Neulich hat in Mainz der 5. Deutsche Fußverkehrskongress FUKO 2025 stattgefunden. Eine zweitägige Tagung mit allerlei Betrachtungen über die Beinarbeit. Unter anderem gab es "Walkshops". Ich war nicht dort, weil ich fürchte, in Walkshops wie in vielen anderen Shops beschissen zu werden, schnappte aber im Radio einen Satz des Verkehrsministers Wissing auf: "Der Fußverkehr ist seit jeher wichtiger Bestandteil der Alltagsmobilität. Er steht nicht nur für sich, sondern verbindet auch Verkehrsträger miteinander." Das ist schön. Mein vergleichsweise reger Fußverkehr ohne Tempolimit in der Alltagsmobilität verbindet mich speziell mit dem Verkehrsträger Automobil auf eine Weise, die intimer auch nicht vom Geschlechtsverkehr geleistet werden kann. Die Klimax erlebe ich, wenn ich mich zwischen gelben Säcken, überfüllten Mülleimern und kriminell geparkten PS-Schleudern im Sinne des FUKO-Programms "Schritt für Schritt in die Innenstadt der Zukunft" bewege.
"Sie verlassen den amerikanischen Sektor"
Die Fußverkehrswege in Stuttgarts Zukunft sind Trampelpfade der Entrechteten. Seit der Erfindung des Autos dominiert die Karre die Weltwirtschaft, ihre Profiteure haben Städte in Straßenlabyrinthe verwandelt, Fußgänger und "Verkehrsträger" wie die Straßenbahn und die Eisenbahn brutal bekämpft. Als passionierter Herumgeher in der Stadt bin ich oft so gut gelaunt wie in Nächten, an denen ich die kühlste Stelle meines Kopfkissens suche, um die Albtraumhitze zu vertreiben.
Leider scheint es mir unmöglich, Thomas Bernhards Erzählung "Gehen" in einer Kolumne namens "Auf der Straße" so intelligent zu präsentieren, wie es ihr gebührte. Deshalb kann ich nur empfehlen, sie zu lesen: "Wir gehen mit unseren Beinen, sagen wir, und denken mit unserem Kopf. Wir könnten aber auch sagen, wir gehen mit unserem Kopf." Und so geht es wie immer in Bernhards Büchern in die Abgründe, "weil alle überall ihre Köpfe entleeren wie Abfallkübel".
Unsereiner geht, Abfallkübel und gelbe Säcke hinter sich, zum tausendsten Mal durch den Schlossgarten. Heute etwas langsamer als gestern, weil das Wetter nicht ganz so trüb ist wie an jenem Morgen, da Gregor Samsa als Ungeziefer erwachte. Ich schlendre am Schauspiel- und am Opernhaus vorbei, Richtung Landtag. Keine Ahnung, wie oft ich dort dieses merkwürdige steinerne Ding schon gesehen habe, ohne es zu beachten, weil ich von seiner miesen Herkunft weiß. Seit 2009 steht am Landtag im Oberen Schlossgarten ein Stück der Berliner Mauer. 2,7 Tonnen schwer, 3,50 Meter hoch, etwa so breit wie ein Saunatuch. Der Graffiti-Künstler Christoph Grohmann hat es gestaltet, den Berliner Alexanderplatz mit dem Fernsehturm angedeutet und das Brandenburger Tor verewigt, was sonst.
Oben ist in schwarz hingekritzelten Buchstaben zu lesen: "You Are Leaving The American Sector". Thank God!, rufe ich. Auf US-amerikanischem Boden möchte man sich im Moment weiß Gott nicht herumtreiben. Niemand weiß, ob einen dort Trumps Schergen holen, weil man wie ein aufrechter Mensch auf den Füßen geht und mit dem Kopf denkt, während die US-Oligarchen ihre Köpfe wie Müllkübel entleeren.
Auf der Webseite der Region Stuttgart finde ich diesen Eintrag: "An der Kulturmeile, zwischen dem Haus der Geschichte und dem Landtag, erinnert das symbolträchtige Betonsegment an den Wert von Demokratie und Freiheit." Bei der Stuttgarter "Kulturmeile", dies zur besseren Orientierung, handelt es sich im Wesentlichen um eine mehrspurige Stadtautobahn, was den kulturellen Wert unserer Autodemokratie und Beinbruchfreiheit keineswegs mindert. Das symbolträchtige Betonsegment im Schlossgarten wiederum ist höchst ehrenwert: Es handelt sich um ein Geschenk unseres demokratisch-freiheitlichen Zentralorgans namens "Bild". 2009, zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, hat das Hetzblatt diesen Stein der Stadt gestiftet. Für diesen Akt geistiger Verbrüderung findet sich am Tatort kein Hinweis. Das Gebilde steht in der Landschaft, als wäre Stuttgart ein Stück Berlin.
Cleverle auf Beutezug, Trump auf Weltmachttrip
Als am 9. November 1989 die Mauer geöffnet wurde, saß ich im Neckarstadion, wo große Aufregung herrschte, weil das DFB-Pokalspiel zwischen dem VfB und dem FC Bayern nicht rechtzeitig angepfiffen wurde. Der Grund: Angesichts der durchlässigen Mauer musste die "Tagesschau" ihre Sendezeit überziehen, sodass die Spielübertragung nicht starten konnte. An diesem Abend buchte ich mir noch schnell den allerletzten Platz in einem Flugzeug und reiste am nächsten Morgen in die Frontstadt. Mal gucken, was da los ist. Ich weiß noch gut: In der Stadt wurde viel weniger gejubelt, als es uns die Fernsehbilder von den Mauertänzen bis heute weismachen.
Wie jeder Touri-Trottel besorgte ich mir ein Stück vom antifaschistischen Schutzwall, nicht ganz so groß wie heute das Ungeheuer vor dem Landtag. Den Brocken ließ ich mir nicht von "Bild" schenken, sondern zahlte dafür einem der fleißigen Mauerspechte, wie man die herbeigeeilten Steineklopper nannte, einen Heiermann. Das war der Beginn der blühenden Landschaften. Auf meinen Spuren brachten später schwäbische Beutemacher den Ost-West-Kapitalismus auf Touren, unter ihnen ein in Ungnade gefallener Politiker namens Späth, genannt Cleverle.
Mein Mauerrelikt besitze ich schon lange nicht mehr, ich warf es auf die Müllhalde der Geschichte, wo inzwischen nicht nur die amerikanische Demokratie und Freiheit vor sich hinstinken wie die Abfallkübel für entleerte Köpfe. Heute erzählt mir der Stein vor dem Landtag, wie schnell sich die Dinge ändern und demokratische Errungenschaften zugrunde gehen. You Are Leaving The American Sector. Vorwärts in den Weltmachtgrößenwahn.
Um ein Stück weiter mit dem Kopf zu gehen, wechselte ich auf meinen Beinen die Straßenseite, ließ das Haus der Geschichte hinter mir und kehrte im Café des Stadtpalais ein. Das Museum zeigt zurzeit eine Ausstellung über den großen Juristen und antifaschistischen Aufklärer Fritz Bauer. 1903 in Stuttgart geboren, wurde er von dieser Stadt noch lange nach seinem Tod 1968 wie ein Nestbeschmutzer ignoriert.
Im Stadtpalais aß ich Apfelkuchen. Meinen Kaffee trank ich, wie ich erfreut bemerkte, aus einer Tasse der "Schwarzmahler", einem kleinen Laden im Osten der Stadt, der neben Bohnen auch Becher mit antifaschistischen Botschaften im Angebot hat.
Weiter zum Urbansplatz. Am Gebäude mit den Räumen des Hauses der Geschichte und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hängt ein großes buntes Transparent: "Stimme nutzen für Menschenrechte". Alles in Ordnung, sage ich. Womöglich wäre es gar nicht so schwer, die letzten Tage der Menschlichkeit in demokratisch umnachteter Unbedarftheit zu genießen, bis man zwischen Ungeziefer ruht.
Friede, Freiheit, Apfelkuchen.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!