Montag, 6. April 2020
Wenn Mechthild Hettich momentan in der Frühlingsonne spazieren geht, versucht sie die Leute anzulächeln. Weil derzeit so viele Menschen so geknickt herumlaufen würden und man ihnen an den Augen den Gedanken ablesen könne: "Oje, hoffentlich hat keiner gesehen, dass ich da jetzt nur 1,47 Meter Abstand gehalten habe." So ein Lächeln, sagt Mechthild Hettich, stecke zwar auch an, aber nicht mit einem Virus.
Die 57-Jährige ist Sängerin und Gesangslehrerin. "Dadamusik – Singen mit Seele" steht auf ihrer Homepage. Ihre Stimme ist ihr liebstes Instrument, weil sie die immer dabei hat. Und weil sie das Singen zwar liebt, aber noch nie gut gewesen sei im Nachsingen, hat sie sich verlagert auf die Stimmkunst. Den freien Ausdruck mit dem eigenen "Körperinstrument" Klangteppiche zu erzeugen und Geschichten zu erzählen. Mit einem Ton fängt sie an, dann improvisiert sie, wie bei der Performance "White Chilli Chok", die sie uns gesendet hat. "Das ist wie eine Sprache mit Lauten, die aus dem, Moment kommt. Da, wo es mich juckt und kitzelt, da reise ich mit meiner Stimme hin", sagt sie. Da klingt ein grauer Herbstmorgen auch schonmal wie "die letzten, gelben Blätter der Quitte vor dem dunklen Himmel", schrieb der Weser-Kurier in Bremen einmal in einem Portrait.
Ungewöhnlich ist ihre Kunst. Und fast ein wenig psychologisch. Vielen Menschen sei das Singen heutzutage ausgetrieben worden, sagt Hettich, was schade sei. "Du kannst nicht singen", ein oft gehörter und gesagter Satz, der dadurch auch nicht besser würde. Denn: "Jeder kann singen" – man braucht nur den Mut, nicht eine vorgegebene Norm erfüllen zu wollen und die eigene Stimme klingen zu lassen. "Zu merken, da ist Kraft dahinter, die aus einem selbst herauskommt, verändert das eigene Standing und das Selbstbewusstsein", sagt sie. Wer sich partout nicht traut, einfach mal loszuschmettern, dem empfiehlt sie zu saugen – denn ein Staubsauger sei ein super Begleitinstrument.
In normalen Zeiten macht die Stimmkünstlerin aus Stuttgart jeden Tag Musik mit echten Menschen. Ihren Stimmunterricht, den sie seit mehr als 20 Jahren gibt, kann sie trotz Corona weiterühren, "Einzelunterricht geht ja noch", sagt sie. Zusätzlich nimmt sie Audios auf für ihre SchülerInnen. Momentan versucht sie, sich nicht nur mit den neuesten Corona-News zu befassen, sie spielt viel Klavier, weil sie mehr Zeit hat. Mit Kolleginnen entwickelt sie ein neues Programm weiter. Und wenn sie doch mal der Corona-Blues einholt, dann beginnt sie zu summen, das helfe. "Denn wenn der Körper schwingt, erlebe ich mich ganz anders."
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