Dennoch verlief die Verhandlung vor der 11. Zivilkammer des Landgerichts am 17. Oktober keineswegs nach Wunsch der Zeitung. In einer eigens einberufenen Krisenkonferenz wurden die Kollegen dahingehend informiert, dass man in dieser Instanz wohl nicht gewinnen werde. Wie das Bild tatsächlich war, das die StZ-Vertreter vor Gericht abgaben, wird sich bei der Urteilsverkündung zeigen.
+++ Update 4. 11. 2013, 13.00 Uhr:
Urteil des Landgerichts Stuttgart in der Sache Kommunikationsbüro Stuttgart 21/"Stuttgarter Zeitung":
Der Unterlassungsklage des S-21-Kommunikationsbüros wird stattgegeben. Die "Stuttgarter Zeitung" darf nicht mehr behaupten, dass der Bahn-Aufsichtsrat in der Sitzung am 18. September 2013 über eine verspätete Inbetriebnahme von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm im Jahr 2022 informiert wurde.
Laut Kammer ging es in dem Verfahren nicht darum, wann die beiden Projekte tatsächlich in Betrieb gehen.
+++ Wir berichten ausführlich in Kontext Nr. 136, online ab Mittwoch, 6. 11. 2013, 0 Uhr +++
Der von Kontext öffentlich gemachte und als "Zäsur im Umgang der Bahn mit kritischen Medienberichten" kommentierte Vorgang hat inzwischen auch die Kommunalpolitik beschäftigt. "Maulkorb für die Presse" überschrieb zwei Tage nach der Kontext-Veröffentlichung die Stuttgarter Gemeinderatsfraktion der Grünen eine Pressemitteilung und fragte darin, ob "nach Bäumen, Park und S-Bahn" nun auch "die Pressefreiheit S 21 geopfert werden" solle. Darüber berichtete die StZ genau so wenig wie über eine Sitzung des Ältestenrats des Stuttgarter Gemeinderats, in dem der Vorgang ebenfalls diskutiert wurde, und zwar ziemlich kontrovers.
Dafür aber aus gutem Grund: Schließlich wird das Kommunikationsbüro von einem Verein getragen, in dem die Stadt Stuttgart ebenso Mitglied ist, wie sie sich an den Kosten des Büros beteiligen muss. Über die Frage, ob es zum einen Aufgabe einer mit öffentlichen Geldern finanzierten Institution sein könne, die Berichterstattung der Medien gerichtlich einschränken zu lassen, und ob zum anderen die Stadt als Träger eingeweiht war, beharkten sich denn auch im Ältestenrat die Kombattanten aus Befürwortern und Gegnern des Bauprojekts. Erst recht, als Baubürgermeister und Projektbefürworter Matthias Hahn (SPD) einräumen musste, von der Klage gewusst zu haben, allerdings nicht davon, dass als Kläger der Verein auftritt. Hahn will angenommen haben, der Chef des Kommunikationsbüros, Wolfgang Dietrich, sei persönlich der Kläger.
Schadenfreude im Ältestenrat
Derweil ließen andere Projektbefürworter im Ältestenrat sogar Schadenfreude gegenüber der "Stuttgarter Zeitung" und insbesondere gegenüber dem Autor Jörg Nauke erkennen. Sätze wie "Das geschieht denen doch recht" und "Der Nauke gehört schon lang verklagt" sollen am Rande der Sitzung gefallen sein. Das nährt den in Journalistenkreisen zirkulierenden Verdacht, die Aktion des ohnehin umstrittenen Projektsprechers Dietrich ziele vor allem darauf ab, mit Nauke und Thomas Braun zwei projektkritische Journalisten in der StZ-Redaktion mundtot machen zu wollen. Denn auch ein Artikel von Braun, der zwei Tage nach Naukes Beitrag erschien, ist Teil der Klage. Darin hatte der Autor angemerkt, dass die Bahn in der bereits erwähnten Aufsichtsratsvorlage zwar eine von ihr in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage vom Februar 2013 erwähnt hatte, derzufolge die Zustimmung zu dem Projekt bei 67 Prozent liege, nicht jedoch die wesentlich aktuellere Bürgerumfrage der Stadt Stuttgart, in der eine knappe Mehrheit gegen S 21 war.
Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Stuttgarter Gemeinderat, wo die S-21-Befürworter in der Überzahl sind, und angesichts der Stimmung im Ältestenrat ist verständlich, dass sich Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) auf Anfrage von Kontext "zu dem Vorgang nicht äußert". Dass aber die "Stuttgarter Zeitung" und ihr Schwesterblatt "Stuttgarter Nachrichten" (StN) weiter schweigen, verwundert zumindest. Apartes Detail am Rande: Bei der Verhandlung vor dem Landgericht war auch ein StN-Gerichtsreporter anwesend – ohne bis dato eine Zeile darüber veröffentlicht zu haben.
Das dürfte der Konzernraison geschuldet sein, denn beklagt waren die beiden StZ-Geschäftsführer Martin Jaschke und Alexander Paasch, die innerhalb der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) in Personalunion auch die Chefs der StN sind. Die beiden hatten sich vor Gericht vertreten lassen von StZ-Lokalchef Holger Gayer und dem Hausjuristen der ebenfalls zum Konzern gehörenden "Süddeutschen Zeitung" (SZ) in München. Dass sich der in Stuttgart-Möhringen ansässige drittgrößte Medienkonzern Deutschlands in solchen Fällen keine hiesigen Anwälte mehr leistet, gehört übrigens zu den zahlreichen Sparmaßnahmen, von denen vor allem die beiden Stuttgarter Blätter seit Ende 2007 betroffen sind. Damals kauften die Stuttgarter gut 60 Prozent der SZ-Anteile und sind seither hoch verschuldet.
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Edelseele
am 07.11.2013