Es wäre therapeutisch falsch, drumherum zu reden. Ich bin handysüchtig. Und es hilft mir nicht länger, die digitale Droge als "Taschentelefon" zu verniedlichen, nur weil die Alliteration vom Abusus und Kontrollverlust ablenkt. Als neulich das Thermometer auf über dreißig Grad kletterte, stellte ich auf der Straße fest, dass ich kein Smartphone bei mir trug. Ich fühlte mich nackt und mir wurde heißer, als es eh schon war. Weil ich mich aber konditionell nicht in der Lage fühlte umzukehren und die paar läppischen Treppen zu meiner Wohnung hinaufzusteigen, beschloss ich, meinen Weg ohne Handy fortzusetzen. Es wurde ein Fußmarsch in die Verlorenheit. So muss sich ein Revolverheld fühlen, wenn er seine Kanone auf dem Klo vergessen hat.
Mein Taschentelefon ist immer schussbereit. Mal, um überflüssige Bilder im Glauben zu knipsen, sie hätten das Zeug zu einem Welthit in den asozialen Medien. Mal, um nach neuen Erfolgsmeldungen per Mail und SMS zu schauen. Sind sie ausgeblieben, ist das Gefühl der Verlassenheit so groß wie an einem Tag ohne Telefon im Hosensack. Der Griff nach diesem Scheißding hat sich derart verselbständigt, dass ich schon nicht mehr merke, wenn ich mitten auf einem Zebrastreifen bei roter Ampel auf dem Handy herumtippe, während mich hupende Autos in die Zange nehmen. Im Grunde ist es ein Wunder, dass ich fast so alt geworden bin wie der deutsche Zebrastreifen, der im August 2023 seinen 70. Geburtstag feierte.
Zum Smartphone greife ich so automatisch wie früher zur Zigarette, wenn ich eine Minute auf den Bus warten musste. Die Gier nach dem Taschentelefon erscheint mir allerdings noch schlimmer als die Lust auf einen Lungenzug.
Wie es der Teufel will, nur einen Tag, nachdem ich ohne Handy aus dem Haus gestiefelt war, lag ein Buch in meinem Briefkasten: "The Walker. Die Stadt, die Moderne und ihre Fußgänger" von Matthew Beaumont, erschienen in der Edition Tiamat, Berlin. Der Verleger Klaus Bittermann, einer der letzten Aufrechtgeher seiner Branche, hatte es mir geschickt. Es setzt sich mit der "Politik des Gehens" und entsprechender Literatur auseinander. Das Spektrum reicht von Edgar Allen Poe über H. G. Wells bis zu Virginia Woolf.
Als Handy-Spaziergänger taub für die Umgebung
Bereits im Vorwort wurde mir klar, was für ein lausiger Spaziergänger ich bin. Im 21. Jahrhundert, schreibt Beaumont, seien Städte "der Schauplatz enorm verwirrender Zyklen kreativer Zerstörung, wo Fußgänger taub für ihre Umgebung geworden sind, die sie immer öfter nur noch mechanisch bewohnen, nicht zuletzt aufgrund ihrer Abhängigkeit von Smartphones ...". Die "konzentrierte Zerstreuung" beim Gehen, die der leidenschaftliche Fußgänger Beaumont beschwört, geht verloren: "Die Menschen starren auf ihre Telefone und bemerken die zunehmend autoritären Mechanismen nicht, mit denen der Staat und verschiedene Privatinteressen die Aktivitäten der Bürger kontrollieren und sie als Konsumenten überwachen und manipulieren. Sie werden zu dem, was die Pariser des 19. Jahrhunderts als les badauds bezeichneten, jene Zuschauer, 'Gaffer' und Schaulustige, deren stupide Haltung gegenüber Ereignissen in den Straßen gutgläubig und hoffnungslos passiv war." Sie sind "blind für die neuesten Formen der Überwachung. Außerdem entgeht ihnen, wie auf heimtückische Art und Weise die Städte derzeit physisch, rechtlich und symbolisch durch das Kapital verändert und angeeignet werden."
2 Kommentare verfügbar
Max Eifler
am 06.09.2023Anstatt "Inmates" Smartphone-Zombies?