Da ist ein Flüstern und ein Beten zu hören, da ist nun auch, auf der Terrasse einer Kirche und hoch über der Stadt Lyon, ein Mann zu sehen. Ein Mann allein, aber in vollem Ornat. Es ist Kardinal Barbarin (François Marthouret), der ein Ritual vollzieht und das goldene Kreuz einer Monstranz in den Morgenhimmel hebt. Aber diese Sequenz, mit der François Ozon seinen Film "Gelobt sei Gott" eröffnet, wirkt nicht nur wie die Exekution einer Schutz- und Segensgeste, in ihr manifestiert sich auch ein Besitz- und Machtanspruch. Wir da oben, ihr da unten! Diese Stadt gehört der katholischen Kirche, sie ist die oberste Instanz, nach ihr und ihren Gesetzen hat sich alles zu richten. Das bürgerliche Leben zum Beispiel, so wie es der Banker Alexandre (Melvil Poupaud) mit seiner Frau und seinen fünf Kindern führt. Sehr ernst, sehr beherrscht, sehr gläubig. Und doch bringt dieser Alexandre einen Stein ins Rollen, der die Kirche in ihren Grundfesten erschüttern wird. Denn plötzlich, bei einer Messe, erkennt er jenen Priester wieder, der ihn damals, als Kind und Pfadfinder, missbraucht hat.
"Gelobt sei Gott" erzählt von einem Skandal, der nicht nur in Lyon und auch nicht nur in Frankreich Aufsehen erregte. Jahrelang konnte der pädophile Priester Bernard Preynat (Bernard Verley) sich ungehindert an Jungen vergehen. Gerüchten wurde nicht nachgegangen, Beschwerden wurden ignoriert, und als an den Vergehen nicht mehr zu zweifeln war, griff die Kirche zum "bewährten" Mittel der Versetzung. So steht Preynat nun, nach so vielen Jahren, vor dem erwachsenen Alexandre. Und der zuckt zusammen, was verschüttet war, kommt nun wieder hoch, er stürzt zurück in seine Kindheit und erlebt noch einmal, wie dieser Mann ihn ausgesucht und in sein Zelt geführt hat. "Er öffnete meinen Hosenschlitz", so schreibt Alexandre an die Kirche und an Kardinal Barbarin, die sich dieses Falls annehmen sollen. Denn Alexandre ist ja, wie gesagt, schwer katholisch. Er vertraut auf die Selbstreinigungskräfte dieser Institution.
Ein "Vater unser" und alles soll vergeben und vergessen sein
Der Film zitiert die relevanten Dokumente dieses Dramas immer wieder aus dem Off, also auch die Briefe und Mails, die Alexandre schreibt und die von der Kirche mit geheuchelter Anteilnahme und routiniertem Abwiegeln beantwortet werden. Als Alexandre auf der Weiterverfolgung des Falls besteht, arrangiert die Kirche in ihren Räumen und unter Aufsicht einer Moderatorin tatsächlich eine Begegnung mit Preynat, bei der dieser alles gesteht, sich jedoch selber als Opfer einer unglücklichen Veranlagung sieht. Und nun nötigt die Moderatorin den überrumpelten Alexandre zu einer Gebets- und Vergebungsszene, zu einem gemeinsamen "Vater unser" mit Händeanfassen. Eine ungeheure und beklemmende Szene, in der sich die ganze Unfähigkeit der Kirche zur innerbetrieblichen Aufarbeitung ihrer Verbrechen verdichtet. Nein, das geht schon längst über den Einzelfall Preynat hinaus. Dies wird eben doch eine Anklage gegen ein ganzes System, vorgetragen mit einem Furor, der sich nicht gängiger Genre-Mittel bedient, sondern sich aus der nur scheinbaren Nüchternheit des Faktischen speist.
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Gerald Fix
am 06.10.2019