Laurenz Theinert macht seit zwanzig Jahren Urlaub in einem Schloss in Frankreich. Nicht allein, sondern in Gruppen zu zwanzig Personen. Ein Schloss? "Eher auf Jugendherbergsniveau", präzisiert er. Er hat festgestellt, dass sich Gruppen in dieser Größenordnung sehr gut selbst organisieren. Dies war einer der Gründe, warum er vor ungefähr fünf Jahren angefangen hat, mit seinen ReisebegleiterInnen aus Stuttgart nach einem Objekt zu suchen, um dauerhaft zusammenzuziehen. "Kommünle" nannten sie sich, eine Baugemeinschaft in spe. Die aber jahrelang nicht fündig wurde. Grundstücke in Stuttgart sind rar und teuer.
Im November besuchten einige von ihnen und Mitglieder von zwei weiteren Wohnprojekten, die sich "Zauberwürfel" und "Wohngut" nennen, einen Vortrag von Andreas Hofer, dem Intendanten der Internationalen Bauausstellung StadtRegion Stuttgart 2027 (IBA '27). Der riet, größer zu denken. Bei weniger als 80 Wohnungen sei es schwierig, preisgünstig zu bauen. Wohngut, Zauberwürfel und Kommünle schlossen sich zusammen. Sie nennen sich nun "Neuer Norden". Denn ihr Wunschareal für das zukünftige Zusammenleben ist der Innere Nordbahnhof, bei der Wagenhalle.
Wohnraum teilen für mehr Platz
Wir treffen uns an der Architekturgalerie am Weißenhof. Neben Theinert sind zwei Architektinnen gekommen: Ines Ketterer von der Gruppe "Paradiso", die inzwischen auch mit an Bord ist, von der Gruppe Wohngut Katja Bürmann und Florian Hassler, beruflich unter anderem Mitbegründer eines Startups, das digitale Dienste für Urban Farming, also städtische Lebensmittelerzeugung anbietet. In der Weißenhofgalerie hat vor kurzem mit achtwöchiger Verspätung eine Ausstellung eröffnet, in der es um ein ähnliches, aber bereits realisiertes Wohnprojekt geht: das Spreefeld in Berlin. Der Titel: Die Clusterwohnung – bauen und leben im Kollektiv.
Die Problemstellung hat Anja Abele von der Gruppe Zauberwürfel bei einem Treffen im Januar folgendermaßen umrissen: 51 Prozent der Wohnungen in Stuttgart sind Single-Haushalte. Aber sie beanspruchen zwei Drittel der Flächen. Denn es gibt fast nur Dreizimmerwohnungen, und die wenigen kleineren sind in der Regel mindestens ebenso teuer. Hier setzt das Konzept der Clusterwohnungen an, für das sich das Projekt Neuer Norden interessiert: Singles, Paare und Familien haben Schlafräume und Bad jeweils für sich, teilen sich aber mit den anderen Küche und Wohnzimmer. Die Clusterwohnungen im Spreefeld sind zwischen 580 und 705 Quadratmeter groß.
Angelika Drescher weiß wie es ist, zu zwanzigst zusammenzuleben. Die Architektin, die mit Christian Schöningh das Büro "Die Zusammenarbeiter" leitet, hat das Spreefeld als Projektsteuerin auf den Weg gebracht und lebt nun mit 14 Erwachsenen und sechs Kindern in einer Clusterwohnung. Insbesondere für Eltern ist alles viel einfacher, denn es kommt eigentlich nicht vor, dass man sein Kind irgendwo anders abgeben muss, wenn man zu tun hat oder auch nur ausgehen will: Es ist immer jemand da. Und es ist auch für die Kinder völlig unproblematisch: Sie sind ja schon zu Haus. Und es sind auch immer andere Kinder da.
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