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Irish Folk Festival

Frieden, Folk und Menschenkette

Irish Folk Festival: Frieden, Folk und Menschenkette
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Am kommenden Dienstag feiert das Irish Folk Festival im Stuttgarter Theaterhaus sein 50. Jubiläum. Der Musiker und Festivalleiter Petr Pandula erzählt von bewegten Zeiten.

Seit 50 Jahren tourt das Irish Folk Festival mit einer immer neuen Auswahl irischer Künstler:innen durch Deutschland. Erfolgreiche Bands wie Clannad kamen mit ihm zum ersten Mal ins Land. Am 24. Oktober präsentiert das Irish Folk Festival sein Jubiläumsprogramm im Theaterhaus Stuttgart. Viele Fans werden erwartet. Und rund ums Festival, rund um die Show mit drei jungen irischen Bands und Interpreten, gibt es viele Geschichten, viele Erinnerungen, Spuren, die zurückführen in die Zeit, in der Petr Pandula, der Leiter des Festivals, als Teenager zum ersten Mal nach Irland trampte, als deutsche Musiker:innen von irischen lernten, als die Friedensbewegung Wellen schlug und eine Menschenkette sich durchs Land zog.

Petr Pandula wurde in Prag geboren. Seine Familie floh 1968 nach Deutschland, kam nach Stuttgart. Sein Vater war Konzertmeister der Stuttgarter Philharmonie, der Sohn sollte Klavier lernen, hatte jedoch keine Lust: "Mit 17 sagte ein Mitschüler zu mir, du musst aufs Irish Folk Festival gehen, das ist der Hammer", erzählt er. "Ich hatte noch nie etwas von Irish Folk gehört und ich wusste auch nur, dass Irland irgendwo in Europa ist."

Im nächsten Jahr war Petr Pandula dann 18 und trampte auf die Insel. Er besuchte einen Dudelsackmacher, lernte das Instrument zu spielen, kehrte nach Deutschland zurück, begann dort bald, selbst Konzerte zu organisieren, irischen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen. Heute lebt er in Reutlingen und in Dublin. Als sich Carsten Linde, der Gründer des Irish Folk Festivals, im Jahr 2000 zurückzog, übernahm Petr Pandula mit seiner Agentur Magnetic Music die Organisation.

Mit dabei war er von Anfang an, auch als Musiker. Er erlebte, wie Iren die deutsche Szene beeinflussten, ihr halfen, eine eigene Sprache zu finden: "Finbar Furey hatte es schon ganz zu Beginn auf die Burg Waldeck im Hunsrück verschlagen, dorthin, wo sich die deutschen Liedermacher trafen. Die waren sehr angetan vom Folk, den die Iren mitbrachten, und die Iren sagten ihnen: "Wo sind denn eure Wurzeln, singt doch auch einmal ein deutsches Lied, spielt uns eure Tradition vor."

Mit Volksliedern Politik machen

Das war nicht einfach. Das deutsche Volkslied war von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden, die Tradition war verschüttet, die industrielle Revolution hatte die Menschen zuvor schon in die Städte getrieben. Die deutsche Liedermacherszene begann erst zu wachsen – und wurde Teil einer Szene, die sich gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland und gegen die Atomkraft stemmte.

Man schloss sich der "Grünen Raupe" an, einem Festival, das 1982 und 1983 durch Deutschland rollte und die noch jungen Grünen unterstützte; man spielte bei Wahlkampfveranstaltungen und nahm Teil an der Menschenkette, die sich am 22. Oktober 1983 mit mehr als 250.000 Menschen zwischen Stuttgart und Neu-Ulm aufspannte, um gegen den Nato-Doppelbeschluss zu demonstrieren.

Aufwind hieß die Band, in der Petr Pandula damals spielte. Mit dabei waren Thomas Geiger an Sitar und Gitarre, Hans-Jörg Riedel an den Keyboards, später der Gitarrist Ralf Illenberger, die Sängerin Anne Wylie und der Tabla-Spieler Boris Guntsch. Von keltisch geprägter Musik bewegten sie sich mehr und mehr zur Weltmusik hin; ein erstes Album mit Vertonungen der Gedichte Hermann Hesses erschien 1984. Auch anlässlich der Menschenkette trat Aufwind auf – unmittelbar vor Oscar Lafontaine. "Er hat damals eine starke Rede gehalten und alle Leute angesprochen", erinnert sich Petr Pandula. "Seither hat er sich sehr verändert."

"Generalstreik – ein Leben lang" hieß das zweite Album von Aufwind. Es erzählte vom internationalen Vagabundenkongress, der 1929 in Stuttgart stattfand (mehr dazu hier und hier). Rund 450.000 Menschen lebten in der Weimarer Republik auf der Straße, das Vagabundenleben besaß noch den Nimbus des Romantischen. Wenige Jahre später wurden die Vagabunden von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet. "Gregor Gog und die anderen Organisatoren des Kongresses wollten die Menschen, die damals arbeitslos wurden, davon abhalten, der Propaganda der Nazis zu glauben", sagt Petr Pandula. Während einer Demonstration in Mutlangen hatte er eine Frau kennengelernt, deren Großvater am Vagabundenkongress teilgenommen hatte – er lebte noch, stellte Fotos und Dokumente zur Verfügung.

Für Aufwind wurde das Album über den Vagabundenkongress zum Durchbruch: Die Band gab rund 150 Konzerte in ganz Deutschland, wurde nicht nur vom Süddeutschen Rundfunk eingeladen, nahm 1988 ein weiteres Album auf, das das Leben Mahatma Ghandis behandelte. Petr Pandula beteiligte sich an politischen Diskussionen, setzte sich ein für friedensbewegte Deutsche, die für ihr Engagement mit Geld- und Haftstrafen belangt oder aus dem Staatsdienst entfernt wurden.

Kulturelle Neandertaler in Wollpulli und Birkenstock

Und dann, sehr plötzlich, war diese Zeit vorbei. Deutschland feierte Wiedervereinigung, der Eiserne Vorhang fiel, alles war scheinbar gut und von den deutschen Liedermachern wollte keiner mehr etwas hören. Das schmerzt Pandula doch noch merklich: "In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden wir gefeiert wie Popstars, und plötzlich waren wir die kulturellen Neandertaler mit Birkenstockschuhen und Wollpulli. Dabei haben wir mit der Musik den Leuten etwas zurückgegeben, das die Nazis ihnen genommen hatten. Das ist eine Leistung, die nicht mehr anerkannt wird."

Spätestens seit den frühen 1990er-Jahren sind Folk und Weltmusik aus den Radios verschwunden. "Solche Musik", sagt Petr Pandula, "gehört nicht ins Sendeformat eines Privatradios, und die Öffentlich-Rechtlichen haben sich in Deutschland auf das Niveau von Privatsendern heruntergewirtschaftet. Das ist ein Armutszeugnis." Dem Irish Folk Festival jedoch blieb das Publikum treu. Es gab gute Zeiten für das Festival, es gab schlechtere, aber die Säle sind heute wieder voll. "Ich weiß gar nicht, wie es uns immer noch gelingt, das Stuttgarter Theaterhaus oder die Hamburger Fabrik auszuverkaufen", sagt Petr Pandula. "Die Plakatierung ist längst monopolisiert. Wir können uns das nicht leisten, auch teure Werbung nicht. TikTok oder Facebook/X finden wir scheiße, weil sie unsere Gesellschaft und unsere Demokratie zerstören. Leute kommen zu uns, obwohl wir in den Medien praktisch nicht stattfinden. Und wir haben das große Glück, dass die Leute, die uns buchen, seit 50 Jahren zu uns stehen."

Pandula engagiert sich weiterhin, vor allem geht es ihm dabei aber um Irland. 2005 sammelte er auf der Tournee des Festivals Unterschriften gegen den Plan, eine Autobahn durch das Gebiet des Hügels von Tara im irischen County Meath zu bauen: "Shell plündert Irland aus – wer sich wehrt, kommt in den Knast", stand auf den Konzertplakaten. 2016 erinnerte das Festival an das 100. Jubiläum der irischen Unabhängigkeit, 2018 thematisierte es mit "Music knows no Border" den Brexit.

Neben dem Irish Folk Festival organisiert Petr Pandula die Tanzshow "Danceperados of Ireland" und das Schattentheater "Moving Shadows", veranstaltet rund 300 Auftritte jährlich. In drei Jahren wird er seinen 70. Geburtstag feiern. Er möchte sich zurückziehen. "Meine Hoffnung ist", sagt er, "dass das Wunderbare, das wir aufgebaut haben, nach meinem Ausscheiden nicht verloren geht und sich jemand findet, der es fortführt."

Ein neuer künstlerischer Leiter des Festivals wird also gesucht. Petr Pandula weiß, dass er es nicht leicht haben wird: "Die Chancen, die wir in den 1970er- und 1980er-Jahren hatten, gibt es heute nicht mehr. Damals gab es Geld für Projekte, faire Gagen und offene Kulturkonzepte. Mit unserem Programm zum Vagabundenkongress konnten wir sogar in der Alten Oper in Frankfurt auftreten." Er hofft dennoch. "Ich könnte natürlich auch an eine globale Firma verkaufen", sagt er. "Das würde denen ihr Portfolio ausweiten und sie könnten sich dazu einen Heiligenschein aufsetzen. Aber das werde ich auf keinen Fall tun."


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