt es inzwischen rund einhundert gemeinnützige Recherchebüros, die von Hunderten von Millionären finanziert werden. In Deutschland kenne ich nur fünf Stiftungen, die solche Projekte wie uns unterstützen.
Das braucht noch einen langen Atem.
Wir haben ihn. Ich halte daran fest, dass ein Journalismus, der Missstände aufdeckt, notwendig ist. Im 19. Jahrhundert sind Menschen dafür gestorben, dass es Pressefreiheit gibt. Noch heute passiert das in Russland, in China, in Ländern Afrikas und Südamerikas. Wenn es keine unabhängigen Medien mehr gibt, nutzt das nur wenigen, unter anderem solchen Reichen, die ihr Vermögen in Steueroasen verstecken wollen. Ohne Journalisten wüssten wir nicht davon, und ohne diese Enthüllungsgeschichten würde die Politik nicht mal so tun, als ob sie etwas ändern will. Demokratie ohne freien und kritischen Journalismus funktioniert nicht. Es wäre schön, wenn wir das kapieren, bevor es zu spät ist.
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M. Aldinger
am 09.04.2016