KONTEXT:Wochenzeitung
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Der mit den Schlangen ringt

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Exklusiv in Kontext: das erste Foto vom S-21-Laokoon aus dem Atelier von Peter Lenk. Nur der Kopf fehlt, er bleibt noch geheim. Jetzt geht's um die Finanzierung. Ein Besuch beim Skandal-Bildhauer in Bodman, wo einem wieder mal das Lachen im Hals stecken bleibt.

Für Kontext steigt der Meister, inzwischen 71 Jahre alt, auf die Leiter. Er will den richtigen Blickwinkel festlegen für seine Skulptur, an der er seit einem Jahr arbeitet. Sie zeigt einen kämpfenden Laokoon. Auf dem Bild darf er aber nur ohne Kopf zu sehen sein, weil es noch streng geheim ist, wer hier mit den Schlangen ringt. So viel haben wir in Kontext schon enthüllt: Die Ungeheuer sind unschwer als ICE zu erkennen, und das Ganze soll <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft ein-denkmal-fuer-s-21-5566.html external-link-new-window>ein Denkmal für Stuttgart 21 werden. Für den "irren Tunneltrip durch Gipskeuper und Mineralbäder", wie der Künstler sagt.

Lenk wäre nicht Lenk, wenn er nicht versuchen würde, bis zuletzt zu verbergen, was er genau im Schilde führt. Immerhin: Bei seiner Privatführung durch das Bodmaner Atelier lässt er erkennen, wer alles aufs Korn genommen wird. Diverse Ministerpräsidenten, sozialdemokratische Spitzenpolitiker, unerbittliches Justizpersonal, bohrende Unternehmer und weihrauchschwingende Pfarrer. Ihre Namen bittet der Bildhauer (noch) zu verschweigen; die Erfahrung hat ihn gelehrt, so lange wie möglich Identitäten nicht preiszugeben, um sich vor Klagen zu schützen. 

Man schaute sich's an und lachte sich scheckig, wenn es nicht so bitter wäre. Lenk nennt sein Werk, an dem er bereits seit einem Jahr hingebungsvoll arbeitet, nicht von ungefähr "S 21 - Das Denkmal. Die Chronik einer grotesken Entgleisung". Und wer seine Plastiken und Reliefs kennt, weiß, dass die verantwortlichen Figuren sauber modelliert und jederzeit identifizierbar sind, was zum Beispiel Martin Walser veranlasst hat, seinen Friseur in Überlingen zu wechseln. Auf dem Weg zum Barbier steht der "Bodensee-Reiter", der ihn in gekrümmter Haltung auf dem Pferd zeigt, mit Schlittschuhen an den Füssen, und da wollte der Großdichter nicht mehr dran vorbei gehen.

Nun ist das eher eine kleine Episode verletzter Eitelkeit. Der Personen-Zug auf dem irren Tunneltrip ist eine andere Kategorie. Natürlich wegen der politischen Dimension, aber auch wegen der schieren Größe. Neun Meter hoch ragt die Skulptur, so hoch, dass man von unten nur noch vermuten kann, wer ganz oben schwebt. Es könnte ein Oberstaatsanwalt sein.

Ein Wahrzeichen wie die "Imperia" in Konstanz

Und jetzt ist die Frage: Wo soll das Denkmal stehen? Verkehrsexperte Winfried Wolf und seine Freunde von der S-21-Front hätten es gerne auf dem Stuttgarter Schlossplatz, dort, wo seit zehn Jahren demonstriert wird. Am vergangenen Montag war es das 447. Mal. Wolf meint, es könnte ein Wahrzeichen werden wie die Lenksche "Imperia", die an der Konstanzer Hafeneinfahrt grüßt und inzwischen zu den bekanntesten Statuen Deutschlands zählt. Das habe doch "ausgesprochen positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Tourismus", betont der Vetter von Justizminister Guido Wolf (CDU), wenn es zu einem "eindrucksvollen Kristallisationspunkt des öffentlichen Interesses" werde.

Die Stadtverwaltung, solchen Effekten sonst zugeneigt, reagiert eher kühl. Zum einen, sagt Rathaussprecher Sven Matis, sei die Kommune für den Schlossplatz nicht zuständig, weil Landesterrain, zum andern habe das Kulturamt "aktuell auch kein Geld", um neue Kunstwerke für den öffentlichen Raum anzuschaffen. Außerdem kenne seine Behörde die Arbeit nicht, da sich Herr Lenk beim Kulturamt nicht gemeldet und auch kein Angebot unterbreitet habe.

Über solche Ängstlichkeiten, womöglich vor trojanischen Pferden, freut sich der Anarcho vom Bodensee. Geld von der Stadt? Iwo. Er wünscht sich nur einen angemessenen Standort und ist begeistert, wenn er hört, dass sich Verkehrsminister Winfried Hermann einen Platz direkt vor dem Hauptbahnhof vorstellen kann. Das Geld beschaffen andere.

Winfried Wolf zum Beispiel. Dass er geübt ist im Spendensammeln, hat er zuletzt im September 2018 bewiesen, als er für eine Anzeige in der FAZ ("Stoppen Sie Stuttgart 21 jetzt") nicht nur 2800 Unterzeichner gefunden, sondern auch mehr als 50 000 Euro zusammen bekommen hat. Viele davon sind wieder dabei, vereint im Lenkschen Credo, den öffentlichen Raum nicht den Spießern zu überlassen. Unter ihnen Lenks Freund Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe, Vincent Klink von der Wielandshöhe, Christine Prayon von der "heute-show", der Regisseur Volker Lösch mit seinen S-21-Widerständlern Walter Sittler und Wolfgang Schorlau.

Sie werden wieder als Frontleute für eine Kampagne gebraucht, die diesmal mindestens 100 000 Euro erbringen soll, wobei die gesamten Kosten deutlich höher liegen. Dafür gibt es ein Denkmal beziehungsweise ein Mahnmal, das stets daran erinnern wird, wie unterirdisch Stuttgart 21 ist. Es werde, verspricht Lenk, in jedem Fall im Frühjahr 2020 fertig und aufgestellt – wo auch immer.


Info:

Auf der am heutigen Mittwoch freigeschalteten Website <link http: www.lenk-in-stuttgart.de external-link-new-window>www.lenk-in-stuttgart.de finden sich weitere Informationen zu der Spendenkampagne.


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6 Kommentare verfügbar

  • Bruno Neidhart
    am 14.01.2019
    Antworten
    Fraglich, ob dieses Werk eines schon das halbe Bodenseegebiet mit seinen regelmässig ziemlich unter der Gürtellinie aufgeladenen Abgüssen beglückenden (oder vermüllenden - je nach Sichtweise!) Figurenmachers eine Trostgabe für die Montagsmarschierer beinhalten soll. Beigefügt sei, dass sich die…
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