Kontext hat schon vor drei Jahren darauf hingewiesen, doch es ist ein Kampf mit Windmühlenflügeln. Jetzt in der Corona-Krise tritt der ganze Wahnsinn der auf "schwarze Zahlen" fixierten Wohnungs- und Krankenhauspolitik der Stadt Stuttgart offen zutage. Dringend werden am Klinikum MitarbeiterInnen gesucht, das war schon vor Corona so. Aber Pflege- und Hilfskräfte finden auf dem freien Markt keine für sie bezahlbare Wohnung. Bis 2004 standen dem Klinikum für diesen Fall 1.590 Personalwohnungen zur Verfügung. Doch die wurden vor drei Jahren an die städtische Wohnungsgesellschaft SWSG verkauft. Nun könnte die ihrer originären Aufgabe nachkommen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen oder wenigstens zu erhalten. Aber nein: Die SWSG reißt ab. Von den 1.590 Wohnungen soll nur noch die Hälfte bleiben.
"Viele haben gekündigt", sagt Milena Kretić, die seit langer Zeit als Reinigungskraft am Standort Bad Cannstatt des Klinikums arbeitet. Sie wohnt in einem der Häuser am Prießnitzweg, wenige Meter von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Kretić meint damit nicht, ihre Kolleginnen hätten ihre Apartments, Zimmer oder Wohnungen im Klinikums-Wohnheim gekündigt, weil sie eine neue Wohnung gefunden haben. Sie weichen vielmehr dem Druck, den das Klinikum und die SWSG auf sie ausüben, das Wohnheim zu verlassen. Und sie haben aus diesem Grund ihren Job am Klinikum gekündigt, denn sie müssen schließlich irgendwo leben. Ohne Wohnung geht es nicht.
Kretić wohnt im unteren der drei Blöcke gleich gegenüber dem Krankenhaus, 1974 erbaut und der einzige, der noch nicht geräumt ist. Sie gehört zu den wenigen, die einen Mietvertrag haben, denn alle, die später kamen, haben nur noch zeitlich befristete Nutzungsverträge erhalten. Was das bedeutet, zeigt der Fall einer Kollegin von Kretić, die nach einem Bericht in den "Stuttgarter Nachrichten" nun darauf hofft, dass ihr die SWSG doch noch wie versprochen eine Ersatzwohnung beschafft. Bisher hat sie nur zwei Adressen genannt bekommen, dort kamen jedoch andere Interessenten zum Zug. Ihre 19-jährige Tochter könne ja neben ihrer Ausbildung einen 450-Euro-Job machen, wurde ihr gesagt: um der Mutter eine teurere Wohnung zu ermöglichen. "Was soll ich machen?" fragt sie: "Sterben?"
Substanz in Ordnung, dennoch wird abgerissen
In dem noch bewohnten Gebäuderiegel, in dem Kretić und ihre Kollegin untergebracht sind, stehen momentan 14 Wohnungen leer. Das hat nicht viel zu sagen, denn es gibt eine hohe Fluktuation. Auszubildende und Kursteilnehmer müssen untergebracht werden. Auch an Angehörige von Patienten, die von weiter her kommen, wurden Zimmer vermietet, für 50 Euro pro Nacht.
1 Kommentar verfügbar
Michael Schenk
am 02.04.2020