Donnerstag, 2. April 2020
Unbeweglich sitzt Jonathan Delazer im Sessel. Man könnte das Video für ein Standbild halten, wie sie auf YouTube häufig zu finden sind, wenn es zur Musik keine bewegten Bilder gibt. Erst wenn man auf Vollbild umschaltet und sehr genau hinsieht, bemerkt man, dass sich der Plattenspieler dreht und sich der Brustkorb des Musikers fast unmerklich hebt und senkt. Delazers Film scheint wie ein Kommentar zur aktuellen Lage: Alle Auftritte sind abgesagt, Musiker sitzen zu Haus.
Die derzeitige Situation habe ihn "einige Gigs gekostet", sagt er. Von einer größeren Tour im Mai mit 12 bis 13 Konzerten wird mit Sicherheit nicht alles stattfinden, wenn überhaupt. "Die Verluste sind leider da", bedauert er aber langweilig wird ihm trotzdem nicht. "Es gibt viel zu tun", stellt der Musiker fest: "komponieren, Bücher lesen, soziale Kontakte über verschiedene Medien." Musik gibt es freilich einstweilen nur aus dem Lautsprecher.
Jonathan Delazer ist 2013 zum Musikstudium nach Stuttgart gekommen. Er wäre auch anderswohin gegangen. Aus dem Südtirol stammend, war "jede größere Stadt für mich wie New York". In New York ist er tatsächlich nach dem Studienabschluss als Jazzschlagzeuger gewesen und hat dort mit Größen der improvisierten Musik gespielt. Zuvor war er bereits Gründungsmitglied des Stuttgarter Kollektivs für aktuelle Musik (SKAM) und danach mit einem Erasmus-Stipendium in Riga, um nochmal ganz woanders hin zu kommen.
Die Schallplatte, die er in dem Video hört, ist seine eigene. "Uno duo" heißt das Projekt, weil er nämlich mit sich selbst im Duo spielt, Schlagzeug und Klarinette, und zwar nicht im Overdub-Verfahren, sondern alles auf einmal, live. Das Stück ist nicht notiert, aber auch nicht improvisiert. "Ich brauche das nicht aufzuschreiben", erklärt er, "Ich weiß ja, was ich spielen will, und ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis, ich kann mir das merken."
Die Komposition, die so gut passt auf die momentane Situation, entstand allerdings früher, als er einmal in einem Café saß – in Italien, als die Welt auch dort noch in normalen Bahnen verlief. "Die hochinteressanten Vorgänge zwischen dem Eintreten und Verlassen des Lokals sind zahlreich und musikalisch verwertbar: begrüßen, hinsetzen, warten, hören, bestellen, beobachten, Macchiato entgegennehmen, Tasse heben, nippen, Tasse senken, wiederholen, vielleicht zuckern, austrinken, wirken lassen, bezahlen, verabschieden." Der erste Teil des Titels "chiattoß.fizeau.galopp" versteht sich als Verballhornung von (Latte mac)chiato. Der zweite bezieht sich auf den Physiker Hippolyte Fizeau, der 1845 als erster die Sonne fotografierte. Dieses Bild ziert das Cover von Delazers Schallplatte (über dem Plattenspieler), die man unter jonathan.delazer--nospam@hotmail.com erwerben kann.
Spenden an den Musiker gerne via Paypall über unoduomusic@gmail.com.
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