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Fred Uhlman

Ein scharfer Beobachter

Fred Uhlman: Ein scharfer Beobachter
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Nur wenig hat sich Stuttgart bislang für Fred Uhlman interessiert. Nun zeigt die Staatsgalerie erstmals Zeichnungen, die ihr der jüdische Maler bereits 1950 geschenkt hat. Das Theater Lokstoff inszeniert dessen bekannteste Erzählung. Beeindruckend ist auch Uhlmans Autobiografie.

"Wenn Sie Uhlmännle sehen, sagen Sie ihm, dass es in Paris jetzt sehr schön ist", ließ Gottlob Dill, Richter und seit Kurzem stellvertretender Polizeikommissar Württembergs, am 23. März 1933 Fred Uhlman ausrichten. "Sagen Sie ihm: jetzt." Uhlmännle verstand: "Ich packte ein paar Habseligkeiten zusammen, besorgte etwas Geld und ohne dass ich mich von meinen Eltern verabschieden konnte, setzte ich mich in meinen Wagen und verschwand. So verließ ich mein Land und die Stadt, in der ich geboren wurde und zweiunddreißig Jahre meines Lebens verbracht hatte."

Bis dahin war Uhlman Rechtsanwalt gewesen. In seiner Kanzlei hatte vor der Reichstagswahl am 5. März 1933 die SPD-Führung getagt. "Gewerkschaftler, Abgeordnete und der Parteisekretär schliefen auf dem Boden, auf Stühlen und auf meinem Sofa. Die meisten von uns waren bewaffnet." Es half nichts: "Die Schlacht war sowieso verloren." Uhlman war ein enger Bekannter des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher. "Ich traf ihn jeden Tag im Schlossgartencafé, zusammen mit meinem Freund Fritz Bauer" – dem späteren Generalstaatsanwalt und "Nazi-Jäger".

Mit dem SPD-Vorsitzenden, so Uhlman, konnte man nicht wirklich befreundet sein. "Schumacher war einer der besten Redner in Deutschland", schreibt er, "und konnte wie Goebbels und Hitler eine tausendköpfige Menge in Erregung versetzen." Er brannte für die Politik. "Er hatte ein Gesicht wie ein verschrumpelter Apfel, Lippen so dünn als wären sie mit einer Rasierklinge in sein Gesicht geschnitten worden und eiskalte grüne Augen. Man spürte seine Willenskraft und seinen unbedingten Glauben an die absolute Richtigkeit seiner Sache."

Duelle und Saufgelage bei der Burschenschaft

Uhlman war sich da weit weniger sicher. "Verglichen mit ihm war ich ein schwacher und unentschlossener Mensch", bekennt er. "Für mich war Politik nur ein Teil des Lebens, ein zwar notwendiger, aber ziemlich unangenehmer Teil." Zielstrebig war er niemals gewesen, dafür aber umso sensibler. Als es an die Berufswahl ging, hatte er zunächst "nur die ungefähre Vorstellung, dass ich eines Tages ein Dichter oder ein Theaterschriftsteller werden würde." Eine solche brotlose Kunst kam für seinen Vater, Textilhändler, überhaupt nicht in Frage. Er entschied, der Sohn solle Zahnarzt werden.

Uhlman beginnt in Freiburg zu studieren und tritt in die jüdische Burschenschaft "Ghibellinia" ein. Er sucht Anschluss. Mit den Zionisten will er nichts zu tun haben, und andere studentische Verbindungen lehnen Juden ab. Uhlmans Beschreibungen der Duelle und Saufgelage lassen nichts zu wünschen übrig – was Seltenheitswert hat, da so etwas normalerweise nicht nach außen dringt. Über jüdische Burschenschaften schreibt er: "Der einzige Grund für ihre Exzesse als Studenten war, den Nichtjuden zu beweisen, dass sie genauso schlecht, dumm und betrunken wie die Schlimmsten unter ihnen sein konnten!"

Ist die Burschenschaft ein zweifelhaftes Vergnügen, so entpuppt sich seine erste Anatomiestunde als Horrorkabinett. Nachdem er gesagt hat, er studiere Zahnmedizin, öffnet ein Mann eine Kiste. "Darin hingen an Fleischerhaken ein Dutzend oder mehr menschliche Köpfe." Er begibt sich in die Vorlesung und: "Wohin ich auch sah, entdeckte ich mit Fleisch bedeckte Platten, das von Studenten aufgeschnitten wurde. Zwei Männer schoben einen Wagen mit einem halben Dutzend weiblichen und männlichen Körpern herein (mir wurde erzählt, dass es aufgrund der Ruhrkämpfe keinen Mangel an Leichen gab)."

Uhlman gibt auf. Seinem Vater, der beinahe ausrastet, teilt er mit, er wolle lieber Kunstgeschichte studieren. Der hört sich eine Woche lang um und erklärt ihm dann, davon könne man nicht leben. Er stellt den Sohn vor ein Ultimatum: Entweder er tritt in sein Geschäft ein oder er studiert Jura. So wird Uhlman Rechtsanwalt. Ein erfolgreicher Anwalt, der ein eigenes Auto besitzt und seine Umgebung genau beobachtet.

Richter haben den Nazis zur Macht verholfen

"Meines Wissens hat man sich nie richtig klar gemacht, welche wichtige Rolle viele Richter dabei gespielt haben, den Nazis zur Macht zu verhelfen", schreibt er. "Fast alle Richter standen politisch rechts. Einige von ihnen waren Mitglieder der NSDAP, hielten es aber geheim, bis Hitler fest im Sattel saß." Einer von ihnen verhilft ihm dennoch zur Flucht, wie eingangs beschrieben.

Uhlmans Autobiografie gehört zum Lesenswertesten, was über die Weimarer Republik im deutschen Südwesten geschrieben wurde. Denn ansonsten scheinen dem Land Schillers und Hölderlins zu jener Zeit, Hermann Hesse ausgenommen, die Literaten abhanden gekommen zu sein. So scharfe Beobachtungen und prononcierte Formulierungen wie bei Uhlman finden sich jedenfalls so kein zweites Mal wieder.

"The Making of an Englishman" hieß 1960 das englische Original. Ein Exemplar widmete Uhlman "Der Stadt Stuttgart. Trotz allem." Doch es dauerte 32 Jahre, bis das Stadtarchiv unter dem Titel "Erinnerungen eines Stuttgarter Juden" eine deutsche Übersetzung herausgab. Der Autor hatte mittlerweile einige Berühmtheit erlangt. 1971 hatte er unter dem Titel "Reunion" eine Novelle veröffentlicht, deutsch "Mit neuem Namen" oder "Der wiedergefundene Freund", die in der Verfilmung des amerikanischen Regisseurs Jerry Schatzberg 1989 in Cannes zur Goldenen Palme nominiert worden war.

Aber ach – es ist ein seltsamer Kontrast: Wo Uhlman in seiner Autobiografie die realen Verhältnisse scharfzüngig aufs Korn nimmt und damit über das eigene Leben hinaus ein gutes Stück Zeitgeschichte vermittelt, entpuppt sich die Novelle als reiner Tagtraum. "Er trat im Januar 1932 in mein Leben": So beginnt der Text, den nun das Theater Lokstoff in einer szenischen Lesung mit Film, Tanz und Musik in der U-Bahn-Station Rathaus vorträgt. Fast wie eine Liebesgeschichte.

Fast wie eine Liebesgeschichte

"Er", das ist Konradin Graf von Hohenfels. Er heißt nicht von ungefähr Konradin wie der letzte Staufer:  Einer seiner Vorfahren ist bereits 1190 beim Versuch ums Leben gekommen, Friedrich Barbarossa auf dem Kreuzzug vorm Ertrinken zu retten. Konradin befreundet sich mit dem Ich-Erzähler Hans Schwarz, Sohn eines jüdischen Arztes. In der Lokstoff-Aufführung streifen Darwin Diaz und Daniel Medeiros zunächst im Film durch den Schlossgarten im Wechsel mit historischen Filmaufnahmen aus der Zeit vor dem Krieg, aus der Innenstadt und von der Reichsgartenschau am Killesberg.

Irgendwann heißt es: Bitte umdrehen! Und nun treten die Tänzer lebendig vor ihr Publikum, auf derselben und auf der anderen Seite der Stadtbahngleise. Musik und Tanz unterstreichen die emotionale Dimension des Geschehens. Hans und Konradin sind sich jeweils der einzige Freund. Doch dann schiebt sich wie ein drohendes Unwetter die Nazizeit dazwischen. Hans muss emigrieren, Konradin lässt sich vom Charisma Adolf Hitlers betören. Jahrzehnte später stellt Hans jedoch fest, dass er am Attentat auf Hitler beteiligt war und hingerichtet wurde.

Für das Theater Lokstoff war der Anlass, die Erzählung aus der Versenkung zu holen, das vergangene Hölderlin-Jahr. "Wenn wir auf den Hölderlin-Turm, den Ort seiner milden Verwahrung, niederblickten", heißt es bei Uhlman, "zitierten wir unser Lieblingsgedicht: Mit gelben Birnen hänget/ und voll mit wilden Rosen/ das Land in den See …". Uhlman selbst hat die Geschichte geschrieben, als er feststellte, dass die Stauffenberg-Brüder auf dieselbe Schule gegangen waren wie er – unverkennbar das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium.

Es ist ein Tagtraum, ein Sommermärchen von Gleichberechtigung, Freundschaft und Versöhnung der höchsten deutschen Adelskreise mit den Juden. Die Realität sah anders aus. Für Uhlman so: Nach mehreren missglückten Anläufen sich durchzuschlagen – als Anwalt konnte er in Paris nicht arbeiten –, beginnt er zu malen auf Anregung seines Vetters, des Künstlers Paul Elsas. Im spanischen Tossa de Mar, bei dem aus Stuttgart emigrierten Maler Oskar Zügel, lernt er seine spätere Frau Diana Croft kennen.

Keine gute Partie für die adlige Tochter

Diana ist die Tochter von Sir Henry Page Croft: ein konservativer Parlamentsabgeordneter, von altem Adel. Er missbilligt die Liaison seiner Tochter – nicht etwa, weil Uhlman Jude ist, sondern weil ein dahergelaufener Kunstmaler nicht die richtige Partie für sein Töchterlein sei. Diana setzt jedoch ihren Willen durch, nur als es soweit ist, dass sie von Uhlman ein Kind erwartet, beginnt der Krieg. Ihr Mann muss wie alle Deutschen, auch wenn sie Juden sind, ins Internierungslager.

Uhlman ist deprimiert. Zwar trifft er auf eine bunte Mischung interessanter Persönlichkeiten, allen voran der Dadaist Kurt Schwitters, der ein durchaus gelungenes, realistisches Porträt von ihm anfertigt. Aber er vermisst seine Familie. Davon sprechen seine Zeichnungen. Es sind düstere Blätter: Totentänze, Schädelhaufen, Priester, die mit ihren Soutanen wie Fledermäuse vom Boden abheben, Erhängte, Gekreuzigte, Geier. Den einzigen Kontrast bildet hie und da ein kleines Kind. Es steht für seine Tochter, die er nicht sehen kann.

Schon 1948 kommt Uhlman zum ersten Mal nach Stuttgart zurück. Er beschreibt dies in seiner Autobiografie: "Die Stadt war wie 'ein großer Friedhof im Mondenschein', ich selbst ein Geist unter Geistern." Bei dieser Gelegenheit muss er Theodor Musper kennengelernt haben, den Direktor der Staatsgalerie. Zwei Jahre später schenkt er dem Museum 38 Blätter aus dem Internierungslager. Sie sind nun, 71 Jahre später, zum allerersten Mal ausgestellt.
 

Info:
Die Autobiografie "Fred Uhlman: Die Erinnerungen eines Stuttgarter Juden" ist 1992 erschienen, herausgegeben vom Stadtarchiv Stuttgart. Die Ausstellung "Trotz allem: Fred Uhlmann – ein jüdisches Schicksal" im Graphik-Kabinett der Staatsgalerie läuft bis zum 24. Oktober. Weitere Lesungen von "Der wiedergefundene Freund" plant das Theater Lokstoff im September.


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