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Glück im Schatten

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Dieser Anime erzählt in sanften Tönen von O-Ei, der selbstbewussten Tochter des großen japanischen Künstlers. Sie hat ebenfalls gemalt und gezeichnet, blieb dabei immer im Schatten des Vaters und führte dennoch ein erfülltes Leben. "Miss Hokusai" begleitet einfach ein Leben und bewundert es, meint unser Filmkritiker.

Einmal nimmt O-Ei ihre jüngere und blinde Schwester mit auf eine Bootsfahrt, es geht Richtung Flussmündung. Die Kleine spürt Sonne und Wind und streckt eine Hand ins klare Nass, vom Meer her drücken nun Wellen herein, werden größer und höher, bis das schmale Gefährt eintaucht in die berühmteste aller Wellen, in die mit der vielfingrigen Gischt, in die mit dem Berg Fudschijama im Hintergrund, in die Welle von Kanagawa also, die der Künstler Hokusai (1760–1849) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf einem Holzschnitt festgehalten hat. Es ist das wohl berühmteste japanische Kunstwerk, in seinem durch Reproduktionen verbreiteten Bekanntheitsgrad nur noch vergleichbar mit Klimts Liebespaar, Hoppers "Nighthawks" oder der Mona Lisa.

Mit diesem Bild, das nun für einen Moment festfriert, erweist der Regisseur Keiichi Hara dem großen Meister seine Reverenz und führt diesem gleichzeitig dessen Tochter O-Ei zu, die mit ihrem Vater und für ihn gearbeitet hat. Eine historische Figur, über die aber nur wenig bekannt ist. Welchen Anteil sie am Werk ihres Vaters hat, ob sie "nur" als Zuarbeiterin tätig war oder auch selbstständig unter dessen Namen, bleibt Spekulation. Ein leerer Raum also, den der auf einem Manga basierende Anime "Miss Hokusai" als narrativen Freiraum nutzt. In der ersten Sequenz, in die anachronistisch eine E-Gitarre hineinkracht, geht die stolze Heldin im Kimono über die Ryogoku-Brücke der Hauptstadt Edo, dem späteren Tokio. Sie erzählt von ihrem Vater, diesem "verrückten Alten", der auf ein tennisplatzgroßes Papier ein Buddha-Porträt pinselt und dann zwei winzige Vögel auf ein Reiskorn. Nein, am Status des Genies Hokusai wird dieser Film nicht rütteln, aber zur Hagiografie wird er auch nicht.

Es ist eben O-Eis Film, es ist die nachzutragende, weil vergessene Geschichte einer Frau, die im Schatten ihres wortkarg-mürrischen und von seiner Kunst besessenen Vaters hockt. Aber sie beklagt sich nicht, sie ist mit ihm solidarisch, teilt mit ihm und seinem leichtsinnig-naiven und trinkfreudigen Schüler eine für japanische Verhältnisse verwahrloste Wohnung, in der es nur so wimmelt von verkrumpelten Papierskizzen. Diese störrische Frau mit den dicken, dunklen Augenbrauen kümmert sich auch nicht um Tuscheflecken im Gesicht, raucht manchmal Pfeife, geht gern mit ins Vergnügungsviertel. Als sie mal ihre Mutter in deren blitzblankem Haus besucht, fragt die besorgt, ob sie auch genug esse. Selbstbewusst erklärt O-Ei: "Wir sind Vater und Tochter, mit zwei Pinseln und vier Essstäbchen bringen wir uns immer irgendwie durch!" Bei Männern aber, die ihr gefallen könnten, wird die sonst wider alle Konventionen lebende O-Ei plötzlich schüchtern und unbeholfen.

"Frauen kann sie schon besser als ich, Männer zeichnet sie nie zu Ende", sagt Hokusai über seine Tochter, und das gilt auch für die erotischen Bilder. Es fehle ihr wohl an Sinnenfreude, überhaupt müsse sie noch viel lernen. Und was gesteht sie ihrem Vater? "Ich sage es nicht gern, aber du bist mir immer über." Anders als diese westlichen Künstlerinnen- und gescheiterten Emanzipationsgeschichten – sei es die von Zelda Fitzgerald, von Camille Claudel oder die von den Frauen um Bert Brecht herum – spitzt "Miss Hokusai" seine Erzählung nicht zu einem Aufbegehren oder einer bitteren Anklage männlichen Verschweigens zu. Dieser Film, in dem die Titelheldin mit einer Kurtisane auch die lesbische Liebe ausprobiert (mit nicht ganz befriedigendem Resultat) begleitet einfach ein Leben, das unter diesen Umständen nur als kühn zu bezeichnen ist – und bewundert es. Als Künstlerin mag die Tochter des großen Meisters hinter diesem zurückstehen, als Mensch nicht.

Hokusai hat seine blinde Tochter in ein Heim abgeschoben. Weil er Krankheiten fürchtet, so vermutet O-Ei. Sie selber aber kümmert sich um das Mädchen, geht mit ihm auf die belebte Brücke mit ihrem Zivilisationslärm oder in die schneebedeckte Natur, wo alles gedämpft klingt. In diesem unspektakulären, episodischen und nur durch die Jahreszeiten strukturierten Film, in dem die Musik nach eröffnendem Elektrogewitter bald sanfter und elegischer wird, ist auch eine Sinfonie von Geräuschen zu hören. Zu sehen sind farbige Blüten, blaue Taghimmel, orangerote Dämmerung, tintige Nacht oder das warme Licht von Kerzen und Lampions in Innenräumen. Auch Erscheinungen von Geistern, die durch unvollendete Bilder in Träume hineinwabern. Und immer wieder ein mopsartiger Hund mit aufmerksamen Augen, der so herzallerliebst den Kopf schief legt und mit dem Schwanz wedelt, dass man ihn sofort streicheln will.

Der Zeichentrickfilm ist eine aussterbende Gattung, aber wie reich an Stimmungen und Atmosphäre er sein kann, das zeigt (auch wenn der Computer mitgeholfen hat) noch einmal "Miss Hokusai". Und es taucht die Frage auf: Wird hier mit den Mitteln des Anime "nur" eine Künstlergeschichte von damals erzählt? Oder geht dieser Film noch weiter und zieht eine direkte Verbindung von der alten japanischen Zeichen- und Holzschnittkunst zu den Mangas und Animes von heute? Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe läuft bis 10. September die Ausstellung "Hokusai und Manga. Japanische Popkultur seit 1680". Hier wird mit verblüffender Sicherheit eine so klare Verbindung behauptet.

Doch die "zeitübergreifenden Gemeinsamkeiten", so der Ausstellungstext, sind vielleicht überbetont, der lange Weg in die Moderne ist wahrscheinlich verschlungener und komplexer. Im späten 19. Jahrhundert wurden japanische Holzschnitte auch in Europa populär, Maler wie van Gogh begeisterten sich für diese Werke mit ihren dicken Umrisslinien und klaren Farben und haben sie sogar nachgemalt. Auch der Ligne-claire-Stil des Comic-Künstlers Hergé, der die ersten "Tim und Struppi"-Abenteuer in den frühen Dreißigerjahren veröffentlichte, dürfte von Hokusai und Co. inspiriert sein. Sodass die japanischen Mangas und Animes von heute wiederum westlichen Einflüssen ausgesetzt waren. Aber bevor es nun zu akademisch wird, kommen wir auf Miss Hokusai zurück und lassen sie einen Satz in den Nachthimmel hinein sagen, der den Film schön zusammenfasst: "Dieses Leben ist nichts Besonderes, aber wir genießen es."

 

Info:

"Miss Hokusai" kommt am Donnerstag, den 16. Juni, in die deutschen Kinos. In Stuttgart läuft er Do–So um 19 Uhr im Metropol. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.

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