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Auf der Straße

Schmier

Auf der Straße: Schmier
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Der Kolumnentitel "Auf der Straße" zwingt mich geradezu, hin und wieder in die Schmuddelreviere der Sprache vorzudringen, in den Gassensound. Das Schwäbische hat für das Herumziehen in der Stadt den Ausdruck "Auf d' Gass' gehen" parat, nicht zu verwechseln mit der Hundenummer "Gassi gehen". Vielmehr geht es um das "Schwanzen", wie wir letzten Eingeborenen sagen. Dieser schöne Begriff meint nichts anderes als bummeln, herumgehen, umherschweifen. So gesehen bin ich ein Schwanzender oder Schwanzer, was Nichtschwaben leicht mit "Schwänzer" verwechseln. Der war ich selbstverständlich auch mal, auf hohem Niveau, aber das ist lange her.

Als ich früher in der Altstadt, im lange nur "Städtle" genannten Rotlichtviertel schwanzen ging, weil es im restlichen Stuttgart schon früh am Abend kuhnacht war wie hinter Pfuiteufel, lernte ich eine heute weitgehend vergessene Milieusprache kennen. Für die heimische Polizei etwa gab es dort keinen anderen Namen als "Schmier". Von "Bullen" war in der Altstadt so gut wie nie die Rede, auch "Cops" waren unbekannt. "Obacht, d' Schmier!" – diese Warnung hielt sich auch außerhalb der Eingeweihtenkreise bis ungefähr ins letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts. Heute wissen viele coole Nachplapperer nicht, dass mit "Städtle" einst ausschließlich das Milieuviertel gemeint war. Mit der Stadt als solcher hatte das nichts zu tun. Der Diminutiv war also keine sprachliche Parallele zum Schreckenswort "Ländle", das seine Vollverblödung in der Marketing-Abwandlung "The Länd" gefunden hat. Mit der Bezeichnung "Städtle" romantisierte und verniedlichte der Volksmund die Stuttgarter Prostitution.

Für die Verfolgung von Sexualstraftaten war bis in die 1970er-Jahre hinein die Sittenpolizei zuständig. Die Abkürzung "Sitte" für dieses Dezernat der Kriminalpolizei hält sich hartnäckig. Auf den Hintergrund des Ausdrucks "Schmier" allerdings stieß ich erst vor wenigen Jahren. Ich hatte ihn immer als "Schmiere" interpretiert, wie Haarcreme für die Elvis-the-Pelvis-Tolle. Als "Schmierlappen" wurden seinerzeit in der Altstadt windige Zeitgenossen heruntergeputzt – nicht selten in ihrer Eigenschaft als Verräter. Dass Journalisten gern mal als "Schmierfinken" bezeichnet werden, ist übrigens auch nicht sehr fein, wenn man weiß, dass im Amerikanischen der "Fink" ein Denunziant ist.

Irgendwann ging ich auf den Spuren der Stuttgarter Nazi-Verbrechen durchs Hospitalviertel. An der Ecke Büchsenstraße/Leonhard-Lechner-Weg stand ich vor einer damals kaum sicht- und nur sehr schwer lesbaren Gedenktafel, die 1994 auf Initiative des Verbands Deutscher Sinti und Roma aufgestellt worden war: "In der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier Menschen gequält und gedemütigt. Im Gedenken an die Sinti und Roma, Mitbürgerinnen und Mitbürger, die dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die entrechtet, deportiert und ermordet wurden. Im Gedenken an alle, die aus politischen und religiösen Gründen verfolgt wurden."

In der Büchsenstraße stand früher ein berüchtigtes Gefängnis, genannt "Büchsenschmiere". Viele dort inhaftierte Menschen wurden von den Nazis in den Tod geschickt. Das Wort Schmiere wies aber nicht nur, wie oft vermutet, auf den völlig verdreckten Gestapo-Kerker hin. Schmiere kommt aus dem Jiddischen und bedeutet Wache, im weitesten Sinn auch Polizei. Wohl deshalb wurde noch lange nach dem Krieg die Stuttgarter Polizei "Schmier" genannt.

Obacht, wenn Macht und Gemächt beieinanderliegen

Wer meine Kolumnen hin und wieder liest, weiß, dass mich Gedankensprünge plagen. Tatsächlich ging mir das, was ich bis hierher erzählt habe, beim Blick auf einen hochrangigen Vertreter unserer heutigen Schmier durch den Kopf. Zuletzt hat ein Gericht der Kontext-Wochenzeitung untersagt, diesen inzwischen suspendierten Polizisten per Bindestrich mit einem Begriff zu koppeln, der einen Teil des männlichen Geschlechtsteils definiert. Es geht um eine Wörterkombination, deren Anfangsbuchstaben eine klangvolle Alliteration mit hartem P wie Pennäler ergeben. Eine Alliteration ist ein Stabreim, und bei der Verhandlung gegen besagten Freund und Helfer wegen angeblicher sexueller Belästigung ging es ja auch darum, sich einen Reim darauf zu machen, ob da womöglich ein Stab widerrechtlich weitergereicht wurde. Macht und Gemächt liegen laut den Brüdern Grimm sehr dicht beieinander. Der P. wurde freigesprochen, der Prozess gegen Kontext geht weiter.

Allenthalben sorgt die Angelegenheit bei der Bevölkerung für Kopfschütteln, weil sich niemandem die Anrüchigkeit des P-Wortes erschließt. Mir übrigens auch nicht, weil ich ja selber ein Gemächt mein eigen nenne, was mich als schwanzenden Schreiberling und korrekten Linksträger eher selten stört.

Bekannt ist mir jedoch, dass jede Erwähnung von Dingen, die mit Sex und dessen Werkzeugen zu tun haben, sehr oft die bürgerliche Sittenpolizei in Gang setzt. Das ging mir schon öfter so, als mir der Hinweis auf wichtige Bestandteile des Menschen den Vorwurf von "Männerfantasien" einbrachte. Gerade so, als gäbe es Sex und Geschlechtsteile nicht gelegentlich auch in der Realität.

Begriffsstutzig? Etymologische Pümpel-Studien

Beim juristischen Streit um das P-Wort geht es übrigens nicht um den ehrenwerten Pimmel. Der hatte vor zwei Jahren einen sechsköpfigen Polizeieinsatz ausgelöst, weil ein Hamburger Innensenator der SPD in einem Gezänk um Corona-Maßnahmen als solcher auf Twitter bezeichnet wurde. Kommando Pimmelgate. Ob die Polizisten damals ihre großkalibrigen Phallussymbole aus dem Halfter zogen, ist mir nicht bekannt.

Dank meiner politischen Fachkenntnisse weiß ich lediglich, dass das P in SPD nicht für Pimmel steht und deshalb jener nicht jedem Sozen-Politiker angeheftet werden kann. Gleichzeitig habe ich mich angesichts der Stuttgarter P-Affäre gefragt, woher eigentlich der niedliche Begriff Pimmel als Synonym für Penis kommt. Der Duden vermutet, es gehe um den niederdeutschen Begriff "Pümpel = Stößel im Mörser". Wird der Stößel im Mörser eingesetzt, spricht die Fachwelt von "pümpern".

Diese etymologischen Studien erinnern mich mit Schrecken daran, dass ich neulich in einem Drogeriemarkt verzweifelt nach einem Spezialoperationsgerät suchte, mit dem ich meinen leicht verstopften Duschabfluss reparieren wollte. Ich hatte keine Ahnung, wie man das Ding nennt, und traute mich nicht, eine der im Laden beschäftigten Frauen zu fragen. Nach Recherchen mit meinem Taschentelefon fand ich heraus, dass das gewünschte Utensil mit Holzstiel und rotem Gummiaufsatz als Pümpel gehandelt wird, wahlweise auch als Pömpel oder Pimpel. Völlig unerklärlich war mir in diesem Augenblick, warum der Österreicher einen Angsthasen ausgerechnet "Pimpelhuber" nennt. Als ausgewiesener Pimpelhuber nahm ich dann meinen ganzen Mut zusammen und fragte eine der jungen Frauen im Laden leicht stotternd nach einem, äh, Pümpel. Sie schaute mich verwundert an, half mir dann aber aus dem Schlamassel: Ey, sagte sie, Sie meinen einen Pömpel – den führen wir in unserer Filiale in der Schulstraße.

Zerknirscht verließ ich den Drogeriemarkt und holte mir einen amtlichen Pömpel zum Pümpern unter der Dusche. Bis zum nächsten Urteil des Sittengerichts im Penisgate-Prozess verbleibe ich mit einem dreifachen Hoch auf die Zipfel der deutschen Sprachpolizei. Und schwanze erstmal weiter.


Joe Bauers Flaneursalon feiert am Dienstag, 21. Oktober, im Theaterhaus seinen 25. Geburtstag. Ein Vierteljahrhundert Lieder und Geschichten aus Stuttgart. Karten gibt es hier.


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